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„Wir brauchen altersgerechte, offene und ehrliche Kommunikation – von klein auf“

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Doris Prochaska lebt mit Phosphatdiabetes (XLH), einer seltenen erblichen Knochenerkrankung, die schon im frühen Kindesalter diagnostiziert wurde. Geprägt von vielen Krankenhausaufenthalten, Operationen und den Herausforderungen des Alltags, kennt sie die Belastungen durch XLH aus eigener Erfahrung – und auch als Mutter eines betroffenen Sohnes. Um anderen Betroffenen den Austausch zu erleichtern, gründete sie gemeinsam mit ihrem Mann den Verein Phosphatdiabetes Österreich, den sie heute leitet. Im Interview erzählt sie von ihrem persönlichen Weg, den Herausforderungen im Gesundheitssystem und davon, warum Vernetzung und Sichtbarkeit für Menschen mit seltenen Erkrankungen so wichtig sind.

Bitte erzählen Sie uns, wann und wie bei Ihnen Phosphatdiabetes (XLH) diagnostiziert wurde.


Bei mir wurde XLH bereits im Alter von drei Monaten diagnostiziert – und das eher zufällig. Meine Mutter war damals auf einem Krankenhausgelände unterwegs, als sie von einem Arzt auf ihre körperlichen Auffälligkeiten angesprochen wurde. Nach einem kurzen Gespräch bat er darum, auch mich untersuchen zu dürfen. Sein Verdacht bestätigte sich, und wir wurden ins Preyer’sche Kinderspital nach Wien überwiesen, wo die Diagnose gestellt wurde.

Ihre Mutter ist ebenfalls betroffen. Wie haben Sie die Erkrankung in Ihrer Kindheit erlebt?

Die Erkrankung war in meiner Kindheit ständig präsent. Bis zu meinem 17. Lebensjahr fuhren meine Eltern mit mir alle drei Monate ins Krankenhaus nach Wien – 65 Kilometer hin und zurück. Die langen Wartezeiten erinnere ich gut, auch an die Jausensäckchen meiner Oma, die mir die Zeit versüßten.
Schwieriger waren die Hänseleien wegen meiner O-Beine und vor allem die verletzenden Blicke Erwachsener. Vor meiner Operation mit 13 Jahren hatte ich häufig Gelenkschmerzen. Wenn ich unterwegs nicht mehr weiterkam, haben mich mein Vater oder meine Schwester getragen. Rückblickend haben mich die vielen Krankenhausaufenthalte, die körperlichen Einschränkungen und die Reaktionen meiner Umwelt stark geprägt. Gleichzeitig habe ich früh Unterstützung erfahren – besonders durch meinen Mann, den ich mit 17 kennenlernte und der seit fast 30 Jahren an meiner Seite ist.

Sie erwähnten, dass in Ihrer Familie kaum über die Erkrankung gesprochen wurde. Wie hat das Ihr Verständnis von XLH geprägt?

Da wir wenig darüber gesprochen haben und ich lange keine großen Beschwerden hatte, habe ich XLH fast verdrängt. Erst als meine eigenen Symptome zunahmen und auch mein zweiter Sohn die Diagnose erhielt, wurde mir klar, wie sehr die Krankheit Teil meines Lebens ist.

Ihr Sohn ist ebenfalls betroffen. Wie war es für Sie, diese Diagnose zu erhalten?

Es war ein Schock. Mir war bewusst, dass XLH vererbbar ist, und ich hatte es schon befürchtet, aber die tatsächliche Diagnose hat mir den Boden unter den Füßen weggezogen. Da mein älterer Sohn gesund ist, hatte ich die Hoffnung, dass auch der zweite verschont bleibt. Besonders belastend war es, ihn beim Gehen kämpfen und immer wieder stürzen zu sehen. Mit drei Jahren musste er bereits eine große Operation über sich ergehen lassen, bei der Ober- und Unterschenkel gleichzeitig begradigt wurden.

Welche Unterschiede sehen Sie im Umgang mit XLH zwischen Ihrer Kindheit und der Ihres Sohnes?

Heute ist vieles anders. Seltene Erkrankungen stehen stärker im Fokus, Ärzt:innen suchen viel mehr den Austausch mit Patient:innen, und es gibt eine wirksamere Behandlungsmethode. Auch die Informationsmöglichkeiten im Internet erleichtern Betroffenen und Familien den Alltag enorm. All das war in meiner Kindheit kaum vorstellbar.

Wie sprechen Sie heute in der Familie über die Erkrankung?

Ich hätte mir früher mehr Offenheit gewünscht. Deshalb wollte ich es bei meinem Sohn anders machen. Doch er selbst möchte nicht viel darüber reden. Da meine Beschwerden heute sichtbarer sind, ist die Erkrankung aber präsenter im Alltag – auch ohne viele Worte.

Ein wichtiges Thema ist die Transition, also der Übergang von Kinder- zur Erwachsenenmedizin. Welche Erfahrungen haben Sie gemacht?

In meiner Jugend gab es dafür überhaupt keine Strukturen. Meine Transition fand erst mit Anfang 30 statt – zu spät, denn viele Beschwerden hätten mit früherer Betreuung vielleicht verhindert werden können. Bei meinem Sohn sehe ich, dass das Bewusstsein heute größer ist, doch ob die Umsetzung besser gelingt, wird sich zeigen. Wichtig ist, dass junge Menschen keine Therapieabbrüche erleben und ihre Lebensqualität erhalten bleibt.

Wo sehen Sie die größten Herausforderungen?

Die größte Schwierigkeit ist, Betroffene früh genug zu erreichen und altersgerecht einzubeziehen. Viele wissen zu wenig über ihre Krankheit und verdrängen sie. Hinzu kommt der Mangel an wohnortnaher Expertise. Gerade junge Erwachsene haben ohnehin genug andere Themen und empfinden die Auseinandersetzung mit der Krankheit als zusätzliche Belastung. Nötig wären spezialisierte Anlaufstellen in erreichbarer Nähe sowie altersgerechte Informationsangebote.

Welche Auswirkungen hat XLH für Sie heute?

Ich leide täglich unter wechselnden Beschwerden – Gelenkschmerzen, Entzündungen, Zahnproblemen, starker Müdigkeit. Das beeinflusst Arbeit, Freizeit und Familie. Emotional belastet es sehr, oft zu schwach für Unternehmungen zu sein, aber gleichzeitig nicht ausgegrenzt werden zu wollen. Schuldgefühle gegenüber meinen Kindern kommen hinzu, wenn mir die Energie fehlt.

Wo stoßen Sie auf die größten Hürden im Gesundheitssystem?

In Österreich profitieren wir zwar von einem guten System, aber für XLH gibt es nur wenige Spezialist:innen. Wenn eine Ansprechperson ausfällt, stehen Betroffene plötzlich ohne Unterstützung da. Das darf nicht passieren – es braucht verlässliche, kontinuierliche Strukturen.

Was hilft Ihnen im Alltag?

Vor allem mein Mann, der mich unterstützt und Verständnis hat. Innerhalb der Familie versuchen wir, offen miteinander umzugehen, uns zu entlasten und die Herausforderungen gemeinsam zu tragen. Das gibt mir Kraft.

Warum ist es für Sie wichtig, bei der SEBRACON dabei zu sein?

Weil solche Veranstaltungen seltene Erkrankungen sichtbar machen. Für mich ist es wertvoll, dort Menschen mit ähnlichen Erfahrungen zu treffen. Der Austausch gibt neue Motivation und Hoffnung.

Was bedeutet es für Sie, andere Betroffene zu treffen?

Es bedeutet verstanden zu werden, ohne viel erklären zu müssen. Diese Begegnungen geben mir das Gefühl von Verbundenheit, bringen neue Perspektiven und ganz praktische Tipps.

Welche Rolle spielt Austausch allgemein?

Eine sehr große. Austausch schafft Verständnis, nimmt Isolation und gibt Mut. Gerade bei seltenen Erkrankungen ist er unverzichtbar.

Was wünschen Sie sich für die Zukunft?

Mehr Forschung, neue Therapien, bessere Aufklärung. Vor allem aber, dass Wissen aus Expertisezentren schneller bei Ärzt:innen vor Ort und bei Betroffenen ankommt. Zusammenarbeit und Vernetzung sind entscheidend, um Versorgung und Lebensqualität nachhaltig zu verbessern.

Welche Botschaft möchten Sie der Community mitgeben?

Seltene Erkrankungen sind unsichtbar – wir aber nicht! Wir sind viele und können gemeinsam unsere Anliegen sichtbar machen. Jede Begegnung, jeder Austausch stärkt uns.

Sie leiten auch den Verein Phosphatdiabetes Österreich. Wie kam es dazu?

Nach der Diagnose meines Sohnes haben wir an Treffen des deutschen Vereins teilgenommen. Die lange Anreise war jedoch sehr mühsam. Deshalb haben mein Mann und ich 2019 den Verein in Österreich gegründet – mit dem Ziel, Austausch, Information und Unterstützung auch hierzulande zu ermöglichen.

Welche Schwerpunkte setzt der Verein?

Wir möchten Betroffene vernetzen und Sichtbarkeit schaffen. Zum internationalen XLH-Tag organisieren wir Online-Veranstaltungen, beteiligen uns an Kampagnen und halten unsere Community über Social Media auf dem Laufenden. Auch wenn wir noch klein sind, wollen wir Mut machen und das Bewusstsein für XLH stärken.

Das Interview führte Emma Howe

Phosphatdiabetes Österreich

Heidmayerstraße 24
3100 St. Pölten
Telefon: +43 (0) 664 111 26 41
E-Mail: info@phosphatdiabetes.at
Homepage: www.phosphatdiabetes.at


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