Soziale Verantwortung

„Gesunde Menschen gibt es nur auf einer gesunden Erde“

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Vielen ist Dr. Eckart von Hirschhausen als Arzt, Autor und Kabarettist bekannt. Um sich komplett dem Kampf für ein besseres Morgen zu widmen, hat er sich von der Bühne verabschiedet. Welche Gefahren die Klimakrise für unsere Gesundheit birgt, warum wir nicht mehr Jutebeutel, sondern eine „jute“ Politik brauchen und was jeder Einzelne tun kann, lesen Sie im Interview.

Soziale Verantwortung geht uns alle an. Sie haben Ihre erfolgreiche Karriere als Bühnenkünstler beendet, um sich hauptberuflich zu engagieren. Wie kam es dazu?

Menschen verändern sich durch authentische Begegnung. Bei mir war das die Begegnung mit Jane Goodall, der Schimpansenforscherin. Mitten im Interview drehte sie die Rollen um, schaute mich an aus diesen weisen, alten und etwas melancholischen Augen und stellte mir diese Frage: „Wenn wir Menschen ständig betonen, wir sind die intelligenteste Spezies auf diesem Planeten – warum zerstören wir dann unser eigenes Zuhause?“ Da habe ich geschwiegen, geschluckt und verstanden: Das ist die zentrale Frage, der wir uns alle stellen müssen. Unsere Mutter Erde ist krank, sogar sehr krank. Sie liegt auf der Intensivstation, und da will ich alles tun, was mir möglich ist, um ihr zu helfen.

Wie wirken sich Klimakrise, Biodiversitätsverlust und Umweltzerstörung auf die Gesundheit aus?

Die gravierenden Folgen des Klimawandels und des Artensterbens für unsere Gesundheit sind keine Gefahr, die in der Zukunft liegt. Wir erleben schon jetzt, wie Hitzewellen, Dürren, aber auch der schwindende Lebensraum für Tiere und Pflanzen unsere Gesundheit negativ beeinflussen. Werden die Tiere krank, übertragen sie diese Erreger auf uns. Das hat nicht zuletzt die Coronavirus-Pandemie verdeutlicht. Als Arzt geht es mir um die Frage, wie Menschen ein gutes und gesundes Leben führen können. Die Klimakrise ist das größte Risiko für unsere Gesundheit im 21. Jahrhundert. Für uns in Europa stellt Hitze die größte unmittelbare Gefahr da: Klimakrise ist wie Sauna, nur ohne Tür. Auf Dauer nicht wirklich entspannt. Und auch nicht lustig. Wir haben viel zu lange nur über Eisbären und Meeresspiegel kommuniziert, aber die Veränderungen betreffen jeden von uns bei dem, was uns am „heiligsten“ ist – unsere Gesundheit. Die Klimakrise macht auch unsere Seele krank. Wir haben in Deutschland eine Million mehr Menschen mit psychischen Erkrankungen durch die Folgen von Hitze, Feinstaub und den Traumatisierungen durch die Extremwetter und den Verlust von Heimat.
Wann haben Sie erstmals selbst die Dimension bzw. den Zusammenhang zwischen „gesunder Erde, gesunden Menschen“ verstanden?
Die Diskussion um „Umweltschutz“ wurde viel zu lange sehr theoretisch geführt. Seit ich mich mit dem Thema Klimakrise und Gesundheit eingehender beschäftige, wird mir klar, dass es keine „Umwelt“ gibt, sondern eine Mitwelt. Wir sind existenziell darauf angewiesen, dass wir sauberes Wasser haben, saubere Luft, gesundes Essen und eine erträgliche Außentemperatur. Alle diese Dinge, die wir für selbstverständlich hielten, sind es nicht. Der Körper ist ein guter Lehrmeister, uns zu zeigen, wie schnell wir bei einer steigenden Außentemperatur buchstäblich zusammenbrechen. Hitzewellen und Hitzetote sind aber nur eine der vielen Auswirkungen. Mücken, die Tropenkrankheiten übertragen, können sich in Europa und Deutschland ansiedeln. Allergien nehmen zu und die Abgase, insbesondere die kleinen Feinstaubteilchen, gehen durch die Lunge direkt ins Blut und tragen zu Herzinfarkt, Schlaganfall und sogar zu Diabetes bei, weil unser Körper sich in einem permanenten Abwehrmechanismus befindet. Und das Dümmste an all diesen Auswirkungen des Klimawandels auf die Gesundheit ist: Der Klimawandel ist eindeutig von uns Menschen verursacht!

Es gibt immer mehr Menschen, die sich aufgrund der Situation auf der Erde gegen das Kinderkriegen entscheiden. Können Sie das verstehen?

Ich kann die Sorge um die Enkeltauglichkeit unserer Erde verstehen, aber es gibt einiges, was mir Hoffnung macht. Die nächste Generation zum Beispiel. Sie denkt viele Themen selbstverständlicher und globaler und hat mit „Fridays for Future“ richtig etwas losgetreten. Und das nicht nur in der Politik, sondern auch im privaten Umfeld: Die Diskussionen zu Hause am Küchentisch sind ganz anders geworden, denn die junge Generation fordert regelrecht ein, dass wir Boomer – und da gehöre ich ja auch dazu – jetzt auch mit anpacken und uns einsetzen. In den letzten drei Jahren ist viel mehr passiert als in den letzten 30 Jahren.

In Ihrem Buch „Mensch, Erde! Wir könnten es so schön haben“ schreiben Sie, dass die Erderhitzung das Fieber ist und das Artensterben die Demenz der Erde. Bitte gehen Sie näher darauf ein.

Demenz ist das krankhafte Vergessen. In jeder Art, die unwiederbringlich verloren geht, steckt ja das Wissen aus Millionen Jahren Evolutionsgeschichte – lauter „Lifehacks“, wie Leben auf der Erde gelingen kann. In jeder Art stecken auch Lösungen, medizinische Wirkstoffe, Gene mit fantastischen Eigenschaften. John Schellnhuber benennt es deutlich: Wir verbrennen das Buch des Lebens, bevor wir es gelesen haben! Als Wissenschaftsjournalist setze ich mich mit einem weiteren Paradoxon auseinander: Research shows that showing people research doesn’t work. Das heißt, wir wissen eigentlich genug, aber handeln nicht danach. Konkreter: Die Politik ergreift noch nicht in ausreichendem Tempo die notwendigen Maßnahmen. Verbindliche Rahmenbedingungen ist das sofortige Stoppen von Subventionen für fossile Energie und eine Landwirtschaft, die den Boden zerstört. Stattdessen schneller Ausbau der Erneuerbaren, die ja auch die Luft viel gesünder machen! Wir haben alles an Wohlstand, liberaler Demokratie und gutem Leben zu verlieren – und wie ich betone: Wir könnten so viel gewinnen, bessere Luft, sichere Ernten, stabiles Klima, Zeit für schöne Dinge, statt nur noch Krisenmodus.

Würden Sie sich selbst als Klimaaktivist bezeichnen?

Es gibt ein Kontinuum von Sesselpupser bis Klimakleber. Wo kann ich durch mein Handeln etwas verändern? Wir brauchen nicht mehr Jutebeutel, wir brauchen jute Politik, wie der Berliner sagt. Viele pflanzen Bäume, was aber auf die nächsten zehn Jahre wenig bringt. Deshalb pflanze ich Ideen, die wachsen schneller. Ich kann die Ungeduld und Frustration der jungen Menschen sehr gut verstehen, die sich zum Teil erwachsener verhalten als die Erwachsenen. Ich habe mit 17 Jahren in meiner Schule ein Referat über sauren Regen und den Nutzen von Tempolimit geschrieben. Und was haben wir heute, fast 40 Jahre später? Einen amtierenden Verkehrsminister, der sich mit allen Kräften gegen geltende Gesetze und das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes wehrt und ernsthaft meint, wir hätten nicht genug Schilder – Realsatire. Raserei, fehlende Abbiegeassistenten und mangelnde Rettungsgassen bei jedwedem Stau gefährden sehr viel mehr Menschenleben auf der Straße als Klebstoff.

Lassen Sie uns gemeinsam in die Glaskugel schauen: Wo sehen Sie die Erde in zehn, in 20 Jahren?

Es gibt ein Zeitfenster von wenigen Jahren, in dem wir entscheiden können, ob wir dauerhaft und unwiderruflich das Erdsystem überhitzen oder eine enkeltaugliche Welt erschaffen. Wissenschaft allein verändert kein Verhalten und führt nicht zu den politischen Entscheidungen, die jetzt notwendig sind, um die Not zu wenden. Mit der Stiftung Gesunde Erde – Gesunde Menschen möchte ich dazu beitragen, dass diese notwendige Transformation von Wirtschaft, Politik und Gesellschaft neuen Schwung bekommt. Dazu brauchen wir einen frischen „Spirit“: überparteilich, kooperativ, generationsübergreifend und mit ansteckend guter Laune. Mein Team und ich arbeiten gerade unter Hochdruck an vielen Hebeln und mobilisieren die Ärzteschaft und die Pflege, zu dem Thema Stellung zu beziehen, als zentrale Multiplikatoren in der Mitte der Gesellschaft. Wir arbeiten mit großen Stiftungen und Netzwerken zusammen, mit kirchlichen Organisationen, der Weltklimakonferenz und sind beim World Health Summit präsent. Ziel all unserer Aktivitäten ist es, dass der deutlichen Mehrheit unserer Gesellschaft bewusst wird: Gesunde Menschen gibt es nur auf einem gesunden Planeten. Und dafür brauchen wir radikale Änderungen in der Art und Weise, um zukunftsfähig und enkeltauglich zu leben.

Wie können wir das erreichen?

Ich werde immer wieder gefragt, was der Einzelne tun kann. Meine Antwort: Das Wichtigste, was ein Einzelner tun kann, ist, kein Einzelner zu bleiben! Jede und jeder wird gebraucht, mit Fähigkeiten, Netzwerk, Herz und Hirn. Ja, wir brauchen neue Formen des Zusammenlebens, weniger Konkurrenz, mehr Kooperation und Gemeinwohlorientierung. Statt wie in den 1980er-Jahren die „Selbstfindung“ als das wichtigste Projekt seines Lebens anzusehen, könnte es heute genau um das Gegenteil gehen: die Selbstaufgabe – weniger Ego und Optimierung, mehr Hingabe und Bereitschaft zu teilen. Damit ließen sich zwei Dinge verbinden: die Rettung der eigenen seelischen Gesundheit und die dringend notwendige Reduktion unseres Ressourcenverbrauchs.

Das Interview führte Emma Howe


Über die Stiftung Gesunde Erde – Gesunde Menschen

Die Stiftung Gesunde Erde – Gesunde Menschen (GEGM) wurde im Jahr 2020 von Prof. Dr. Eckart von Hirschhausen gegründet, um den Zusammenhang zwischen Klimaschutz und Gesundheitsschutz bewusst zu machen. Die Stiftung setzt sich für eine Klimakommunikation ein, die Distanzen überwindet und die Menschen wirklich erreicht – lösungsorientiert, humorvoll, verständlich und visionär. Und sie bringt Personen zusammen, die etwas bewegen können, wie Pflegekräfte, Mediziner:innen, Studierende, Engagierte, Politiker:innen und prominente Persönlichkeiten.

Weitere Informationen unter www.stiftung-gegm.de


BUCHTIPP

Cover Seepferdchen Als ich mich auf den Weg machte

Diesem Buch gelingt etwas ganz Besonderes: Es legt den Finger in die Wunden des menschlichen Handelns und macht uns gleichzeitig Mut, unseren Planeten heilen zu können.

Prof. Muhammad Yunus (Friedensnobelpreisträger)

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