Reinhard Horstkotte geht seit 20 Jahren als Clown mit ROTE NASEN in Kinderkrankenhäuser, Pflegeheime und Flüchtlingsunterkünfte, zu kranken, einsamen oder traumatisierten Menschen, um ihnen Momente der Freude und der Hoffnung zu bringen.
Herr Horstkotte, wie kam es dazu, dass Sie Clown wurden?
Im Grunde war ich immer verliebt in die Clownsfigur. Der Alltag besteht so oft aus Regeln und Gesetzen – es gibt aber viel mehr als das. Dafür stehen die Clowns, für Emotionen und Fantasie. Clowns sind wie Boten zwischen den Welten, Vermittler zwischen dem Kindlichen und den Erwachsenen, sie erinnern daran, dass das Leben schön sein kann, geben Hoffnung und Lebensfreude und machen Mut.
Sie gehen mit ROTE NASEN in Kinderkrankenhäuser, in Pflegeheime, in Flüchtlingsunterkünfte – wie kann man sich Ihre Arbeit vorstellen?
Wir gehen zu Menschen, die aus den verschiedensten Gründen in Not sind, und entwickeln dafür jeweils eigene Programme. Bei uns gibt es Musiker, Akrobaten, Zauberer, Jongleure und Schauspieler, Musik ist oft ein sehr wichtiges Element.
2014/2015 beispielsweise, als viele Geflüchtete aus Syrien zu uns kamen, waren wir in den Turnhallen, Flughafenhangars und anderen Unterkünften. Dort haben wir z. B. Trommelworkshops gemacht, haben auf Bitte der Kinderärzte hin das Thema Zähneputzen spielerisch integriert, weil so viele der Kinder Karies hatten, oder auch mit unseren Programmen wie nebenbei gezeigt, dass es normal ist, wenn Frauen die Chefinnen sind. Die Kinder waren fasziniert, sie blieben richtig lange bei der Sache. Das ist nicht selbstverständlich für Kinder, die traumatisiert sind.
Wie funktioniert das?
Kinder leben im Jetzt, im Spiel können sie alles um sich herum vergessen, auch die fürchterlichsten Dinge. Als im letzten Jahr die ersten Züge mit Geflüchteten aus dem Krieg in der Ukraine am Berliner Hauptbahnhof ankamen, sind wir ganz behutsam mit den Kindern in Kontakt gegangen, haben ihnen Spielangebote gemacht. Wenn wir es schaffen, dass diese Kinder lachen, sich für einen Augenblick unbeschwert fühlen, macht das auch etwas mit den Erwachsenen um sie herum. Die Kinder so zu sehen, gibt ihnen Hoffnung.
Sie besuchen auch schwer kranke Kinder im Krankenhaus. Wie bereiten Sie sich darauf vor?
Unsere Künstler haben eine sehr intensive Ausbildung, die neben künstlerischen Inhalten auch medizinisches Grundwissen und Hygienethemen umfasst. Vorab besprechen wir uns mit den Ärzten, Pflegekräften oder Psychologen und berücksichtigen die jeweilige Situation und den gesundheitlichen Zustand der Kinder. Wir gehen dann von Zimmer zu Zimmer und improvisieren mit Musik und Zauberei, wir erzählen Geschichten und reagieren dabei immer auf die Kinder oder die Familien, die dort sind.
Pflegeeinrichtungen besuchen Sie auch?
Ja, wir kümmern uns um die Herzen der Menschen, bringen etwas in ihnen zum Klingen. Dabei passen wir uns immer wieder neu an die Gegebenheiten an. Als wir z. B. während der Corona-Lockdowns nicht in die Pflegeeinrichtungen durften, hatte eine Kollegin die Idee, in einem Heim für Demenzkranke mit Hebebühnen zu arbeiten und unser Programm von dort zu zeigen, die Bewohner waren an den Fenstern und Balkonen. Das hat wunderbar funktioniert! Man darf nicht den Kopf in den Sand stecken, Kreativität findet immer einen Weg.
Wie läuft eine Clownvisite ab?
Wir integrieren uns vor Ort, auch in den Pflegealltag, konzentrieren uns dabei aber ganz auf das Clown-Sein. Wenn wir bei Menschen sind, die mit Krankheit konfrontiert sind, mit schrecklichen Erlebnissen, mit Ängsten oder mit dem Tod, tun wir nicht so, als wäre dies alles nicht da, aber wir finden einen Ansatz, um Schönheit und Freude mit ihnen zu teilen. Unser künstlerisches Handwerkszeug hilft uns dabei.
Wir arbeiten zu zweit. Wenn wir z. B. bei Kindern sind, die alles hinter sich lassen mussten, die schreckliche Dinge gesehen und erlebt haben, oder bei einem Kind im Krankenhaus, das vielleicht nicht mehr lang zu leben hat, geht einem das unter die Haut. Auch dafür sind wir geschult und es hilft sehr, einen Partner zu haben. Einer greift etwas auf, was das Kind gesagt oder gemacht hat, der andere knüpft daran an. Wir binden die Menschen, bei denen wir sind, mit ins Spiel ein. Es geht immer darum, eine Verbindung zu schaffen. Kinder wie Erwachsene vergessen dann für eine Weile das Schwere und spüren Freude. Das ist bei kranken Kindern so, das gelingt auch bei Menschen mit Demenz und bei Geflüchteten mit traumatischem Hintergrund.
Welches Schicksal hat Sie besonders bewegt?
Ich bin sehr vielen Menschen mit bewegenden Schicksalen begegnet. Am Anfang meiner Zeit bei ROTE NASEN kam ich beispielsweise bei einer Visite im Kinderkrankenhaus zu einem neunjährigen Jungen, von dem wir wussten, dass er nicht mehr lange leben würde. In seinem Zimmer spürte ich die große Bedrücktheit des Kindes und seiner Mutter, die mit ihm im Rooming-in war. Der Junge war ganz schwach und blass, ich spürte auch eine Spannung zwischen ihnen. Ich probierte alles Mögliche, es kam aber keine Reaktion.
Mehr aus Verlegenheit nahm ich einen Ballon und pustete ihn auf, die Mutter hielt sich plötzlich die Ohren zu – und ich wusste, das ist ein Faden, den ich aufgreifen kann, eine Tür zum Spiel. Ich begann, mit dem Jungen über seine Mutter zu reden, auf eine lustige Art, aber liebevoll und mit Respekt. Das hat funktioniert. Der Junge fing irgendwann richtig an zu lachen, auch die Mutter musste lachen, das Eis war gebrochen. Der Junge starb bald darauf. Ich hörte später, wie froh die Mutter darüber gewesen war, dass sie noch einmal diesen glücklichen Moment gemeinsam mit ihrem Sohn gehabt hatte.
In einer Einrichtung für Menschen mit Demenz trafen wir auf eine Dame, die tagein, tagaus durch die Flure lief. Sie suchte nach ihrem Mann, der schon lange verstorben war. Meine Clownkollegin begann, gemeinsam mit der Frau zu suchen. Sie ging in ihr Zimmer, öffnete Schubladen, suchte unter Stühlen … sie gab der alten Dame das Gefühl, nicht allein zu sein. Dann ging sie mit ihrem Ohr ganz nah an ihr Herz und sagte: „Ich habe Ihren Mann gefunden, da ist er“, und zeigte darauf. Die alte Dame fragte: „Was sagt er denn?“ – „Er sagt, ich soll dich in den Arm nehmen.“ Dann nahmen sich beide in den Arm. Die Pfleger, die um sie herumstanden, hatten Tränen in den Augen. Das Spiel, das sie gespielt hatten, war plötzlich Realität. Sie wussten, der Mann lebt im Herz der alten Dame weiter und sie war nicht mehr so allein.
Information ROTE NASEN Deutschland e. V.
ROTE NASEN Deutschland e. V. ist ein gemeinnütziger Verein, der seit 20 Jahren fester Bestandteil in vielen renommierten Gesundheitseinrichtungen und Kliniken in Deutschland ist. Derzeit schenken 74 ROTE NASEN Clowns jedes Jahr in 73 Einrichtungen rund 58.800 jüngeren und älteren Menschen bei regelmäßigen Clownvisiten fröhliche Augenblicke.
www.rotenasen.de
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