Anita Cieslik freute sich auf ihr Wunschkind – alles schien perfekt. Bis elf Wochen vor dem Geburtstermin alles anders kam: Ihr Joshua kommt zu früh zur Welt und schnell merkt Anita, dass ihr Sohn anders ist. Jahrelang kämpft sie um eine Diagnose. Über ihren Weg schreibt sie hier.
Mein Wunderkind
Mein Sohn Joshi ist mein größtes Wunder, denn man hatte mir immer gesagt, dass ich nicht schwanger werden könnte. Umso größer war dann natürlich die Freude, als es hieß: „Glückwunsch, Sie sind schwanger“. Und das war ich wirklich, überglücklich. Die Schwangerschaft lief unproblematisch. Bis auf die Übelkeit war alles super. Ich zählte die Tage, bis ich endlich mein Wunderkind in den Armen halten konnte. Das ging dann auch schneller als geplant. In der 28+6 (Anm. d. Redaktion: 28. Schwangerschaftswoche plus 6 Tage) bekam ich nachts einen Blasensprung und ich wurde mit Blaulicht ins Krankenhaus gefahren, wo ein Notkaiserschnitt gemacht wurde. Die Ärzte meinten, es sei kurz vor knapp gewesen und die kommenden zwei Tage würden zeigen, ob mein Joshi es schaffen würde. Er kämpfte sich ins Leben und schon nach kurzer Beatmung konnte die CPAP-Maske ab und Joshi atmete allein. Anfangs hatte er noch eine Trinkschwäche, doch die legte sich schnell.
Joshis Kopf war viel zu groß
Alles war gut, außer dass mein Wunderkind einen so großen Kopf und einen sechsten Finger hatte. Ich fragte immer wieder nach, ob das normal sei. Die Ärzte meinten, dass der Finger später in einer OP amputiert wird, und machten einen MRT sowie einen Ultraschall vom Kopf, doch das ergab keinen Befund. Hinzu kamen die ständigen Infekte, die mir auch große Sorgen bereiteten. Die Ärzte sagten nur: „Er ist ein Frühchen, da ist das so“. Joshi bekam dann einen Reflux, der dazu führte, dass der Urin nicht ausgeleitet wurde, sondern zurück in die Niere ging. Da war Joshi sechs Monate alt und wir wieder zwei Wochen in der Uniklinik. „Sowas kann passieren“, „Aber wir können es uns nicht erklären“, waren Sätze die ich immer wieder zu hören bekam. Und sie häuften sich.
Mittlerweile machte die Entwicklungsverzögerung sich bemerkbar.
Mittlerweile machte die Entwicklungsverzögerung sich bemerkbar. Joshi konnte den Kopf nicht heben, er konnte sich nicht drehen. Er hat nie auf Gegenstände gezeigt, äußerte keine Grundbedürfnisse. Die ersten Worte, die ersten Schritte – alles hat gedauert. Ich hatte das Gefühl, dass jeder normale Entwicklungsschritt für Joshi ein Kampf war.
Der Kampf um Hilfe
Mir kam das alles sehr merkwürdig vor und ich bat um einen Termin beim SPZ (Anm. d. Red.: Sozialpädiatrisches Zentrum). Dort waren sie auch recht ratlos. Physiotherapie, Frühförderung und das immer wieder Üben, da Joshi auch eine Muskelschwäche im Oberkörper hatte. Ich hatte mir immer wahnsinnig gewünscht meinen Sohn in einer Babytrage an meinem Körper zu tragen. Leider war das nicht möglich. Und als es möglich gewesen wäre, War Joshi schon zu groß und zu schwer. Bei uns war halt alles etwas anders.
Als Joshi zwei Jahre alt war, bekam er Paukenröhrchen in einer OP eingesetzt, da er nur sehr wenige Worte sprach. Danach begann er zu reden wie ein Wasserfall – manchmal ohne zu wissen, was er sagt. Er versteht auch nicht alles, ist aber ein Meister darin, es zu kaschieren. Dank dem vielen Üben und der Hilfe lieber Therapeuten konnte Joshi einige Sachen ausgleichen, gegenüber Gleichaltrigen ist er immer ein bis anderthalb Jahre im Rückstand. Der große Kopf beeinträchtigte ihn auch sehr – finden Sie mal Kinderkleidung, wenn ihr Kind die Kopfmaße eines Erwachsenen hat. Da passt kein Pulli, nur wenn er viel zu groß ist.
Gegenwind
Neben all den Herausforderungen stellte ich mir immer wieder die Frage, was mein Sohn genau hat. Eine Antwort darauf hatte ich immer noch nicht bekommen. Ich hatte dann das Glück an eine sehr engagierte Ärztin zu kommen, die sagte: „Wenn Sie wollen, werden wir den Grund für den zu großen Kopf, die Entwicklungsverzögerung und die Motorikschwäche herausfinden“. Natürlich wollte ich. Auch wenn in meinem Umfeld nicht alle meine Meinung teilten. „Warum willst du Joshua so vielen Untersuchungen aussetzen?“, „Er sieht doch auch wie du und du bist auch nicht krank“, waren Sätze, die ich mir anhören musste. Dennoch entschied ich mich dafür.
Endlich bekamen wir eine Diagnose
Viele Untersuchungen später wurden wir zur Blutentnahme bei der Humangenetik gebeten und viele Monate später stand die Diagnose fest: Cowden Syndrom. Auch bei mir wurde dann Blut abgenommen und dadurch kam heraus, dass ich es auch habe. Schon immer wusste ich, dass etwas nicht stimmt, doch niemand hat mir geglaubt. Immer wieder bin ich wegen meiner Schilddrüse zum Arzt gegangen, um zu hören, dass alles in Ordnung ist. Als auch ich die Diagnose Cowden Syndrom bekam, ging alles plötzlich ganz schnell. Es wurde etwas gefunden und die Schilddrüse musste mir entfernt werden. Das waren harte Wochen.
Doch das Leben musste weitergehen und so versuchten wir positiv in die Zukunft zu blicken. Schließlich hatten wir jetzt die Diagnose. Jetzt muss doch alles gut werden. Leider ist dem nicht so. Wir hatten zwar eine Diagnose, doch niemand wusste nun weiter. Kein Arzt kennt die Genodermatose. Man fühlt sich von der Medizin komplett im Stich gelassen. Und so wie uns geht es vielen Betroffenen.
Viele Ärzte wollen sich nicht mit uns befassen.
Man wird einfach abgestempelt. Viele Ärzte wissen von dem 89 Prozent erhöhtem Krebsrisiko, das die Krankheit mit sich bringen, sagen aber, dass das ja erst später auftritt. Kaum ein Arzt sieht die Symptome. Ich finde das furchtbar: Warum sieht man die Menschen mit seltenen Erkrankungen nicht? Wir sind doch da! Nur leider wollen sich nur wenige mit uns befassen.
In den letzten Monaten haben wir Aussagen wie: „Melden Sie sich, wenn Sie Krebs haben“, „Gehen Sie zum Hausarzt“, „Was erwarten Sie von uns?“ „Ich würde Sie gern untersuchen, aber ich weiß nicht nach was ich suchen soll.“ usw. – die Liste ist lang.
Der Austausch mit anderen
Wir fahren hunderte von Kilometern zu Ärzten in der Hoffnung auf eine einigermaßen adäquate Untersuchung, um mit jemanden zu sprechen der vielleicht eine Idee hat und die Leiden nicht klein redet. Uns als Familie hilft der Austausch mit anderen Betroffenen sehr. Nur so schafft man es, die Kraft aufzubringen weiterzumachen, denn gefühlt ist jeder Tag mit einer seltenen Erkrankung ein Kampf. Wir sind zwar selten, aber sollten nicht alleingelassen werden!
Wie es bei Joshi und seiner Familie weitergeht, können Sie auf www.instagram.com/ein_fruehchen_mit_cowden verfolgen
Diesen Artikel hat Anita Cieslik geschrieben.