Zusammen sind wir viele!
Prof. Dr. Annette Grüters-Kieslich
Kinder- und Jugendärztin,
Vorstandsvorsitzende der Eva Luise und Horst Köhler Stiftung für Menschen mit Seltenen Erkrankungen
Vier Millionen Menschen in Deutschland leben mit einer Seltenen Erkrankung – so viele, wie es braucht, um das größte deutsche Fußballstadion in Dortmund 50-mal bis auf den letzten Platz zu füllen. Doch anders als beim Fußball bleibt es um die Betroffenen meistens still. Zu oft kämpfen sie im Verborgenen und oft vergeblich um Diagnosen, Behandlungen und Unterstützung.
Dabei sind sie nicht allein: Zählt man ihre Familien hinzu, sprechen wir von mindestens zwölf Millionen Menschen – oder 150 ausverkauften Stadien. Es muss vielleicht nicht gleich die Geräuschkulisse eines Bundesligaspiels sein, aber wir sollten lauter werden. Menschen mit Seltenen Erkrankungen verdienen unsere Aufmerksamkeit, unser Engagement und unser gemeinsames Handeln. Denn zusammen sind wir sehr viele.
Gemeinsam Versorgung verbessern
Eine gute Versorgung der Betroffenen ist nach wie vor eine große Herausforderung. Trotz bestehender wertvoller Ansätze wie dem Nationalen Aktionsplan und mittlerweile fast 40 spezialisierten Zentren bundesweit ist die Versorgung lückenhaft. Es mangelt an kluger Vernetzung zwischen ambulanten und stationären Strukturen, auch die dringend benötigte Digitalisierung des Gesundheitswesens geht zu langsam voran.
Forschung als Schlüssel zur Innovation
Mehr als 8.000 verschiedene Seltene Erkrankungen sind bekannt – doch für die meisten gibt es kaum Forschung und für weniger als fünf Prozent bislang eine spezifische Therapie. Dabei ist die Forschung zu Seltenen Erkrankungen oft der Schlüssel und Motor für grundlegende Innovationen in der gesamten Medizin. Gen- und Zelltherapien bieten große Chancen, aber der Weg von der Grundlagenforschung bis zur zugelassenen Therapie ist oft steinig. Wir brauchen gezielte Förderungen, beschleunigte Zulassungsverfahren und bessere Rahmenbedingungen für klinische Studien, um dringend benötigte Therapien schneller zu den Patientinnen und Patienten zu bringen. Ein nationales Patientenregister würde nicht nur die Versorgung optimieren, sondern auch die Forschung erleichtern.
Früher erkennen, besser behandeln
Die Diagnose einer Seltenen Erkrankung dauert oft Jahre, manchmal Jahrzehnte – wertvolle Zeit, die Lebensqualität und sehr oft das Leben kostet. Die Erweiterung des Neugeborenenscreenings und eine stärkere Sensibilisierung der Ärztinnen und Ärzte können hier entscheidende Fortschritte bringen. Wir müssen neue diagnostische Möglichkeiten nutzen und Screeningverfahren weiterentwickeln, um betroffenen Kindern und ihren Familien durch frühzeitige Diagnose und Therapie eine Perspektive zu geben.
Eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe
Seltene Erkrankungen gehen uns alle an – als Forschende, als Ärztinnen und Ärzte, als politisch Verantwortliche und als Gesellschaft. Als Eva Luise und Horst Köhler Stiftung setzen wir uns dafür ein, dass Menschen mit Seltenen Erkrankungen die Aufmerksamkeit und Unterstützung erhalten, die sie verdienen. Wir laden Sie ein, Teil dieser Bewegung zu werden. Lassen Sie uns gemeinsam handeln – für eine Zukunft, in der Seltene Erkrankungen kein Schattendasein im Gesundheitssystem führen, sondern als Chance für den medizinischen Fortschritt und den gesellschaftlichen Zusammenhalt begriffen werden.
Den Artikel hat Prof. Dr. Annette Grüters-Kieslich geschrieben.