In einer Gesellschaft, die sich ständig weiterentwickelt und offen über verschiedene Themen spricht, die viele betreffen, gibt es immer noch Bereiche, die weniger Beachtung finden. Ein Thema ist Blasenschwäche. Für zwei Drittel aller Frauen gilt es als Tabuthema, dabei ist knapp ein Viertel aller Frauen in Deutschland davon betroffen. Babett Haußmann ist eine von ihnen. Jahrelang schwieg sie über ihr Leiden. In unserem Magazin bricht sie ihr Schweigen, um anderen Frauen Mut zu machen.
Frau Haußmann, wann wurde Ihnen Ihre Blasenschwäche zum ersten Mal bewusst?
Schon seit der Geburt meiner beiden Söhne vor über 40 Jahren kam es immer mal vor, dass ich etwas Urin verloren habe. Doch ich habe mir keine weiteren Gedanken darüber gemacht, weil es nicht häufig vorkam und auch nicht viel Urin war. Doch vor sechs Jahren, bei einem Fußballspiel meiner Enkeltochter, wurde mir bewusst, dass etwas nicht stimmen kann. Ich feuerte meine Enkelin an, die im Tor stand. Und jedes Mal, wenn sie einen Ball hielt und ich vor Freude hüpfte, ging etwas in meine Hose. Irgendwann war es richtig nass – das war mit furchtbar unangenehm. Ich fuhr direkt nach Hause. Sehr gern wäre ich dort geblieben und hätte meine Enkelin weiter unterstützt, doch es ging nicht. Zu Hause habe ich mich gewaschen und etwas Neues angezogen. Danach habe ich das Erlebte verdrängt. Was sollte ich auch sonst tun? Darüber spricht man nicht.
Wie ging es weiter?
Ich verdrängte es noch eine ganze Weile. Doch die Vorfälle mehrten sich, bis ich schon beim Niesen den Urin nicht halten konnte. Der Drang, ständig zur Toilette zu müssen, wurde immer stärker. Manchmal ging ich viermal pro Stunde. Hinzu kamen die sozialen Einschränkungen. Ich ging kaum noch vor die Tür, und wenn wir uns mit Freunden trafen, kniff ich krampfhaft die Beine zusammen, wenn es lustiger wurde, damit nichts in die Hose ging. Das war sehr belastend für mich.
Haben Sie sich jemandem anvertraut oder mit einem Arzt darüber gesprochen?
Nein, das kam für mich damals nicht infrage. Ich schämte mich viel zu sehr und erzählte nicht mal meinem Mann davon. Er fragte nur immer mal wieder, warum ich so ruhig bin. Das tat ich dann mit Kreislaufproblemen oder Kopfschmerzen ab. Mein Allgemeinarzt ist ein Mann, und dem wollte ich auch nicht davon erzählen. Doch vor vier Jahren vertraute ich mich schließlich meiner Frauenärztin an. Es kostete mich große Überwindung und ich schämte mich sehr dafür. Die Frauenärztin reagierte jedoch völlig unbeeindruckt, als würde ich ihr von einer Erkältung erzählen. Das half mir sehr. Sie gab mir einen Überweisungsschein für den Urologen.
Sind Sie zum Urologen gegangen?
Ja, aber erst drei Monate später. Da der Urologe in meiner Nähe ein Mann ist, begann ich wieder, mit mir zu hadern, machte dann aber doch einen Termin. Er bemerkte sofort mein Schamgefühl bezüglich des Themas und klärte mich erst einmal auf, dass sehr viele Frauen davon betroffen sind. Das half mir – das Gefühl, nicht allein mit diesem Problem zu sein. Er machte einige Untersuchungen und diagnostizierte schließlich eine starke Belastungsinkontinenz. Einige Wochen später hatte ich eine Schlingen-operation. Dabei wird unterhalb der Harnröhre, durch die der Urin aus der Blase abfließt, ein Band angebracht. Wenn man hustet, drückt das Band die Harnröhre zusammen und schafft somit die erforderliche Verstärkung, um einen Harnverlust zu verhindern.
Wie sieht Ihr Alltag heute mit Belastungsinkontinenz aus?
Lange Zeit hatte ich dank der OP keine großen Probleme, doch das ist leider nicht mehr so. Ich verliere wieder häufig Urin – mal mehr, mal weniger – und habe ständig das Gefühl, zur Toilette zu müssen. Doch ich habe mich daran gewöhnt und nutze Einlagen. Die geben mir das Gefühl von Sauberkeit und Sicherheit.
Inkontinenz ist ein gesellschaftliches Tabuthema. Sie reden heute offen mit uns darüber. Warum?
Weil ich weiß, dass es vielen so geht wie mir. Doch alle schweigen aus Scham, gehen nicht zum Arzt und isolieren sich. Das darf einfach nicht sein. Natürlich ist es kein angenehmes Thema, aber es wegzuschweigen macht es nicht besser. Wir sind viele, und das sollte sich jeder, der an Inkontinenz leidet, bewusst machen. Und ich mache heute den Anfang – für mich, aber auch für andere Betroffene!
Was möchten Sie anderen Betroffenen raten?
Schämt euch nicht. Wer an Inkontinenz leidet, hat ein ordentliches Päckchen zu tragen, doch ist es keine tödliche Krankheit. Es gibt also Schlimmeres. Versucht, offen damit umzugehen, nutzt Hilfsmittel und genießt euer Leben, denn das ist mit Inkontinenz nicht vorbei!
Das Interview führte Emma Howe