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Frühzeitiger Zugang zu Therapien

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Dr. med. Sylvia Weiner
Chefärztin der Klinik für Adipositas-Chirurgie und Metabolische Chirurgie im Sana Klinikum Offenbach

Schweres Übergewicht hat niemand freiwillig, mit gutem Rat und Tipps ist keinem geholfen. Adipositas-Betroffenen schneller den Zugang zu Therapien zu ermöglichen – und zwar bevor sie durch Folgeerkrankungen so stark beeinträchtigt sind, dass nicht mehr geholfen werden kann –, ist Dr. med. Sylvia Weiner ein großes Anliegen.

Frau Dr. Weiner, was genau ist Adipositas?

Adipositas ist eine chronische, entzündliche Stoffwechselerkrankung. Es ist kein Lifestyle, keine bewusste Entscheidung, sondern wirklich als Erkrankung zu betrachten. Bei Betroffenen ist der Stoffwechsel verändert, auf ganz verschiedenen Ebenen, nahezu alle Organe sind beteiligt.

Im Magen und im Darm werden Botenstoffe produziert, die mit Fettgewebe, Muskeln, Leber und Gehirn im Austausch stehen. So wird die Bereitstellung von Energie koordiniert. Erkrankungen, genetische Veranlagung oder auch manche Medikamente können dazu führen, dass bestimmte Substanzen produziert werden, die zu einer Fehlkommunikation führen. Dies kann zur Folge haben, dass man ein Hungergefühl verspürt, obwohl noch ausreichend Zucker im Blut ist, und sich eine Insulinresistenz entwickelt. Der Zucker wird dann nicht in der Muskulatur „verbraucht“, sondern im Fettgewebe gespeichert. Im Fettgewebe wiederum werden daraufhin mehr von diesen Substanzen produziert. Ein toxischer Kreislauf, aus dem Betroffene nicht mehr ohne Weiteres herauskommen.

Diäten können nicht helfen?

Für unseren Körper ist es leichter, Gewicht zuzunehmen, als es zu verlieren. Das ist ein archaisches Programm, das der Arterhaltung dient. Im Prinzip geht es darum, dass der Körper sich durch die Gewichtszunahme davor schützen will, zu verhungern.

Diäten basieren auf einem Energiedefizit, man versetzt den Körper in einen tatsächlichen Hungerzustand. In einer Situation, in welcher der Stoffwechsel bereits gestört ist, würde dieser zusätzlich noch gedrosselt. Das ist für Menschen mit Adipositas kontraproduktiv, sie haben ohnehin schon einen veränderten Stoffwechsel, eine Dysregulation.

Wie kann man sich das vorstellen?

Es gibt den sogenannten Body Set Point. Jeder Körper hat ein bestimmtes Gewicht, nach dem er strebt. Bei adipösen Menschen ist dieser Body Set Point höher als bei Normalgewichtigen. Der Körper wird sich dann gegen jede Form der Gewichtsabnahme wehren, weil diese „Hunger“, also eine Bedrohung des Lebens, signalisiert. Fett wird dann vermehrt gespeichert, auch in den Organen. Das Wort „Fettleber“ ist sicher vielen ein Begriff. Das kann übrigens auch Menschen betreffen, die nicht adipös aussehen, mit Fettpolstern an Bauch, Oberschenkeln oder Po, sondern auch solche, die äußerlich schlank sind.

Adipöse Menschen sind oft mit Vorurteilen konfrontiert, zum Beispiel, dass ihr starkes Übergewicht psychologische Ursachen hat …

Man weiß heute viel über die Erkrankung, aber alles weiß man nicht. Die genauen Ursachen rückwirkend zu ermitteln, ist oft nicht möglich. Menschen mit Adipositas ist meist nicht damit geholfen, wenn man sie zu Psychologen schickt. Um es anschaulich zu erklären: Es gibt viele Brillenträger, aber sie alle benötigen ganz unterschiedliche Brillen und ihr Sehvermögen ist auf ganz verschiedene Weise beeinträchtigt, aus unterschiedlichem Grund. Und niemand käme auf die Idee, sie zu Psychologen zu schicken oder zu sagen, sie sollten sich halt ein bisschen Mühe geben und dann würde das mit dem Sehen schon wieder werden. Natürlich gibt es auch Menschen, bei denen das starke Übergewicht psychische Ursachen haben kann. Bei vielen aber hat das Übergewicht sehr viel weniger mit Essen zu tun, als Außenstehende oft meinen.

Sie sagten am Anfang unseres Gespräches, Adipositas sei eine chronische Erkrankung. Was bedeutet das für die Patienten?

Wenn ein bestimmter Erkrankungsgrad erreicht ist, können Ernährung und Bewegung allein nicht viel ausrichten. Wobei es schwer ist, diesen Grad allgemeingültig festzulegen. Noch immer orientieren wir uns bei der Ermittlung von Adipositas am Body-Mass-Index, der die Relation zwischen Körpergröße und Gewicht spiegelt. Das ist trügerisch. Nehmen Sie zum Beispiel Arnold Schwarzenegger, sein Gewicht ist in Relation zu seiner Größe hoch. Adipös ist er allerdings absolut nicht. Umgekehrt kann jemand, der nicht übergewichtig wirkt, an übermäßigem Körperfett und Fettansammlungen an den Organen leiden. Die USA werden aktuell vom Krankheitsbild der Fettleber geradezu überrollt. Das werden wir auch hierzulande sehen.

Fett und Zucker lagern sich in den Blutgefäßen ab; was wir als „Verkalkungen“ bezeichnen, kann zu Herzinfarkten und anderen kardiovaskulären Krankheitsbildern führen. Auch chronische Entzündungen sehen wir, die Nebenerkrankungen in Herz oder Lunge auslösen. Vieles ist Insulin-indiziert, das Insulin verursacht viele Fehlsteuerungen. Auch Schilddrüsenerkrankungen können die Ursache für Adipositas sein.

Geht man immer nach dem BMI?

Das ist in den aktuellen Leitlinien so vorgegeben, ja. In Deutschland gilt ein BMI von 35 mit schweren Folgeerkrankungen als kritische Grenze, bei der Adipositas-Behandlungen zur Kassenleistung werden können, oder ein BMI von 50 bzw. von 40, wenn er seit mindestens fünf Jahren besteht. Das ist recht spät; international wurde diese Grenze vielfach schon herabgesetzt. Man sollte auch nicht nur den BMI, sondern immer auch den Leidensdruck betrachten, und der ist individuell.

Wie sprechen Sie das Thema in der Praxis an?

Den Betroffenen ist bewusst, dass sie starkes Übergewicht haben. Wenn ich mit ihnen darüber rede, dass es sich um eine Stoffwechselerkrankung handelt, sind sie oft richtig erleichtert, weil es ihnen Schuldgefühle nimmt. Sie verhalten sich normal, essen normal, versuchen auch, sich in ihrem Rahmen zu bewegen, und leiden trotzdem unter Adipositas. Es entlastet sie, zu wissen, dass sie ihr Gewicht allein mit ihrem Verhalten kaum beeinflussen können.

Welche Therapiemöglichkeiten gibt es?

Bei einem BMI unter 40 oder 50 versucht man zunächst über einen Zeitraum von sechs Monaten, konservativ zu therapieren. Man muss die Mittel der Ernährungsumstellung und Bewegung ausschöpfen. Wenn dies keine Erfolge bringt, geht man weiter.

Eine Möglichkeit, wenn andere Maßnahmen nicht helfen, ist eine bariatrische Operation, bei der wir gute Erfolge sehen. Wir operieren viele Tausend Patienten jährlich. Magen und Dünndarm werden operativ so moduliert, dass sie bestimmte Botenstoffe nicht mehr ausschütten. Betroffene haben nach der OP weniger Hunger. Sie essen normal. Auch das Mikrobiom verändert sich. Die Kassen übernehmen allerdings die Kosten erst ab einem sehr hohen BMI. Nicht alle Patienten können oder wollen so lange warten, teils sind sie dann auch schon so eingeschränkt, dass nicht mehr operiert werden kann. Die Risiken sind zu hoch.

Alternativ zur OP gibt es medikamentöse Maßnahmen, die ein Leben lang eingenommen werden müssen. Es gibt zum Beispiel Medikamente, die zu den Mahlzeiten eingenommen werden und die Fettaufnahme aus der Nahrung behindern. Fette werden somit gar nicht erst aufgenommen, sondern direkt wieder ausgeschieden.

Daneben gibt es weitere Medikamente, die die Wirkung eines Darmhormons nachahmen, das als Reaktion auf Nahrungsaufnahme freigesetzt wird. Sie bewirken eine Steigerung der Insulin- und eine Hemmung der Glukagon-ausschüttung aus der Bauchspeicheldrüse; zusätzlich setzt das Sättigungsgefühl früher ein. Mit den genannten Wirkstoffen können Adipositas-Betroffene tatsächlich abnehmen.

Die Medikamente gibt es auf Rezept?

Die Medikamente sind rezeptpflichtig, aber leider von der Erstattung durch die gesetzliche Krankenversicherung ausgeschlossen. Die Kosten tragen die Patienten. Das summiert sich, allerdings sinkt mit dem Gewicht auch das Risiko für Gelenk-, Herz-Kreislauf- und weitere Folgeerkrankungen. Nicht nur die Lebensqualität ist bei Normalgewichtigen höher, auch die Lebenserwartung kann steigen.

Weitere Informationen rund um das Thema Adipositas finden Sie unter: www.adipositas-spezialisten.de

Dieses Interview wurde in Kooperation mit der Novo Nordisk Pharma GmbH umgesetzt.

 

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