Neben gesellschaftlichen Tabus hat beinahe jeder sein ganz persönliches. Schon kleine Kinder erleben das Spannungsfeld von verboten und erlaubt, wenn sie lernen, dass Kacka böse ist und stinkt – dann aber wieder Lob ernten, wenn sie ein herrliches Häufchen für Mama und Papa hergestellt haben. Unverständlich nur, warum das braune Gold dann nicht als Fingerfarbe verwendet werden darf …
Anders als Gesetze werden Tabus selten offen oder gar öffentlich erörtert oder dokumentiert. Es sind eher tradierte, durch Familie und Gesellschaft anerzogene und stillschweigend befolgte. Doch ihre Macht ist nicht zu unterschätzen: Tabus können unser Leben bestimmen und durchaus praktisch sein, weil sie uns einen Handlungsrahmen vorgeben. Seien wir ehrlich: Es ist manchmal auch ganz angenehm, wenn man nicht ständig darüber nachdenken muss, ob etwas nun richtig oder falsch, angemessen oder ungehörig ist. Oft aber engen Tabus ein, besonders dann, wenn es um unseren Körper geht: um Hygiene, um seltsame Knubbel oder Pusteln, unangenehme Gerüche und Geräusche, die unser Körper nun mal produziert, die aber auch Zeichen einer schweren Erkrankung sein können.
Mit einem besonders großen Tabu ist zudem fast alles belegt, was mit Sexualität zu tun hat. Einerseits wird sie – beispielsweise als Pornografie im Internet – für jeden zugänglich ausgelebt und gesehen, aber viele Menschen haben mit Sexualität immer noch ein Riesenproblem, sie sind peinlich berührt, haben Angst, darüber zu reden, kennen sich nicht mit ihrem Körper aus und trauen sich auch nicht, sich anzufassen – und, was am schlimmsten ist: Sie sprechen nicht mit anderen über Probleme oder Sorgen in diesem Bereich.
Ein weiteres großes Tabu ist der Tod. Alles, was uns daran erinnert, löst Ängste aus, wird verdrängt und abgewehrt: Falten kriegen, gebrechlich sein, der Verlust körperlicher und geistiger Fähigkeiten und das Befassen mit Testament, Nachlass und Bestattung.
Dabei ist es so wichtig, über tabuisierte Pro-bleme zu sprechen. Aus diesem Grund habe ich auch den Ratgeber „Darüber spricht man nicht“ geschrieben. Zudem bemerke ich das bei vielen meiner Patienten daran, wie erstaunt und erleichtert sie sind, wenn sie mir ihre Sorgen, ein oft vermeintliches Tabu, anvertrauen und ich völlig sachlich darauf reagiere – weil ich damit von vielen anderen ganz persönlichen Beichten vertraut bin: Ja, auch andere Frauen klagen über Scheidentrockenheit. Ja, man kann sich mit sexuell übertragbaren Krankheiten anstecken, ohne gleich unhygienisch oder eine Rotlichtgestalt zu sein! Ja, auch bei massivem Einsatz von diversen Präparaten sind bestimmte Körperausdünstungen nicht zu überduften – aber vielleicht kann man an Darmflora, Zahnhygiene, Kleidung oder Art der Hautpflege etwas verändern.
So vielfältig gesundheitliche und körperliche Tabus sind, es gibt bisher wohl keines, das einer ganz für sich allein hat. Je eher der Patient ermutigt wird, sich seinem Arzt zu offenbaren, umso effizienter und verständlicher kann die Behandlung sein – die dem Patienten hilft, seine Lebensqualität zu erhalten oder wieder zu verbessern. Das Wort Früherkennung trägt die entscheidende Voraussetzung schon in sich, denn viele Therapien sind auch ein Wettlauf mit der Zeit. Und bei sexuell übertragbaren Krankheiten trägt man – nicht anders als bei Herpes oder Fußpilz – auch Verantwortung für seine Mitmenschen. Also: Lassen Sie uns darüber sprechen!
BUCHTIPP
Wir können es nicht ändern, dass wir älter werden – aber wir können sehr wohl etwas daran ändern, wie dies geschieht. In „Genial vital“ gibt es verblüffende Tipps zur „Instandhaltung“ unseres Körpers.