Als Stella Maria Barghouty zur Welt kam, kämpfte sie um ihr Leben. Eine schwere Lungenentzündung war der Beginn einer Kindheit, in der Atmen nie selbstverständlich war. Ihr Vater Hussein kennt diese Angst gut, er hatte selbst als Kind Asthma. Gemeinsam mit Mutter Irene, Bruder Erik und Familienhund Enya lernte die Familie, mit der Erkrankung zu leben und trotzdem ein normales, erfülltes Leben zu führen. Heute, mit 16, steht Stella auf Bühnen, singt und zeigt, dass Musik ihre stärkste Therapie ist. Im Gespräch erzählen Vater und Tochter, wie sie aus Angst Vertrauen und aus Schwäche Stärke gemacht haben.
Lieber Hussein, wie und wann kam es damals zu Stellas Diagnose, und wie habt ihr das als Familie aufgenommen?
Stella kam krank auf die Welt. Eine schwere Lungenentzündung, drei Antibiotika wirkten nicht und die Ärzte sagten uns, sie werde vielleicht nicht überleben. Diese Stunden haben sich eingebrannt. Ich fuhr mitten in der Nacht in ein anderes Krankenhaus, klingelte an der Kinderstation und bat um Hilfe. Ein Arzt empfahl ein neues Medikament, das ihr das Leben rettete. Ab diesem Moment wussten wir, dass ihre Lunge ihr schwächster Punkt bleiben würde. Unser Alltag war geprägt von Sorge und Wachsamkeit. Irene und ich teilten uns die Nächte auf. Einer blieb bei Stella, der andere bei ihrem Bruder Erik. Wir stellten Wecker, kontrollierten Atmung, Temperatur und Medikamente. Wenn Stella hustete, hielt ich automatisch den Atem an. Diese Angst sitzt tief, aber sie lehrt dich Demut. Mit der Zeit lernten wir, in kleinen Schritten zu denken. Ein guter Tag war ein Geschenk, eine ruhige Nacht ein Wunder. Wir haben als Familie zusammengehalten. Das war unsere Rettung.
Du hattest selbst Asthma als Kind. Hast du bei Stella früh gemerkt, dass sie ähnliche Symptome hat?
Ja, sofort. Ich erkannte das Pfeifen beim Atmen und die Enge in der Brust. Das versteht nur jemand, der es selbst erlebt hat. Wenn ich sie so sah, wusste ich genau, wie sie sich fühlte. Ich hätte ihr diese Erfahrung gern erspart. Manchmal fühlte ich mich schuldig, als hätte sie das von mir geerbt. Aber ich dachte auch, vielleicht bin ich gerade deshalb der Richtige, um ihr zu zeigen, dass man damit leben kann. Dass ein Leben mit Asthma lebenswert ist. Ich konnte sie anleiten, Atemtechniken zu üben, ruhig zu bleiben und keine Panik zu bekommen. Wir redeten viel darüber, dass Angst alles schlimmer macht. Ich glaube, das hat sie stark gemacht, zu wissen, dass jemand sie wirklich versteht.
Liebe Stella, hast du als Kind verstanden, was Asthma bedeutet?
Als Kind verstehst du das nicht. Du spürst nur, dass du anders bist. Ich erinnere mich, wie ich im Turnunterricht am Rand stand, während die anderen liefen. Ich wollte mitmachen, aber schon beim ersten Sprint bekam ich keine Luft. Ich sah die anderen lachen, und in mir war nur dieses Brennen in der Brust. Ich fühlte mich oft ausgeschlossen, nicht weil die anderen gemein waren, sondern weil mein Körper einfach nicht mitmachte. Zu Hause spielte mein Bruder Fußball und ich schaute zu. Ich wollte aber kein Mitleid. Heute weiß ich, dass Asthma nicht das Ende, sondern der Anfang meiner Geschichte war. Damals war es Dunkelheit, heute ist es mein Antrieb.
Wie hat sich euer Alltag nach der Diagnose verändert – mit Medikamenten, Arztbesuchen und Schule?
Hussein: Unser Alltag war ein Uhrwerk aus Medikamenten, Inhalationen und Arztterminen. Wir hatten Notfalltaschen im Auto, in der Schule und im Schlafzimmer. Jede Reise und jeder Ausflug war eine Herausforderung. Wir lebten in ständiger Bereitschaft.
Stella: Ich hatte immer meinen Inhalator dabei, manchmal auch Cortison. Ich wusste schon mit sechs Jahren, was welche Dosis bedeutet. Ich hasste es, wenn andere Kinder fragten: „Was hast du da?“ Ich wollte einfach normal sein. Aber ich wusste, dass diese Medikamente mein Leben retten.
Hussein: Wir versuchten, ihr Kindheit zu geben, trotz allem. Wir machten Spiele daraus, zählten Atemzüge und feierten kleine Erfolge. Wenn sie mal einen Tag ohne Spray auskam, war das für uns wie ein Fest.
Hattet ihr genug Informationen und Unterstützung, um mit der Krankheit gut umzugehen?
Hussein: Am Anfang nicht. Du bekommst Diagnosen, Medikamente und Ratschläge, aber niemand erklärt dir, wie du als Familie damit lebst. Wir fühlten uns oft allein. Dann trafen wir gute Ärzte, die uns die Angst nahmen und Sicherheit gaben.
Stella: Erst später, als ich größer wurde, fanden wir Organisationen wie die Österreichische Lungenunion. Dort traf ich Kinder, die wussten, wie es sich anfühlt, wenn die Luft nicht reicht. Das war das erste Mal, dass ich mich verstanden fühlte.
Hussein: Heute wissen wir, Wissen ist Macht. Je mehr du über die Krankheit verstehst, desto weniger Macht hat sie über dich.
Wie hat sich euer Umgang mit Asthma im Lauf der Jahre verändert?
Stella: Früher war ich ein Kind, das ständig überwacht wurde. Heute trage ich selbst Verantwortung. Ich weiß, wann ich Medikamente brauche, wann ich aufhören muss und wann ich weitermachen kann. Ich höre auf meinen Körper.
Hussein: Wir haben gelernt, loszulassen. Früher war jeder Husten ein Alarmzeichen, heute vertrauen wir. Stella hat gelernt, ihre Krankheit zu managen. Das ist vielleicht der größte Sieg.
Stella, welche Therapien oder Methoden helfen dir heute am meisten?
Natürlich meine Medikamente, aber das Singen ist mein größtes Heilmittel. Wenn ich singe, trainiere ich meine Lunge, ohne daran zu denken. Ich atme tiefer, länger und bewusster. Die Töne tragen mich, und ich vergesse die Krankheit. Ich habe gelernt, meine Atemtechnik aus der Musik in den Alltag mitzunehmen. Wenn mir die Luft knapp wird, atme ich wie beim Singen, ruhig und rhythmisch. Das hilft wirklich.
Hussein, wie unterstützt ihr als Familie Stella, wenn es ihr schlechter geht?
Wir versuchen, Ruhe zu bewahren. Das ist das Wichtigste. Früher gerieten wir in Panik, heute wissen wir, Panik verschlechtert alles. Wir schaffen eine ruhige Umgebung, achten auf Luftfeuchtigkeit, Ablenkung und Routine. Wenn sie merkt, dass wir ruhig sind, wird sie auch ruhig. Mittlerweile ist Stella diejenige, die uns beruhigt. Sie sagt: „Papa, alles gut, ich hab das im Griff.“ Und sie hat recht.
Was hat sich im Vergleich zu früher verbessert, medizinisch oder im Alltag?
Hussein: Die Medizin hat Fortschritte gemacht, aber die größte Veränderung liegt in Stella selbst. Früher bestimmte Asthma unseren Alltag, heute bestimmt Stella ihn.
Stella: Ich fühle mich frei. Ich laufe, tanze, singe. Früher saßen meine Eltern neben meinem Bett im Krankenhaus, heute sitzen sie in der ersten Reihe bei meinen Auftritten. Das ist der größte Unterschied. Ihr Lächeln ersetzt die Angst.
Stella, wie gehst du heute mit der Verantwortung um, deine Erkrankung selbst zu managen?
Ich habe früh gelernt, Verantwortung zu übernehmen. Früher erinnerten mich Mama und Papa an meine Medikamente, heute denke ich selbst daran. Ich kenne meinen Körper gut und weiß, wann ich zu viel mache und wann ich eine Pause brauche. Das gibt mir Sicherheit und Freiheit zugleich. Ich habe Ärzte, die mich als Mensch sehen, nicht nur als Patientin. Musik ist Teil meiner Therapie. Ich sehe Asthma nicht mehr als Feind, sondern als Lehrer. Es zwingt mich, auf mich selbst zu achten, und das ist ein Geschenk.
Wie bist du darauf gekommen, dass Singen dir hilft?
Das war Zufall. Wir waren in Finnland auf einem Campingplatz, dort gab es Karaoke. Ich war neun und wollte Spaß haben. Ich sang „My Heart Will Go On“ und merkte, dass ich tiefer atmen konnte. Ich konnte die Töne halten, ohne Husten und ohne Panik. Das war wie ein kleines Wunder. Später sagte mein Arzt, dass kontrolliertes Singen die Atemmuskulatur stärkt. Für mich war es mehr. Es war das erste Mal, dass mein Körper etwas Schönes tun konnte und nicht nur kämpfen musste.
Hussein, was hast du gedacht, als Stella mit Gesangstraining begann?
Ehrlich, ich hatte Angst. Ich wollte nicht, dass sie sich überanstrengt. Doch schon nach den ersten Stunden merkte ich, wie gut es ihr tat. Ihr Blick wurde klarer, ihr Atem ruhiger. Ich saß einmal im Auto, während sie Unterricht hatte, und hörte durch die Tür, wie sie sang. Ich musste weinen. Da wusste ich, das ist ihr Weg.
Stella, welche Veränderungen habt ihr durch das Singen gemerkt, körperlich, seelisch und im Alltag?
Ich merke es in jedem Atemzug. Früher war Atmen anstrengend, heute ist es Teil meiner Musik. Das Singen gibt mir Frieden.
Hussein: Sie hat sich durch Musik selbst geheilt, Stück für Stück. Früher war sie oft erschöpft, heute sprüht sie vor Energie. Musik hat uns allen Hoffnung gegeben.
Wie verbindest du Musik, Schule und Therapie?
Ich bin gut organisiert. Ich teile meine Energie ein. Morgens Schule, nachmittags Musik, dazwischen Pausen. Meine Lehrer verstehen mich. Wenn ich krank bin, schicken sie mir Aufgaben. Musik ist kein Stress, sie ist Teil meiner Heilung. Wenn ich singe, vergesse ich Husten und Angst.
Dein Song „Breathless“ handelt von deinem Weg. Was möchtest du damit sagen?
„Breathless“ ist meine Geschichte. Ich wollte ehrlich sein, über die Angst, keine Luft zu bekommen, und über den Mut, weiterzumachen. Ich möchte anderen sagen, du bist nicht allein. Auch wenn du manchmal „breathless“ bist, heißt das nicht, dass du schwach bist. Es heißt, dass du lebst.
Welche Bedeutung hat Musik für dich im Hinblick auf deine Lungengesundheit?
Musik ist mein Atem geworden. Früher hatte ich das Gefühl, die Luft fehlt mir. Heute gehört sie mir. Jeder Song ist Training, jede Melodie Heilung.
Welche Tipps gibst du anderen Jugendlichen mit Asthma?
Hab Geduld. Beweg dich, atme, sing, tanze. Mache alles, was dich glücklich macht, denn das hilft. Rede über deine Erkrankung. Und ganz wichtig: Stärke heißt, sich auch Hilfe zu holen, wenn man sie braucht.
Hussein, welche Routinen helfen Stella, stabil zu bleiben?
Regelmäßigkeit. Schlaf, Ernährung, Bewegung. Keine Extreme. Rhythmus ist der Schlüssel. Und natürlich das Singen. Wenn sie auf der Bühne steht, sieht niemand mehr die Krankheit, nur die Kraft.
Wie unterstützt ihr euch gegenseitig im Alltag?
Stella: Wir sind eine Einheit. Wenn ich mal einen schlechten Tag habe, sagt Papa: „Atme, alles ist gut.“ Und wenn er müde ist, sage ich: „Jetzt bin ich dran.“
Hussein: Asthma betrifft nie nur eine Person, sondern immer eine Familie. Wir haben gelernt, füreinander da zu sein, ohne Worte.
Hussein, wie reagieren Freunde, Lehrer oder Ärzte heute?
Heute mit Bewunderung. Früher gab es Mitleid, heute sehen sie eine junge Frau, die gelernt hat, sich selbst zu helfen. Eine Ärztin sagte einmal: „Ich habe noch nie jemanden gesehen, der Asthma so souverän managt.“ Ich war stolz.
Stella, wie offen gehst du mit der Krankheit um?
Ganz offen. Früher wollte ich sie verstecken, heute rede ich darüber. Verletzlichkeit ist keine Schwäche, sie ist Stärke.
Was wünscht ihr euch von Schulen, Ärzten und Politik?
Hussein: Mehr Bewusstsein. Schulen sollten wissen, wie man Kindern mit Asthma hilft.
Stella: Therapieangebote wie Musik- oder Atemtraining sollten leichter zugänglich sein. Musik hat mir geholfen und sie kann auch anderen helfen.
Was möchtet ihr anderen Betroffenen sagen?
Stella: Es wird besser. Asthma ist kein Ende, sondern ein Anfang.
Hussein: Eltern sollten Geduld haben, ruhig bleiben und vertrauen. Liebe, Wissen und Hoffnung sind die stärksten Medikamente.
Stella, was sind deine Ziele, gesundheitlich und musikalisch?
Gesund bleiben, meine Lunge trainieren und Musik machen, die anderen Mut gibt. Ich arbeite an neuen Songs und träume von einem Album, das vielen anderen Betroffenen Hoffnung schenkt.
Hussein, was wünschst du deiner Tochter für die kommenden Jahre?
Gesundheit, innere Stärke und dass sie ihre Stimme nie verliert, nicht die gesangliche, sondern die innere.
Wie stellt ihr euch ein gutes Leben mit Asthma in Zukunft vor?
Stella: Ich will frei atmen, reisen, Musik machen und anderen Mut geben.
Hussein: Ein gutes Leben ist eines, in dem Asthma keine Rolle mehr spielt. Wenn ich Stella heute singen höre, weiß ich, wir haben das geschafft.
Das Interview führte Emma Howe





