BildungKindergesundheit

„Frühe Impulse für das Lesen setzen!“

Sabine Uehlein

Sabine Uehlein
Geschäftsführerin Programme der Stiftung Lesen

 

Frau Uehlein, Bildungsstudien wie IGLU und PISA zeigen, dass es in Deutschland schlecht um das Lesen bestellt ist. Stimmt das?

Richtig ist, dass Leseförderung derzeit wichtiger denn je ist. Jedes vierte Kind verlässt die Grundschule, ohne richtig lesen zu können. Das gleiche gilt für die Lesekompetenz eines Viertels der 15-Jährigen. Klar ist aber: Nur, wer gut lesen kann, kann sich fächerübergreifend Wissen aneignen und hat damit die Chance auf eine gute Ausbildung. Aktuell verlassen jährlich 47.500 junge Menschen die Schule ohne einen Bildungsabschluss. Das hat Folgen für unsere Gesellschaft, Demokratie und Wirtschaftsleistung.

Woran liegt es, dass die Kinder heute nicht mehr richtig lesen können?

Im Vorlesemonitor 2023 einer Studie der Stiftung Lesen die regelmäßig durchgeführt wird, haben knapp die Hälfte der Eltern angegeben, dass sie nur 10 oder weniger Kinderbücher zu Hause haben. Und so banal es klingt: aber wo kein Lesematerial vorhanden ist, wird auch nicht vorgelesen. Dadurch fehlen den Kindern geeignete Vorbilder und die Beschäftigung mit Lesematerial.

Führt das Vorlesen der Eltern also dazu, dass Kinder später selbst mehr lesen?

Ganz sicher sogar. Kinder lieben Geschichten und Charaktere. Je früher Eltern ihren Kindern vorlesen, desto besser. Da ist es auch egal, ob das Kind die Geschichte noch nicht richtig versteht, und auch die Vorlesesprache ist nicht wichtig. Hauptsache ist, dass die Eltern sich vorlesend mit den Kindern beschäftigen – dann entwickelt sich die Begeisterung der Kinder für Geschichten automatisch.

Gibt es noch weitere Vorteile des Vorlesens?

Vorlesen vermittelt Kindern ganz viele Fähigkeiten. So vergrößert das Vorlesen zum Beispiel nachweislich den Wortschatz von Kindern und unterstützt die Vorstellungskraft. Außerdem wissen wir, dass Kinder, denen regelmäßig vorgelesen wurde, selbst leichter lesen lernen und in der Schule bessere Noten haben. Aber auch für die sozialen Fähigkeiten ist es super: Kinder, die oft Geschichten hören, können sich besser in andere hineinversetzen. Und nicht zuletzt verbringt man beim Vorlesen viel gemeinsame Zeit und stärkt die Bindung zueinander.

Was sollte man Kindern vorlesen, in welchem Alter und wie lange?

Grundsätzlich eignet sich zum Vorlesen alles, was gefällt. Kinder können und sollen ruhig mitbestimmen, was gelesen wird. Comics und Zeitschriften eigenen sich dabei besonders gut als Einstieg, weil sie unterschiedlichste Themen abdecken und mit vielen Bildern neugierig machen. Entscheidender als das Was ist hier die Regelmäßigkeit. Am besten liest man täglich vor, denn schon 10–15 Minuten gemeinsame Vorlesezeit haben einen positiven Effekt.

Was hält Eltern vom Vorlesen ab und welche Tipps haben Sie parat?

Neben einem oft stressigen Alltag ist oft auch ein Grund, dass Eltern falsche Vorstellungen vom Vorlesen haben. Sie glauben, dass Sie beim Vorlesen ihre Stimme verstellen oder schauspielern müssen, dabei sind das Ansprüche, die vor allem die Eltern an sich selbst stellen. Auch wenn Kinder nicht stillsitzen ist das kein Zeichen von Desinteresse. Nicht alle Geschichten müssen in einem Rutsch vorgelesen werden und Familien können selbst entscheiden, welche Medien sie für das Vorlesen nutzen.

Welche Leserituale lassen sich sinnvoll „bauen“?

Alles was sich in den Alltag integrieren lässt, eignet sich gut als Ritual. Traditionell gibt es in vielen Familien die Gute-Nacht-Geschichte vor dem Einschlafen. Studien zeigen, dass auch Kinder zu dieser Zeit häufig lesen. Aber vielleicht passt eine Geschichte nach dem Mittagessen viel besser in den Alltag? Beim Warten auf den Bus oder beim Arzt oder während der Zugfahrt hat man Zeit, gemeinsam zu Lesen, wenn man vorher an den Lesestoff gedacht hat oder die „einfach vorlesen!“ App auf den Smartphone nutzt. Auch die Auswahl der Geschichte kann ein Ritual werden oder das Einrichten einer gemütlichen Leseecke. Ein Vorlese-Ritual muss auch gar nicht lange dauern, Hauptsache es wiederholt sich regelmäßig.

Das Interview ist in Zusammenarbeit
mit der Stiftung Lesen entstanden.

Leave a reply

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

0 %