Diagnose jahrelang unklar, Symptome schwer zu fassen, kaum Informationen verfügbar: So beginnt die persönliche Geschichte von Nicole Hegmann, die an Mastozytose erkrankt ist. Heute ist sie Gründerin und Vorsitzende des Mastozytose Selbsthilfe Netzwerks e. V. und setzt sich unermüdlich dafür ein, dass Betroffene nicht mehr jahrelang im Dunkeln tappen müssen. Im Gespräch erzählt sie von ihrem Weg „Von der Patientin zur Expertin – warum Selbsthilfe lebenswichtig ist“, und warum Gemeinschaft, Wissen und gegenseitige Unterstützung für Menschen mit seltenen Erkrankungen überlebenswichtig sein können.
Nicole, wenn du heute zurückblickst – wie fing deine Krankengeschichte an?
Ich erinnere mich noch gut: Es begann mit Symptomen, die sich keiner erklären konnte. Ich hatte Hautausschläge, Kreislaufprobleme, manchmal das Gefühl, mein Körper spiele verrückt. Ich ging von Arzt zu Arzt – und immer wieder bekam ich vage Antworten: Allergie, Stress, psychosomatisch. Es war frustrierend, weil ich spürte, dass da etwas anderes ist. Aber niemand nahm das richtig ernst.
Wann kam die richtige Diagnose?
Viel zu spät, nach mehreren Jahren. Ich war schon richtig erschöpft von der Suche, als dann endlich jemand den Verdacht auf Mastozytose äußerte. Das ist eine seltene Erkrankung, bei der bestimmte Immunzellen unkontrolliert wachsen und Botenstoffe ausschütten. Plötzlich fiel vieles wie Schuppen von den Augen. Ich war erleichtert, endlich einen Namen für das zu haben, was mit mir los ist – aber gleichzeitig auch schockiert: Kaum jemand wusste etwas darüber, es gab wenig Forschung, kaum Anlaufstellen.
Wie bist du damit umgegangen?
Ehrlich gesagt: Am Anfang mit großer Verunsicherung. Ich hatte tausend Fragen, und niemand konnte sie beantworten. Manchmal musste ich selbst zur Expertin werden, um zu verstehen, was in meinem Körper passiert. Ich habe mir mein Wissen zusammengesucht – in Fachartikeln, durch Kontakte zu Ärzt*innen, im Austausch mit anderen Betroffenen. Da habe ich gemerkt: Wir brauchen dringend eine Anlaufstelle. Menschen mit dieser Krankheit sollen nicht allein durch dieses Labyrinth gehen müssen.
War das der Moment, in dem dein Netzwerk entstand?
Ja, das war die Geburtsstunde. Anfangs habe ich nur ein paar andere Betroffene zusammengebracht. Wir haben telefoniert, Erfahrungen geteilt, uns gegenseitig Mut gemacht. Daraus wurde bald eine kleine Gruppe, dann ein Verein, und schließlich das Mastozytose Selbsthilfe Netzwerk e. V.. Heute sind wir bundesweit organisiert, wir haben Ärzt*innen im wissenschaftlichen Beirat, wir informieren auf unserer Webseite und in Broschüren, wir organisieren Treffen. Es ist unglaublich, wie viel daraus entstanden ist – aus einer ganz persönlichen Not heraus.
Gab es ein Erlebnis, das dir besonders zeigt, warum deine Arbeit wichtig ist?
Ja, viele. Aber eines berührt mich immer noch sehr: Eine Mutter rief mich an, völlig aufgelöst, weil ihr Kind nach Jahren endlich die Diagnose Mastozytose bekommen hatte. Sie wusste nicht, wie sie weitermachen sollte. Wir konnten ihr nicht nur Informationen geben, sondern auch Kontakt zu Ärzt*innen, die sich auskennen. Am Ende sagte sie: „Ohne dich hätte ich das nicht geschafft.“ In solchen Momenten weiß ich: Genau dafür mache ich das.
Du bist auch bei der SEBRACON dabei. Warum?
Weil es mir wichtig ist, dass die Stimme von Patient*innen gehört wird. Die SEBRACON bringt Menschen mit seltenen Erkrankungen, Angehörige, Fachleute, Politik und Medien zusammen. Es ist eine einzigartige Gelegenheit, Erfahrungen sichtbar zu machen und deutlich zu zeigen, welche Kraft in der Selbsthilfe steckt.
Was bedeutet die SEBRACON für dich persönlich?
Für mich ist sie ein Ort der Begegnung auf Augenhöhe. Rückhalt, weil ich weiß: Wir stehen mit unseren Problemen nicht allein da. Und Verstärkung, weil wir gemeinsam lauter werden. Es gibt mir auch persönlich Kraft – wenn ich sehe, wie viele engagierte Menschen da sind, die alle für dieselbe Sache brennen: seltenen Erkrankungen eine Stimme geben.
Wenn du an die Zukunft denkst – was wünschst du dir?
Ich wünsche mir, dass seltene Erkrankungen nicht mehr als Randthema gesehen werden, sondern in der medizinischen Versorgung selbstverständlich mitgedacht werden. Dass Betroffene schneller eine Diagnose bekommen und nicht wie ich jahrelang im Dunkeln tappen. Und ich wünsche mir, dass wir als Patient*innenorganisationen weiterhin stark bleiben. Denn am Ende geht es darum, dass niemand allein bleibt mit seiner Krankheit.
Das Interview führte Leonie Zell
Mastozytose Selbsthilfe Netzwerk e.V.
Edith Stein Strasse 17
51519 Odenthal
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