„Ich wollte leben. Überleben! Für meine Kinder. Für meinen Mann. Für mich.“
Als Linda erfährt, dass sie einen bösartigen Tumor in der Brust hat, ist sie im fünften Monat schwanger. Im Interview spricht sie über ihren Kampf um zwei Leben – ihr eigenes und das ihres ungeborenen Babys.
Bitte erzähle uns von der Diagnose.
Ich habe beim Stillen meines damals anderthalb Jahre alten Sohnes eine Verhärtung in der Brust gespürt und dachte, es sei ein Milchstau. Ich war zu der Zeit schwanger und zeigte den Knubbel meiner Frauenärztin bei einer Schwangerschaftskontrolluntersuchung. Die überwies mich zur Stanzbiopsie und ein paar Tage später bekam ich die Diagnose Brustkrebs.
Was waren deine ersten Gedanken?
Im Gespräch mit dem Arzt lief ab dem Wort „Brustkrebs“ alles wie im Rausch an mir vorbei. Ich wusste gar nicht, woran ich zuerst denken sollte. Ich hatte Angst. Angst zu sterben. Angst um mein Ungeborenes. Angst, meinen Kindern keine Mama sein zu können. Ich hatte die schlimmsten Bilder im Kopf.
Hast du mit deinem kleinen Sohn über die Krankheit gesprochen?
Nein, um Krebs und alles, was dazugehört, zu verstehen, war er noch zu jung. Doch wir haben nichts vor ihm versteckt. Er durfte meine Gefühle, egal ob fröhlich oder traurig, so erleben, wie sie eben gerade waren. Ich finde es wichtig, dass Kinder wissen, dass auch die Angst und das Traurigsein ihre absolute Daseinsberechtigung im Leben haben dürfen und einfach dazugehören.
Welche Therapieentscheidung wurde getroffen?
Es war mit der Diagnose unumgänglich, dass ich eine Operation, Chemotherapie und Bestrahlung benötigen würde. Und das alles noch in der Schwangerschaft. Zu aggressiv und bösartig war mein Tumor, als dass man hätte abwarten können.
Wie groß war deine Angst, dass die Chemotherapie deinem Baby schadet?
Riesig! Doch der Arzt erklärte mir, dass in der Regel keine schweren Nebenwirkungen für das Kind zu erwarten sind. Das nahm mir ein wenig meine Sorgen. Es blieb mir nichts anderes übrig, als der Medizin zu vertrauen. Aktiv beschützen konnte ich mein ungeborenes Kind nicht – das machte mich oft sehr traurig. Doch es gab einfach keine andere Option. Ich wollte leben. Überleben! Für meine Kinder. Für meinen Mann. Für mich.
Wie verlief die Geburt?
Um keine zu lange Therapiepause entstehen zu lassen, musste die Geburt in der 38. Woche eingeleitet werden. Das Ganze dauerte mehrere Tage und brachte mich an den Rand meiner Kräfte. Es deprimierte mich so sehr. Mein Baby war einfach noch nicht bereit und trotzdem musste es auf die Welt kommen, damit ich weiter mit der Therapie machen konnte. Weder mein Baby noch ich hatten eine Wahl. Doch als er dann geboren wurde und kerngesund war, waren all die Strapazen vergessen. Die Emotionen sprudelten nur so aus mir heraus. Endlich konnte ich ihn beschützen. Das war ein so wundervolles Gefühl, woran ich mich so gern zurückerinnere.
Wie ging deine Therapie nach der Geburt weiter?
Bereits zwei Wochen nach der Geburt ging es direkt weiter mit den nächsten, wöchentlichen Chemotherapien. Zwölf an der Zahl, also weitere drei Monate Chemotherapie. Ich hatte kein Wochenbett, keine Zeit der Ruhe, keine Wahl.
Durftest du deinen Sohn stillen?
Leider nein. Mit der brusterhaltenden Op zu Beginn, musste unser erster Sohn sofort abgestillt werden und auch wenn ich unseren zweiten Sohn gern ebenfalls gestillt hätte, war es für mich in Ordnung, dies nicht zu tun. Denn über die Muttermilch wäre die Chemotherapie direkt in seinen kleinen Körper gelangt und das konnte ich somit verhindern. Ich konnte ihn endlich aktiv beschützen. Und auch wenn das Stillen mit der Flasche für mich völlig neu war, sagt es rein gar nichts darüber aus, wie sich Bindung und Liebe zum eigenen Kind entwickelt. Es brachte für uns eher Vorteile, denn mein Mann konnte mich dadurch noch viel mehr unterstützen und ich konnte problemlos stundenlang bei meinen Chemotherapien sein mit dem Wissen, dass auch der Kleinste ist gut versorgt.
Der Alltag mit zwei kleinen Kindern ist auch ohne Krebsbehandlung oft sehr chaotisch. Wie hast du es geschafft, Familienleben und die Therapie unter einen Hut zu bekommen?
Wie wir das alles geschafft haben, weiß ich bis heute nicht. Wir haben einfach funktioniert. Als Paar, als Team, als Eltern. Und nur so ging es.
Du hast die Operation, die Chemo und die Bestrahlungen hinter dich gebracht – und wirst weiter behandelt …
Ja, ich habe mit dem Ende der Bestrahlung mit der Antihormontherapie begonnen. Dabei wird mein Körper künstlich in die Wechseljahre versetzt, um zu verhindern, dass eventuell noch vorhandene hormonsensitive Krebszellen im Körper wachsen können. Diese Therapie begleitet mich nun die nächsten fünf bis zehn Jahre.
Bei einer Kontrolluntersuchung im Dezember hast du erfahren, dass etwas in deiner Brust ist, was da nicht hingehört. Was ging in dir vor?
All das bereits Erlebte lief in Sekunden wieder vor meinen Augen vor mir ab. Leuchtende vier Millimeter, die wieder all die Ängste und Sorgen mit einem Fingerschnippen hervorholten. Die Angst, alles noch mal erleben und durchmachen zu müssen.
Wie gehst du jetzt damit um?
Mein Arzt sagte, dass es sich um nichts Bedenkliches handele und kein Agieren notwendig wäre. Doch eins weiß ich ganz sicher, ich werde keinerlei Zeit mit „Abwarten“ verschwenden und handeln. Was auch immer das in meiner Brust ist, es muss raus. Krebs ist unberechenbar und mir mein Leben mit meinen Kindern zu kostbar, als dass ich irgendeiner eventuellen Gefahr zu lange die Chance gebe, sich auszubreiten.
Wie kam es dazu, dass du deine Krebsdiagnose und -behandlung auf deinem Instagramkanal öffentlich gemacht hast? Was war und ist die Motivation dahinter?
Mein Instagramprofil war ursprünglich mein privater Account und nie ein gezielt eröffneter Krebskanal. Ein bisschen Selfies, ein bisschen Party, ein bisschen Couple-Kram, ein bisschen Schwangerschaft. Mit der Diagnose wurde mein Profil dann zum Ventil meiner Gefühle. Ich schrieb bei meinen damals 500 Followern einfach nur runter, was mich beschäftigte und mir zu dem Zeitpunkt auf dem Herzen lag. So konnte ich all das Geschehene besser verarbeiten und fand einen Ort, bei dem ich auch auf andere erkrankte Frauen traf, die mir neben dem Austausch wiederum viel Mut und Hoffnung auf ein gesundes Leben machten und mit denen ich mich auch über Schwangerschaft und Brustkrebs austauschen konnte. Denn auch wenn diese Kombinaton natürlich viel seltener ist, fand ich hier betroffene Frauen, die gleiches oder ähnliches erlebt haben wie ich und ein gesundes Kind auf die Welt gebracht haben.
Mit dem Verlauf meiner Schwangerschaft und Therapie wurden immer mehr Menschen auf mich und meinen öffentlichen Umgang mit der Erkrankung aufmerksam und plötzlich wurden aus 500 Tausende Wegbegleiter. Unter ihnen auch Menschen, denen ich nun Mut machen konnte und zusammen sind wir eine wahnsinnig wertvolle Community geworden, bei der wir alle wissen, dass wir mit unserer Situation nicht allein sein müssen. Und ich weiß selbst zu gut, was es bedeutet, in dieser schweren Zeit Halt zu finden. Daher führe ich mein Profil auch nach der Akuttherapie zum Thema Krebs fort und nutze nun die erlangte Reichweite auch Nicht-Erkrankte Menschen auf dieses so wichtige Thema aufmerksam zu machen und zu mehr Achtsamkeit mit sich selbst, der Selbstuntersuchung der Brust und dem regelmäßigen Wahrnehmen der Vorsorgeuntersuchungen zu bewegen. Denn auch wenn wir Brustkrebs dadurch nicht verhindern können, gibt es durch das frühzeitige Erkennen und Behandeln die Chance darauf, wieder gesund zu werden. Und wenn ich hier auch nur bei einer Person dazu beitrage, ist es für mich der größte Lohn aus dem Führen meines Instagramaccounts.
Gibt es Momente oder Situationen, die du ganz anders oder bewusster wahrnimmst als früher?
Ich war vor der Diagnose schon extrem dankbar für mein Leben und meine Familie. Ich hätte glücklicher nicht sein können. Da zählen für mich keinerlei materiellen Dinge. Ich hatte und habe den größten Reichtum der Welt: meine Familie. Und auch heute bin ich dankbar. Allein dafür, dass ich hier heute wieder sitzen kann, mit all den typischen Mama- Alltags-Problemchen, die jede Mutter so hat. Ich weiß, auch durch den Austausch mit vielen Betroffenen, dass dies alles andere als selbstverständlich ist und schätze es heute einfach noch viel mehr als je zuvor.
Welche Tipps möchtest du betroffenen und nicht betroffenen Frauen gern mitgeben?
Meine Tipps an betroffene Frauen:
- Auch wenn es einfacher gesagt als getan ist, aber steckt den Kopf nicht in den Sand. Seht das Ziel. Seht das Leben für das sich dieser schwere Weg lohnt und vor allem: glaubt an Euch – Ihr schafft das!
- Lasst auf diesem Weg Gefühle zu. Egal wie sie sind. Man muss nicht jeden Tag positiv sein, denn das ist diese Erkrankung einfach nicht. Daher gehören auch die nicht so schönen Stunden dazu. Wichtig ist nur, sich hier nicht zu verlieren, sondern immer wieder aus dem dunklen Loch herauszukämpfen und nach vorn zu blicken.
- Sprecht offenen mit den Menschen, die ihr lieb und gern habt. Es ist meist für alle das erste Mal und niemand hat den absoluten Plan, wie man damit richtig umgeht. Daher seht es auch eurem Umfeld nach, wenn sie nicht so reagieren, wie ihr es euch wünschen würdet und sprecht offenen mit ihnen darüber, um Missverständnisse aus dem Weg zu räumen.Meine Tipp an nichtbetroffene Frauen:
- Leider trifft jede achte Frau in Deutschland im Laufe ihres Lebens die Diagnose Brustkrebs. Krebs kennt kein Alter, keine Lebenssituation, kein Geschlecht. Daher bleibt bitte, egal wie stressig der Alltag, die Arbeit, das Leben auch sein sollte, immer Achtsam mit euch selbst. Hört auf euren Körper. Reagiert, wenn euch irgendwas komisch vorkommt, nehmt eure Vorsorgeangebote wahr und untersucht einmal im Monat gründlich eure Brüste. Hier gehts um euch, euer Leben. Ihr solltet euch das Wert sein.
Mehr über Linda erfahren Sie auf: www.instagram.com/just_inked87
Das Interview führte Leonie Zell.