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„Nach mir die Freiheit“

Obwohl jeder Mensch eines Tages stirbt, gehört der Tod zu den größten Tabuthemen unserer Gesellschaft. Wir verdrängen die Gedanken an die eigene Endlichkeit. Dabei ist es wichtig, sich mit dem Tod und letzten Wünschen auseinanderzusetzen. Wir sprachen darüber mit Testamentsvollstreckerin Annette Thewes.

Thewes

Annette Thewes
ist zertifizierte Testamentsvollstreckerin und kümmert sich seit mehr als 20 Jahren um die Abwicklung von Nachlässen für gemeinnützige Organisationen

Frau Thewes, Sie arbeiten unter anderem im Auftrag von Amnesty International. Gibt es hier eine Begebenheit, die Ihnen besonders in Erinnerung geblieben ist?

Ja, es ist die Geschichte von Nils Genrich – er hat Amnesty jahrzehntelang als Spender unterstützt. Sein Testament wickeln wir noch immer ab. Diese Geschichte ist fast wie ein Krimi: Wir haben früh erfahren, dass es ein Testament gibt, in dem Amnesty berücksichtigt ist. Aber dieses Testament war – um es vorsichtig zu formulieren – verschollen. Es brauchte sehr große Anstrengungen, um es aufzufinden. Obwohl nicht sicher war, dass wir das Original finden würden, sagten wir uns, wir müssen uns kümmern, auch um eine würdevolle Beisetzung, um buchstäblich die letzte Ehre zu erweisen. Also haben wir uns vor Ort mit den anderen Beteiligten in der Wohnung des Verstorbenen getroffen und sind auf Spurensuche gegangen, wie Detektive, um alles so organisieren zu können, wie Nils Genrich es gewollt hätte.

Konnten Sie sich auch ein Bild der Person machen?

Es war eindrucksvoll, in der Wohnung von Herrn Genrich zu sein. Er war ein sehr außergewöhnlicher Mensch, hat sehr selbstbestimmt gelebt, das konnte man noch über seinen Tod hinaus deutlich spüren. Es schien fast so, als wäre er anwesend, er war präsent. Das ist nicht immer so. Auch die Menschen um Nils Genrich herum, seine engsten Freunde, mit denen wir Kontakt hatten, waren außergewöhnlich. Sie haben viel und sehr lebendig von ihm erzählt. Ein Freund berichtete, wie sie immer zusammen Wein auf einer Bank bei seiner Hamburger Wohnung getrunken hätten, um dann auf den Kanälen mit dem Kanu zu fahren. Sein Kanu lag noch immer auf dem Wasser vor der Terrasse, als wir in die Wohnung kamen.

Wie war das mit der Beisetzung?

Herr Genrich hatte sich eine Seebestattung gewünscht, wir organisierten das, suchten das Schiff aus, die Urne … auch ein Foto von ihm, das wir in der Wohnung gefunden hatten, legten wir dazu. Viele Freunde waren gekommen, Bekannte, Nachbarn – alle sprachen auf der Beerdigung sehr lebendig über ihn. Die Tochter einer ehemaligen Lebensgefährtin kam mit ihrem Baby und erzählte, wie sie die Zeit mit ihm empfunden hat. Alle schilderten sehr eindringlich, was für ein Mensch Herr Genrich war – selbstbestimmt, auch stur, aber auch sehr großherzig. Und sehr, sehr lebensbejahend. Hier war es wirklich so, dass uns die Geschichten und die Eindrücke zu diesem Menschen sehr bewegt haben.

Nils

Traueranzeige für Nils Genrich

Amnesty hat eine Traueranzeige für Herrn Genrich geschaltet – wie kam es dazu?

Auch das ist ein besonderer Fall, das wird nicht immer gemacht. Wir schalten eine Traueranzeige aus Dankbarkeit und auch aus Wertschätzung den Verstorbenen gegenüber. Natürlich nur, wenn das Umfeld damit einverstanden ist. Bei Herrn Genrich haben wir Trauerkarten verschickt und die Anzeige geschaltet, um so alle erreichen zu können, die vielleicht nicht in so engem Kontakt zu den Freunden standen, die uns bekannt waren. Wenn die Familie oder das Umfeld sagen, nein, der oder die Verstorbene hätte das nicht gewollt, machen wir es nicht.

Sie wickeln seit 25 Jahren Testamente für gemeinnützige Organisationen ab. Hat sich in dieser Zeit etwas verändert?

Ja, es hat sich einiges verändert. Als wir anfingen, wurde keinerlei Werbung zum Thema Nachlass und Testament gemacht. Kaum jemand wusste, dass man auch über den Tod hinaus eine Organisation unterstützen kann, indem man sein Testament zugunsten der Organisation macht. Heute ist das anders. Es wird offen kommuniziert, dass man auch nach seinem Tod Gutes tun und so seinem Leben noch mal auf einer anderen Ebene einen Sinn geben kann.

Warum bedenkt jemand eine Organisation in seinem Testament?

Selbstbestimmtheit spielt eine große Rolle. Jemand, der selbstbestimmt gelebt hat, möchte diese Freiheit meist auch über das Leben hinaus. Man kann die Spuren, die man hinterlässt, selbst prägen, kann das, was einem im Leben wichtig war, über den eigenen Tod hinaus unterstützen.

Warum ist es so wichtig, sich um die Themen Nachlass und Testament zu kümmern?

Nur wenn man sich selbst dazu Gedanken macht, hat man eine Wahl. Dabei geht es oft gar nicht so sehr ums Geld, sondern mehr um die Frage, ob das eigene Leben einen Sinn hatte. Wenn man sich darauf einlässt, sich im Leben Gedanken darüber zu machen, was danach passiert, dann kann das sehr beruhigend sein.

Es ist auch wichtig, seine Wünsche festzuhalten, denn sonst passiert eventuell nicht das, was man sich selbst wünscht. Für den Fall, dass es kein Testament gibt, sieht die Gesetzgebung eine klare Regelung vor, die aber nicht immer zum eigenen Leben passt.

Warum sollte man Amnesty International im Testament bedenken?

Wer sich für Amnesty entscheidet, dem sind die Werte wichtig, die Amnesty vertritt: Es ist die Entscheidung, die Welt mit seinem Erbe ein bisschen freier und besser zu machen. Mit dem Zitat „Nach mir die Freiheit“ beschrieb mal jemand die Motivation, Amnesty als Erben einzusetzen. Ich finde, das trifft es auf den Punkt.

Dieses Interview ist in Zusammenarbeit mit
Amnesty International entstanden


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