Odette lebt seit über 15 Jahren mit einem Sarkom – einer seltenen Krebsart, von der viele nicht einmal gehört haben. Was für andere nur eine Diagnose ist, wurde für sie zu einem lebensverändernden Weg voller Rückschläge, Stärke und Engagement. Im Interview erzählt sie, warum Sichtbarkeit so wichtig ist, was sie sich von der SEBRACON erhofft – und warum Hoffnung oft in den Geschichten anderer beginnt.
Liebe Odette, bitte erzähle uns kurz deine Geschichte und davon, wie du zu deinem Projekt „Leben mit Sarkom“ gekommen bist.
Ein „Projekt“ ist es eigentlich gar nicht – eher ein kleiner Insta-Account. (lacht) Dort teile ich unregelmäßig Einblicke in meinen Krankheitsverlauf und das Leben drumherum – eben mein „Leben mit Sarkom“. Viele Menschen schreiben mir, die selbst ein Sarkom haben oder Angehörige sind. Vielen geht es wie mir am Anfang: Sie bekommen eine extrem seltene Diagnose und fühlen sich hilflos, orientierungslos, auf der Suche nach Austausch.
Ich selbst bekam 2010, mit 28 Jahren, die Diagnose Sarkom. Sarkome sind eine Gruppe seltener Krebsarten – laut WHO gibt es über 170 verschiedene Sarkomtypen. Ich hatte mehrere Operationen, Rezidivtumore, Bestrahlung, eine Antihormontherapie usw. Aufgrund der Bestrahlung kam ich mit 33 in die vorzeitigen Wechseljahre – zum Glück hatte ich da bereits zwei wundervolle Söhne. Danach kamen weitere Folgen: Lymphödem, Fatigue. Seitdem bin ich in Erwerbsminderungsrente. Seit drei Jahren nehme ich eine dauerhafte Tabletten-Chemo, die glücklicherweise das Rezidivwachstum gestoppt hat. Ich hoffe sehr, dass ich diese Therapie noch lange fortsetzen kann.
Was bedeutet für dich persönlich das Thema „Leben mit Seltenen Erkrankungen“?
Ich lebe nun schon seit 15 Jahren mit einer seltenen Krebserkrankung – und dennoch muss ich meine Diagnose immer wieder erklären. Nicht nur bei neuen Bekanntschaften, sondern auch bei neuen Ärzten, Pflegepersonal, Physiotherapeuten. Immer wieder dieselben Fragen, Ungläubigkeit, und Kommentare wie: „Das hab ich ja noch nie gehört!“
Auch in der Behandlung zeigt sich das immer wieder. Da heißt es dann: „Das kann eigentlich gar nicht sein. Diese Diagnose gibt es so nicht.“, „Wir versuchen es mit Bestrahlung, aber ob es etwas bringt, wissen wir nicht.“, „Wir befinden uns außerhalb der Leitlinien. Wir haben keine Vergleiche.“, oder: „Sie sind bei uns die einzige Patientin, die dieses Medikament so lange nimmt. Wir schauen von Termin zu Termin.“ – Ich fühle mich eigentlich immer wie ein Versuchskaninchen. Aber wer weiß, was kommt. Jeder Tag bringt mich einer passenden Therapie oder vielleicht sogar einer Heilung näher.
Warum ist es dir wichtig, mit deiner eigenen Geschichte mehr Sichtbarkeit für Sarkome und seltene Krebserkrankungen zu schaffen?
Weil viel zu wenig geforscht wird, Therapien fehlen – und es immer noch viele Behandler gibt, die noch nie von Sarkomen gehört haben. Betroffene werden nicht ernst genommen oder es wird einfach operiert, ohne die Diagnose genau zu prüfen. Diese sogenannten „Whoops-Operationen“ verschlechtern die Prognose dramatisch! Niemand sollte sich mit dieser Diagnose so alleine fühlen, wie ich damals. Oft schreiben mir Menschen, die gerade erst diagnostiziert wurden: „Ich dachte, das war’s jetzt für mich. Dann habe ich deine Geschichte gelesen. Du lebst schon so lange mit der Krankheit – das gibt mir Hoffnung!“
Was sind aus deiner Sicht die größten Herausforderungen, denen Menschen mit Sarkomen oder anderen seltenen Erkrankungen gegenüberstehen?
Viel zu lange Diagnosezeiten, unpassende oder verspätete Therapien, mangelnde Nachsorge und der fehlende Hinweis auf Selbsthilfeangebote.
Wie wichtig sind Austausch und Vernetzung zwischen Betroffenen, Angehörigen und Fachleuten bei seltenen Erkrankungen – und warum?
Austausch und Vernetzung sind aus meiner Sicht der Schlüssel zu mehr Awareness und Information – für alle Beteiligten. Wir Betroffenen sollten Experten für unsere Erkrankung werden. Und wenn wir das selbst nicht können, dann hoffentlich jemand aus unserem Umfeld. Fachleute können von unseren Erfahrungen lernen: für zukünftige Patienten, für Forschung, für bisher unbeachtete Bedarfe.
Welche Rolle spielt die Aufklärung und Sensibilisierung der Öffentlichkeit im Umgang mit seltenen Erkrankungen?
Ich vergleiche das gerne mit dem Verteilen von Sonnenblumensamen – denn die Sonnenblume ist das Symbol für Sarkome. Wenn ich über Social Media, in unserem Podcast, in Artikeln, auf Fachkonferenzen oder vor Pflege-Azubis über Sarkome spreche, streue ich diese Samen aus. Manche keimen, manche nicht – aber einige bleiben hängen und bewegen etwas: Vielleicht entwickelt eine Forscherin eine neue Frage. Ein Pfleger weiß plötzlich, wo er Informationen findet. Eine Betroffene fühlt sich gesehen. Oder ein Verstorbener bleibt in Erinnerung. Ich habe so viele Menschen an Sarkomen sterben sehen – darunter Kinder, Jugendliche, junge Erwachsene. Es muss sich etwas tun. Sarkome sind selten – aber es sind viele betroffen.
Die SEBRACON findet dieses Jahr zum ersten Mal statt – eine Convention, die Menschen mit seltenen Erkrankungen zusammenbringen will. Was bedeutet das Motto #dubistnichtallein für dich persönlich?
#dubistnichtallein ist auch mein Motto, seit ich in der Selbsthilfe aktiv bin. Jahrelang fühlte ich mich einsam, wie ein kleines, unsichtbares Alien, mit dem niemand etwas anfangen konnte. Heute bin ich Teil einer starken Gemeinschaft. Es rührt mich jedes Mal, wenn jemand zu mir sagt: „Du bist die erste andere Sarkom-Betroffene, die ich treffe. Endlich fühle ich mich nicht mehr so alleine.“
Warum sind Veranstaltungen wie die SEBRACON so wichtig – nicht nur für Betroffene, sondern auch für das Gesundheitssystem und die Gesellschaft?
Sie bringen Menschen zusammen: Betroffene, Angehörige, Mediziner, Forschende, Industrie, Geldgeber, Presse, Politik, Selbsthilfeverbände. #wirsindviele – und gemeinsam können wir viel bewegen. Für mich sind solche Events elektrisierend und motivierend – wie ein großes Treffen mit vielen Freunden die man viel zu selten sieht.
Was erhoffst du dir persönlich von der SEBRACON?
Gemeinschaftsgefühl, neue Kontakte, Inspiration, Motivation, Awareness. Einen Impuls, der nach außen strahlt und uns sichtbar macht. Und am Abend danach das wohlig-warme Gefühl, mit vollem Herzen, völlig erschöpft, aber glücklich ins Bett zu fallen.
Und worauf freust du dich am meisten?
Auf viele besondere Menschen, die ich bisher nur online kannte – und sie nun endlich in echt zu treffen.
Liebe Odette, wir freuen uns auf DICH!
Das Interview führte Leonie Zell