Seltene Erkrankungen

Damals und heute – Leben mit Hämophilie

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„Mit 15 Jahren fing mein Leben erst an“

Als man bei Ulrich Grote Hämophilie diagnostizierte, sagten die Ärzte, dass er eine Lebenserwartung von 14 Jahren hat. Heute ist er 68 Jahre alt.

Herr Grote, wann wurde bei Ihnen Hämophilie diagnostiziert?

Als ich ins Krabbelalter kam, das war in den 50er-Jahren, bildeten sich bei mir riesige blaue Flecke, ich hatte Einblutungen an Armen und Beinen. Der Kinderarzt wusste nicht weiter und schickte meine Eltern und mich ins örtliche Krankenhaus. Weil die Ärzte auch dort überfragt waren, wurden wir in die Uniklinik Münster überwiesen. Dort wurde dann Hämophilie diagnostiziert.

Wie sind die Ärzte damals mit der Diagnose umgegangen?

Ich bekam Bluttransfusionen, auch per Direktübertragung von meiner Mutter, die als Überträgerin der Krankheit sowieso schon einen stark verminderten Faktor-8-Gehalt hatte. Das brachte mir also gar nichts. Doch die Ärzte wussten es damals nicht besser.

Wie hat sich die Erkrankung auf Ihre Kindheit ausgewirkt?

Ich hatte keine normale Kindheit. Meine Eltern haben mich in Watte gepackt. Ihre große Angst, die absolut nachvollziehbar war, hat mich sehr eingeschränkt. Wegen der ständigen Gefahr, Einblutungen in den großen Gelenken zu erleiden, musste ich mich äußerst vorsehen. Zudem musste ich fast wegen jedem Zahnwechsel ins Krankenhaus. Einfach Kind sein – das hatte ich leider nicht.

Was war das einschneidendste Erlebnis mit der Hämophilie?

Ich habe mir zweimal hintereinander den Kopf gestoßen und daraus ist eine Gehirnblutung entstanden. Zum Glück war ich damals schon unter Faktor-8. Dadurch haben die Ärzte das sehr schnell in den Griff bekommen. 1973 habe ich gelernt, mich selbst zu spritzen – das war eine Revolution. Damit fing für mich ein relativ normales Leben an.

Wie hat sich die Therapie seitdem verändert?

Ich spritze mich momentan zweimal pro Woche. Die Präparate sind so fortschrittlich, dass man es quasi nebenbei machen kann. Wenn Kinder heute mit Hämophilie auf die Welt kommen, können sie dank der modernen Therapiemöglichkeiten ein nahezu normales Leben führen – das ist natürlich unglaublich toll.

Was gibt Ihnen die größte Sicherheit im Leben?

An erster Stelle steht meine Frau, meine ganz große Liebe, und meine Freunde, Verwandten sowie mein kleiner Hund. Ich genieße es sehr, Hobbys und Leidenschaften zu haben und diese auch auszuleben. Meine größte Sehnsucht war immer, so normal wie möglich zu leben, und das ist dank der modernen Therapien wahr geworden – dafür bin ich sehr dankbar.


„Schaut nicht auf das, was nicht geht“

Benjamin Wolf ist 33 Jahre alt und hat eine schwere Hämophilie B. Einschränken lässt er sich durch seine Erkrankung nicht.

Herr Wolf, bitte geben Sie uns einen Einblick in Ihre Kindheit und Jugend.

Als Kind und Jugendlicher war ich immer sehr aktiv und hatte, tatsächlich auch aus diesem Grund, wenig Probleme oder Blutungen. Ob Schwimmen, Tennis, Tischtennis oder auch einfach nur Sport mit Freunden auf dem Bolz- oder Spielplatz, meine Muskulatur war gut genug ausgeprägt, um Verletzungen und Blutungen vorzubeugen, und Bewegung war für mich genau die richtige Ergänzung zur Prophylaxe.

Wie geht es Ihnen heute?

Mein Motto lautet: Ein starker Muskel stützt die Gelenke und hilft gegen Verletzungen.

Wie sieht Ihre persönliche Therapie aus und wie ist die Kommunikation mit Ihrem Arzt?

Meine Behandlung stimme ich individuell mit meinem Arzt ab. Im Hämophilie-Zentrum in Bonn bin ich bei einem sehr fortschrittlichen und proaktiven Zentrum sehr gut aufgehoben. Meine Ärzte sind immer gut für mich erreichbar. Das ist vor allem dann wichtig, wenn ich Unternehmungen wie eine Reise planen möchte. Über neue Faktorpräparate oder digitale Angebote für meine Therapie, wie zum Beispiel Apps zur Therapiedokumentation, werde ich eigentlich immer zeitnah informiert. So konnte ich an einer Testversion für eine App zur digitalen Dokumentation teilnehmen und führe nun schon viele Jahre meine Dokumentation per App durch.

Welche Herausforderungen begegnen Ihnen?

Das Thema Reisen und dabei spontane Entscheidungen treffen zu können ist wohl die größte Herausforderung. Work & Travel wäre für mich zum Beispiel kompliziert. Ich muss meine Urlaube gut planen, dabei helfen mir Informationen wie: Wo sind Behandlungszentren? Wie und wo bekomme ich meinen Faktor? Habe ich alle wichtigen Dokumente wie eine Zollbescheinigung dabei?

Welche Tipps möchten Sie anderen Betroffenen geben?

Schaut nicht immer auf das, was nicht geht, sondern vielmehr auf das, was geht. Es gibt viele interessante Sportarten wie Rudern oder Schwimmen. Sucht euch Hobbys und Berufe, in denen ihr trotz eventueller Einschränkungen aufgeht und die ihr gerne macht. Ein Blick in die Vergangenheit kann helfen und motivieren, weil es gerade jüngeren Betroffenen und deren Angehörigen aufzeigt, wie weit wir schon mit den uns zur Verfügung stehenden Therapiemöglichkeiten gekommen sind, Stichwort Heimselbstbehandlung und verlängerte Halbwertszeit der Faktorpräparate. Diese Möglichkeiten hatten die älteren Generationen noch nicht.

Fotos: privat
Die Interviews führten Emma Howe und Leonie Zell

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