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„NMOSD muss wie ein Schlaganfall in unseren Köpfen präsent sein“

NMOSDProf.v2 min

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Neuromyelitis-optica-Spektrum-Erkrankungen (NMOSD) umfassen eine Gruppe von seltenen Autoimmunerkrankungen. Gemeinsam ist ihnen, dass sich Entzündungen im zentralen Nervensystem bilden – also in Gehirn und Rückenmark. In Deutschland sind gerade einmal rund 2.000 Patienten betroffen. Zum Vergleich: An einer Multiplen Sklerose (MS) leiden etwa 250.000. Doch da die NMOSD in Schüben verläuft, wird sie häufig als MS diagnostiziert – mit oft fatalen Folgen.

Herr Prof. Pul, was ist NMOSD genau, und was belastet Ihre Patienten am meisten?

Die NMOSD ist eine schwere entzündliche Erkrankung des Zentralnervensystems, die bei einem Teil der Betroffenen mit der Bildung von Antikörpern gegen das sogenannte Aquaporin-4, ein Eiweiß in der Zellmembran, das den Wasseraustausch der Zelle mit ihrer Umgebung kontrolliert, einhergeht. Diese Antikörper führen zu einer starken Aktivierung des Entzündungssystems. Anders als bei der MS benötigt diese Erkrankung nur ein bis zwei Schübe, bis schwerste Einschränkungen vorliegen. Deshalb ist das Timing bei der Therapie von NMOSD viel entscheidender als bei der MS, wo wir doch etwas mehr Zeit haben.

Wie ist die psychologische Krankheitslast einzuschätzen?

Die in der Regel sehr schweren Krankheitsverläufe, oft mit Erblindung, Spastiken und massiven Schmerzen, enden häufig mit starken Behinderungen. Das ist für die Betroffenen auch psychologisch sehr belastend. Sie müssen lernen, mit den Einschränkungen umzugehen, und sich an die neuen Lebensumstände, teilweise mit der Notwendigkeit von Hilfsmitteln, anpassen. Diese Diagnose verändert das Leben doch nachhaltig.

Mit welchen „unsichtbaren“ Symptomen sind Betroffene konfrontiert, und wie stark beeinträchtigen sie die Lebensqualität?

Die bleierne Müdigkeit und Erschöpfung (Fatigue) ist eine nicht zu unterschätzende Begleitsymptomatik, weil sie zu erheblichen Lebensqualitätseinbußen führt und sich nicht gut therapieren lässt. Und wer eine Myelitis, also eine Entzündung des Rückenmarks, hat, hat fast immer eine Blasenstörung. Die kann unterschiedlich ausgeprägt sein. Manche haben nur einen starken Harndrang, andere auch eine Dranginkontinenz, oder es liegt eine Kombination aus einer gestörten Blasenentleerung und einem erhöhten Harndrang vor.

Welche Rolle spielen Schmerzen, selbst wenn sie behandelt werden?

Schmerz ist ein großes Problem. Dabei gibt es verschiedene Formen: Zur Behandlung spastik-assoziierter Schmerzen stehen durchaus einige effektive Behandlungsoptionen zur Verfügung. Zur Behandlung einer umschriebenen Spastik des Arms oder Beins kann Botulinumtoxin eingesetzt werden, sofern die Kosten von der Krankenkasse getragen werden. Auch bei Patienten mit neuropathischen Schmerzen, also Schmerzen, die durch die Schädigung des Nervensystems verursacht werden, versuchen wir, über die herkömmliche Schmerztherapie hinaus noch weitere Schmerztherapien einzuleiten. Das führt zumindest zu einem Anstieg der Lebensqualität. Es gibt aber auch andere Arten von Schmerzen oder Engegefühle im Brust- oder Bauchbereich. Das kann auch an den Beinen auftreten. Hier besteht noch Bedarf an neuen Therapien, um mit diesen Schmerzen besser umzugehen.

Was lässt sich mit ergänzenden Behandlungsverfahren erreichen?

Physiotherapie ist ein elementarer Bestandteil der Behandlung, vor allem bei einer Spastik oder einer Lähmung. Sie kann zum Aufbau von Kraft hilfreich sein, aber auch bei Schmerzen. Auch die rehabilitationsmedizinische Behandlung zur Wiederherstellung der physischen und psychischen Fähigkeiten ist ein wichtiger Punkt, keine Option, sondern eine wichtige Maßnahme.

Wie groß ist das Risiko falscher Diagnosen, und was bedeutet das für den Leidensweg der Betroffenen?

Ich hatte einen Patienten, der 2014 die Diagnose MS erhalten hat. Ich habe mir das MRT-Bild des Gehirns angesehen und hätte mich mit der Diagnose auch abfinden können. Es war aber schon sehr auffällig, dass der Patient relativ schnell Lähmungserscheinungen entwickelt hat. Er wurde dann weiter mit MS-Medikamenten behandelt. Ein Problem war, dass der Patient Angst vor MRT-Untersuchungen hatte und der Rückenmarkskanal deshalb nie untersucht worden war. Vermutlich hätte man dabei schwere Schädigungen gesehen, die eher auf eine NMOSD hingedeutet hätten, und die MS-Diagnose hinterfragt. Ich habe dann einen Test auf Antikörper gegen das bereits erwähnte Aquaporin-4 durchgeführt, was dann zur richtigen Diagnose geführt hat. Manchmal ist die Unterscheidung auf den ersten Blick nicht einfach, weil MS ein ähnliches Bild wie NMOSD zeigen kann.

Wie ließe sich diese Zeit verkürzen, damit Betroffene möglichst früh eine Diagnose und Therapie erhalten?

Die Diagnosekriterien sind inzwischen etwas bekannter als früher, sodass Ärzte schon öfter an eine NMOSD denken. Trotzdem ist die Erkrankung noch immer weitgehend unbekannt. Hier kommt es entscheidend auf die Ausbildung der jungen Kollegen an, wir müssen immer wieder Bilder der Erkrankung präsentieren.

Eine andere Schwierigkeit ist, dass die Patienten natürlich nicht direkt in eine Uniklinik gehen. Viele warten geduldig auf ihren Termin vier Monate später beim Neurologen. Ich glaube, hier wäre erst mal Öffentlichkeitsarbeit nötig, um die Erkrankung der Bevölkerung vorzustellen, auch wenn sie selten ist. Und wir dürfen die Hausärzte nicht vergessen, denn sie sind eine entscheidende Schnittstelle.

Was ist Ihr Fazit?

Eine sehr, sehr frühe Diagnosestellung ist so entscheidend, damit Invalidität vermieden werden kann. Deshalb muss die NMOSD wie ein Notfall, wie ein Schlaganfall, in unseren Köpfen präsent sein. Es ist weniger gravierend, eine MS ein bisschen später zu diagnostizieren – aber eine NMOSD darf nicht später diagnostiziert werden.


Für weitere Informationen zur Erkrankung und Diagnose von NMOSD sowie eine Übersicht über Anlaufstellen für Betroffene besuchen Sie die Website www.nmosd-in-focus.com/de.

Dieses Interview wurde in Zusammenarbeit
mit Amgen umgesetzt.

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