Kathi erhielt mit 28 Jahren die Diagnose Gebärmutterhalskrebs – sechs Jahre später folgte, mitten in der Pandemie, Brustkrebs. Gemeinsam mit ihrer Tochter Leonie hat sie diese schweren Zeiten durchlebt, offen darüber gesprochen und ihren Weg zu Selbstbestimmung und Körperbewusstsein gefunden. In diesem Interview erzählen beide, wie sie die Diagnosen erlebt haben, welche Entscheidungen Kathi für sich getroffen hat und welche Lehren sie in Sachen Vorsorge, Körpergefühl und Familie daraus ziehen.
Kathi, du hast mit 28 Jahren die Diagnose Gebärmutterhalskrebs bekommen – Jahre später folgte, mitten in der Pandemie, Brustkrebs. Wie hast du diese beiden Diagnosen erlebt – emotional, körperlich, familiär?
Für mich war die Gebärmutterhalskrebsdiagnose natürlich ein Schock, aber da meine Eltern beide bereits Krebs hatten, habe ich irgendwie schon damit gerechnet, dass ich irgendwann auch eine Krebsdiagnose bekomme. Aber mit 28 habe ich gar nicht damit gerechnet. Es stand relativ schnell fest, dass meine Gebärmutter entfernt werden muss. Damit musste ich mich von meinem Kinderwunsch verabschieden. Das war für mich am Anfang nicht leicht, heute ist es aber genau so gut, wie es gekommen ist. Ich habe gemeinsam mit meinem Mann unsere Patchworkfamilie und mag das sehr. Die Brustkrebsdiagnose hat mir total den Boden unter den Füßen weggezogen. Ich hätte niemals damit gerechnet, sechs Jahre später eine zweite Krebsdiagnose zu bekommen. Das Vertrauen in meinen Körper ist dadurch in die Brüche gegangen, ich hatte oft und habe heute auch noch manchmal Angst, dass ich irgendwann eine dritte Diagnose bekomme. Mein Mann hat mich von Anfang an toll unterstützt, und mit psychoonkologischer Hilfe sind die Ängste mittlerweile kleiner geworden.
Damals nach der ersten Diagnose bist du relativ schnell in deinen Alltag zurückgekehrt. Wenn du heute darauf schaust – war das eher ein Schutzmechanismus oder einfach deine Art, mit Krisen umzugehen?
Ich glaube, dass ich mir nach meiner ersten Diagnose mehr Zeit hätte nehmen sollen. Ich hätte eine Anschlussheilbehandlung beantragen und versuchen sollen, das Geschehene aufzuarbeiten. Mir ist erst mit der zweiten Diagnose richtig bewusst geworden, dass ich das die ganzen Jahre über verdrängt habe.
Die zweite Diagnose kam kurz vor dem 18. Geburtstag deiner Tochter. Welche Symptome hattest du, und wie wurde die Erkrankung diagnostiziert?
Ich habe meinen Knoten selbst ertastet. Ansonsten hatte ich keine Symptome. Ich habe einen Termin beim Gynäkologen ausgemacht. Der meinte zunächst, es sei nur ein Fibroadenom, ohne Ultraschall zu machen. Ich habe darauf gedrängt, dass der Knoten radiologisch abgeklärt wird. Schließlich erhielt ich eine Zweitmeinung bei einem anderen Gynäkologen, wurde an eine Radiologie überwiesen und bekam dort Ultraschall, Mammografie und Stanzbiopsie – bei der der bösartige Tumor festgestellt wurde. Die Diagnose bekam ich einen Tag vor meinem 34. Geburtstag und fünf Tage vor dem 18. Geburtstag meiner Tochter. Natürlich gibt es nie einen guten Tag für so eine Diagnose, aber ich hätte mir gewünscht, dass das Ganze erst nach Leonies Geburtstag passiert wäre, damit sie ihren Tag unbeschwert feiern kann.
Leonie, erinnerst du dich an den Moment, als deine Mutter dir von der Brustkrebsdiagnose erzählt hat? Was ging dir durch den Kopf – als Tochter, als junge Frau?
Ja, ich erinnere mich daran. Ich war schockiert und hatte Angst, dass meine Mama sterben könnte. Anfangs habe ich mir keine großen Gedanken gemacht, ob es eine genetische Vorbelastung geben könnte. Aber als meine Mama ihren Gentest gemacht hat, war ich nervös und bin sehr froh, dass kein Gendefekt gefunden wurde.
Wie seid ihr als Mutter-Tochter-Gespann mit dieser Situation umgegangen?
Wir haben immer sehr offen über alles gesprochen. Leonie war über alle Arzttermine und Untersuchungen informiert. Da das während der Pandemie war, haben wir viel Zeit miteinander verbracht. Leonie hatte viel Homeschooling. Wir haben in dieser Zeit die Serie „Friends“ komplett durchgeschaut.
Kathi, du hast dich gegen eine Chemotherapie und für eine beidseitige Mastektomie ohne Wiederaufbau entschieden. Wie kam es zu dieser Entscheidung, und was hat sie für dich bedeutet – medizinisch und emotional?
Mir ist wichtig zu sagen, dass nicht ich mich gegen die Chemotherapie entschieden habe, sondern der Oncotype-Test ergab, dass der Nutzen bei unter einem Prozent liegt. Wäre er anders ausgefallen, hätte ich die Chemotherapie gemacht. Anfangs war ich trotzdem unsicher, da fast alle, die ich kennengelernt habe, eine Chemotherapie hatten. Nachdem ich mich intensiv mit dem Test beschäftigt hatte, fühlte ich mich sicherer. Die endokrine Therapie mache ich weiterhin. Ich habe mich gegen den Wiederaufbau entschieden, weil es sich von Anfang an richtig angefühlt hat. Silikonimplantate konnte ich mir nicht vorstellen, Eigengewebswiederaufbau wollte ich wegen zusätzlicher OPs und Narben nicht. Für mein Sicherheitsgefühl war die Ablatio die beste Option. Ich trage keine Prothesen und fühle mich damit auch nicht wohl. Im Alltag fällt kaum auf, dass meine Brüste entfernt wurden. Ich bereue meine Entscheidung keinen Tag.
Leonie, wie hast du diese Entscheidung deiner Mutter erlebt?
Am Anfang war es komisch, weil ich so etwas noch nie gesehen hatte. Als wir jedoch über die Beweggründe gesprochen haben, fand ich es richtig stark von ihr. Mein Blick auf Weiblichkeit hat sich geändert: Brüste haben nichts mit Weiblichkeit zu tun, und jede Person sollte selbst Entscheidungen für ihren Körper treffen.
Kathi, du hast einmal gesagt: „Ich mag meinen Körper heute mehr als vor der Diagnose.“ Was bedeutet für dich Selbstbestimmung in Bezug auf deinen Körper – gerade nach so einem Eingriff?
Der Weg zur Ablatio war nicht leicht. In den Leitlinien wird diese Option kaum beraten, Ärzte konzentrieren sich auf brusterhaltende OPs oder Wiederaufbau. Mein Wunsch wurde zunächst nicht ernst genommen. Mir wurde gesagt, dass ich nicht beurteilen könne, wie es ist, ohne Brust zu leben, und dass eine Entscheidung aus Angst keine gute ist. Auch die Frage „Was sagt Ihr Mann dazu?“ fand ich unangebracht. Ich bin stolz, dass ich mich gegen die Ärzte durchgesetzt und die Entscheidung für mich getroffen habe.
Hand in Hand durch schwere Zeiten.
Leonie, hat dich die Krankengeschichte deiner Mutter in deinem eigenen Gesundheitsverhalten beeinflusst?
Ja, ich erzähle meinen Ärzten immer von der Vorgeschichte meiner Mama, werde ernst genommen und bekomme engmaschige Kontrollen. Ich würde Veränderungen sofort abklären lassen, da Krebs im Frühstadium oft gut behandelbar ist.
Kathi, was möchtest du unseren Leserinnen in Sachen Vorsorge, Körpergefühl und Selbstbild mitgeben?
Tastet euch ab. Nur wenn ihr euren Körper gut kennt, bemerkt ihr Veränderungen früh. Nutzt Angebote zur Früherkennung. Wenn euch etwas komisch vorkommt, ihr nicht ernst genommen werdet oder ein ungutes Gefühl habt, steht für euch ein und holt eine Zweitmeinung ein.
Habt ihr das Gefühl, dass junge Frauen heute mehr Druck oder mehr Freiheit erleben, wenn es um ihren Körper geht?
Kathi: Es ist besser als vor zehn Jahren, aber viele Frauen bekommen immer noch extremen Druck von außen oder setzen sich selbst unter Druck.
Leonie: Es gibt mehr Freiheiten, aber Social Media zeigen viele perfekte Frauen, was Druck erzeugt.
Leonie, wenn du an diese Zeit zurückdenkst – gab es etwas, das dir gefehlt hat?
Die Schule hat sich gut verhalten, ich konnte meinen Alltag weiterführen. Bei den Ärzten war ich nicht eingebunden, da während Corona niemand zu den Terminen mitgehen durfte.
Kathi, du sprichst auf Instagram und im Buusenkollektiv offen über deinen Weg. Wie kam es dazu und welche Reaktionen bekommst du?
Nach der Diagnose habe ich mich sehr allein gefühlt und auf Instagram eine kleine Bubble mit Brustkrebserkrankten gefunden. Das hat mich aufgebaut und mir Tipps gegeben. Ich möchte das Gefühl weitergeben und für Sichtbarkeit sorgen. Reaktionen sind zu 98 Prozent positiv. Negative Kommentare kann ich gut wegstecken.
Abschließend an euch beide: Was wünscht ihr euch von Öffentlichkeit, Medizin und Gesellschaft im Umgang mit Krebs, Vorsorge und Körperbildern?
Leonie: In der Schule wird kaum über Vorsorge, Krebs und Körperbilder gesprochen. Es wäre gut, wenn junge Menschen wüssten, worauf sie achten sollen.
Kathi: Jede Frau sollte wissen, wie sie sich abtastet und ihren Körper gut kennt. Krebs sollte kein Tabuthema sein. Erkrankte Personen sind nach der Akuttherapie nicht wieder „die Alten“ – viele kämpfen lange mit Nachwirkungen oder sind noch in Therapien.
Das Interview führte Emma Howe