Seltene Erkrankungen

Sind Leiden unbedeutend, weil sie selten sind? Ganz und gar nicht!

Porträt Eva Luise Köhler

Eva Luise Köhler,
Vorsitzende des Stiftungsrates der Eva Luise und Horst Köhler Stiftung für Menschen mit Seltenen Erkrankungen und Schirmherrin der ACHSE e. V.

Statistisch betrachtet kommen in Deutschland jedes Jahr etwa 30.000 Kinder zur Welt, die von einer seltenen Erkrankung betroffen sind. Viele von ihnen werden niemals in der Lage sein, ein selbstbestimmtes Leben zu führen, für mehr als 1.000 führt die oft unerforschte Erkrankung zum Tod.

Wenn in einem der besten Gesundheitssysteme der Welt Menschen sterben oder nur unzureichend versorgt werden, weil es mangels Forschung an wirksamen Behandlungsstrategien fehlt, so geht uns das alle an. Die „Waisen der Medizin“ verdienen unsere volle Aufmerksamkeit und umfassende Unterstützung.

In den vergangenen Jahren konnten wichtige Fortschritte erreicht werden: Eine engagierte „Gemeinschaft der Seltenen“ hat sich zusammengefunden, die das Thema mit Herzblut vorantreibt. Seltene Erkrankungen sind nicht mehr nur ein Randthema, sondern finden ihren Platz im politischen und öffentlichen Leben. Mit 36 Zentren für seltene Erkrankungen und einem Nationalen Aktionsbündnis wurden Strukturen geschaffen, in denen Forschung, Gesundheitswesen, Wissenschaft, Politik und Patientenorganisationen gemeinsam agieren können. Doch ausruhen können und dürfen wir uns auf diesen Erfolgen nicht.

Denn die Sorgen und Nöte, die an die Eva Luise und Horst Köhler Stiftung für Menschen mit Seltenen Erkrankungen und die Allianz Chronischer Seltener Erkrankungen (ACHSE) e. V. herangetragen werden, scheinen jüngst wieder zu wachsen: Betroffene stehen nicht nur vor medizinischen Hürden, sondern auch vor alltäglichen Herausforderungen. Der Kampf um Heil- und Hilfsmittel, Medikamente und pflegerische Unterstützung wird begleitet von finanziellen Nöten und struktureller Belastung. Pandemie, Kriege und Krisen verschärfen die Probleme, und politische Reformpläne für das Gesundheitswesen schaffen zusätzlich Unsicherheit.

Um den besonderen Bedürfnissen von Menschen mit seltenen Erkrankungen und dem Anspruch einer bestmöglichen Versorgung gerecht zu werden, dürfen wir in unseren Bemühungen nicht nachlassen und müssen gezielt an drei Stellen ansetzen: der nachhaltigen Ausgestaltung spezialisierter und vernetzter Versorgungsstrukturen, der Aus- und Weiterbildung medizinischer und pflegender Fachkräfte sowie ganz gezielt in der Forschung – denn sie ist der Schlüssel zu mehr Gesundheit.

Dank des immensen Erkenntnisgewinns in der wissenschaftlichen Forschung erleben wir aktuell eine Zeitenwende in der Medizin. Sie beschert uns präzise Methoden und Verfahren, die eine frühe Diagnosestellung und die Entwicklung hochwirksamer kausaler Therapien ermöglichen.

Zwar sind diese Prozesse oft kostenintensiv, doch sie sind eine Investition in die Gesundheit von uns allen. Denn ein genauer Blick auf die den seltenen Leiden zugrunde liegenden Mechanismen kann helfen, entscheidende Prozesse im menschlichen Körper auch mit Blick auf häufigere Erkrankungen besser zu verstehen.

Das ist eine historische Chance, die uns im Interesse aller in die Verantwortung bringt, zügig und entschlossen zu handeln, damit jeder Mensch am medizinischen Fortschritt teilhaben kann. Dazu brauchen wir einen engen Schulterschluss von Ärzten und Wissenschaftlern, von Krankenkassen, öffentlicher Forschungsförderung, der Politik und auch der Zivilgesellschaft. Wir brauchen das Bündeln von Kräften und wir brauchen Magazine wie dieses, das viel mehr ist als nur bedrucktes Papier: nämlich eine Plattform des Austauschs und der Information über das Leben von Menschen mit seltenen Erkrankungen, die zum Nachdenken anregt und zum Handeln aufruft.

Ich danke Ihnen, dass Sie sich die Zeit für die Lektüre nehmen und den Betroffenen die Aufmerksamkeit schenken, die sie dringend brauchen und verdienen – aber leider zu oft nicht erhalten.

Ihre Eva Luise Köhler.

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