Die Beta-Thalassämie ist eine seltene, genetisch bedingte Erkrankung, bei der im Körper Betroffener zu geringe Mengen des roten Blutfarbstoffes Hämoglobin produziert werden. Die Folge ist eine chronische Blutarmut, auch Anämie genannt, da sich instabile rote Blutkörperchen (Erythrozyten) bilden, die bereits im Knochenmark zerfallen. Hat ein Patient von beiden Elternteilen das genetische Merkmal für eine Thalassämie geerbt, liegt bei ihm eine Thalassämie major oder eine Thalassämie intermedia vor. Bei der Thalassämie major führt die Erkrankung im frühen Kindesalter zu einer so schweren Blutarmut, dass sie unbehandelt lebensbedrohliche Folgen haben kann. Wir sprachen mit der Kinderhämatologin Dr. Regine Grosse über die seltene Erkrankung.
Warum gilt die Beta-Thalassämie in Deutschland als seltene Erkrankung?
Betroffen sind hauptsächlich Menschen mediterraner, südasiatischer und nahöstlicher Herkunft. Da bei uns die Population von Menschen mit Migrationshintergrund steigt, häufen sich auch hierzulande die Fälle. Dennoch ist die Beta-Thalassämie eine Erkrankung, die in der öffentlichen Wahrnehmung in Deutschland kaum eine Rolle spielt, es gibt rund 600 bis 1.000 Betroffene in Deutschland. Aus diesem Grund ist es wichtig, die Aufmerksamkeit für diese Erkrankung zu erhöhen, da eine frühe Therapie der Thalassämie major lebensrettend sein kann.
Welche Symptome sind typisch?
Kinder mit einer Thalassämie major werden in einem Alter von drei bis sechs Monaten auffällig, da sie eine Blutarmut aufweisen. Zudem können Gedeihstörungen und Ernährungsprobleme auftreten, im späteren Verlauf auch Knochenauffälligkeiten, wie verbreiterte Wangenknochen, eine vorgewölbte Stirn und im Röntgenbild ein verbreiterter Schädelknochen. Leider wird die Thalassämie major häufig zu spät erkannt, sodass es zum Zeitpunkt einer Vorstellung im Krankenhaus bereits zu Organvergrößerungen in Leber und Milz gekommen ist.
Wie kann man eine schnellere Diagnosestellung erreichen?
Das Neugeborenenscreening in Deutschland schließt die Beta-Thalassämie leider nicht mit ein. Umso wichtiger ist, dass die Awareness sowohl bei Gynäkologen als auch bei Kinderärzten steigt, damit die Erkrankung frühzeitig erkannt und therapiert wird.
Warum auch bei Gynäkologen?
Da Frauen mit nur einem Genmerkmal (Thalassämie minor) eine leichte Anämie aufweisen, die allerdings häufig mit einem Eisenmangel verwechselt wird, sollten Patientinnen aus den vorher genannten Risikogebieten mit einer Anämie, die nicht auf Eisengaben anspricht, auf das Vorliegen einer Thalassämie getestet werden. Sollte die Patientin an einer Thalassämie minor leiden, muss auch der Partner bzw. Kindsvater getestet werden. Sind beide Elternteile Träger einer Thalassämie-Mutation, besteht für das zu erwartende Kind eine Wahrscheinlichkeit von 25 Prozent, dass es von beiden Elternteilen das Genmerkmal geerbt hat und an einer Thalassämie major leidet.
Wie wird die Thalassämie major behandelt?
Die klassische symptomatische Therapie ist die Transfusionstherapie. Um im weiteren Verlauf eine Eisenüberladung infolge der Transfusionstherapie zu verhindern, wird eine Eisenchelattherapie durchgeführt. Eisen gehört zu den Schwermetallen und kann ansonsten nicht ausgeschieden werden. Eine Stammzelltransplantation kann eine Thalassämie major dauerhaft heilen. Diese sollte möglichst bereits im Kindesalter durchgeführt werden, da mit zunehmendem Alter bereits Organschäden auftreten können und die Stammzelltransplantation mit mehr Risiken verlaufen kann.
Neu zugelassen ist eine Gentherapie, mit der es möglich ist, die Beta-Thalassämie major ursächlich zu behandeln, ohne dass dafür eine Stammzellspende von einem passenden Spender erforderlich ist. Dabei werden im Labor die von dem Patienten entnommenen Stammzellen verändert und anschließend die modifizierten Stammzellen dem Patienten über die Blutbahn zugeführt. Diese Methode hat den Vorteil, dass der Patient seine eigenen Stammzellen zurückbekommt und es so nicht zu Abstoßungsreaktionen kommen kann. Auch hier ist eine Chemotherapie notwendig, um Platz im Knochenmark für die korrigierten körpereigenen Stammzellen zu schaffen.
Das Interview führte Emma Howe
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