Frauengesundheit

Gleichberechtigung beginnt in der Medizin

VW

Obwohl Frauen mehr als die Hälfte der Bevölkerung ausmachen, orientieren sich medizinische Forschung, Lehre und Praxis noch immer überwiegend am männlichen Körper. Mitunter kann das für das weibliche Geschlecht sogar lebensgefährlich werden.

Über Jahrzehnte hinweg wurden Frauen systematisch aus medizinischen und pharmazeutischen Studien ausgeschlossen. Forschung fand fast ausschließlich an männlichen Probanden statt – die Ergebnisse wurden dann verallgemeinert, Medikamente zugelassen und Dosierungen festgelegt, als wären Frauen schlicht „kleinere Männer“. Die Folgen sind bis heute spürbar: Frauen erhalten dieselben Präparate in derselben Dosierung, leiden jedoch nachweislich häufiger unter teils gravierenden Nebenwirkungen. Der weibliche Stoffwechsel kann nämlich nicht einfach mit dem männlichen gleichgesetzt werden. Metabolisierung und Ausscheidung unterscheiden sich und damit auch die medikamentösen Wirkungsweisen.

Nach wie vor werden viele Krankheitsbilder in der medizinischen Ausbildung am Beispiel des erkrankten Mannes gelehrt. Fatal für die Frauen, denn sie zeigen häufig ganz andere Symptome oder Verläufe als Männer. Herzinfarkte, Schlaganfälle und andere kardiovaskuläre Erkrankungen werden bei ihnen deshalb oft zu spät erkannt oder falsch behandelt.

Eine Vielzahl frauenspezifischer Erkrankungen – etwa Endometriose oder das prämenstruelle Syndrom (PMS) und sein schweres Pendant, das prämenstruelle dysphorische Syndrom (PMDS) – ist bis heute nur unzureichend erforscht. Die genauen Ursachen bleiben im Dunkeln, spezifische Therapien existieren kaum. Die Leidtragenden sind die Frauen selbst: Viele von ihnen durchlaufen einen jahrelangen Leidensweg, bis sie endlich eine zutreffende Diagnose erhalten. Auf ihrer Suche nach Hilfe werden sie nicht selten mit ihren Beschwerden alleingelassen oder nicht ernst genommen.

Die Gründe dafür, warum Frauen in der Medizin bislang eine eher untergeordnete Rolle spielten – und teilweise noch immer spielen –, sind vielschichtig. Über Jahrhunderte hinweg war die Medizin fest in männlicher Hand. Medizinische Fakultäten, Universitäten und Kliniken waren lange Zeit ausschließlich Männern vorbehalten. Erst Ende des 19. Jahrhunderts öffneten deutsche Universitäten ihre Türen auch für Frauen und ermöglichten ihnen offiziell den Zugang zum Medizinstudium – ein Meilenstein, aber keineswegs das Ende struktureller Benachteiligung.

Bis heute spiegelt sich diese historische Schieflage wider: Leitungspositionen an Universitäten und Forschungsinstituten sowie Chefarztposten sind nach wie vor überwiegend männlich besetzt. Zwar studieren inzwischen mehr Frauen als Männer Medizin, doch je höher die Karrierestufe, desto stärker kippt das Verhältnis wieder zugunsten der Männer.

Es muss sich also dringend etwas ändern! Frauengesundheit darf kein Nischenthema mehr sein. Was wir brauchen, sind eine Förderung der Medizinerinnen, eine geschlechtersensible Forschung, eine stärkere Gewichtung von Frauengesundheit im Medizinstudium und ein Bewusstsein dafür, dass Gleichberechtigung auch in der Medizin beginnt.

Ein hoffnungsvolles Beispiel liefert die Brustkrebsforschung. Hier hat die Medizin in den vergangenen Jahren große Fortschritte gemacht: Dank verbesserter Früherkennung, moderner Diagnostik und immer individuelleren Therapieansätzen steigen die Heilungschancen kontinuierlich. Frauen profitieren heute von maßgeschneiderten Behandlungsstrategien. Brustkrebs zeigt damit eindrücklich, was möglich ist, wenn frauenspezifische Erkrankungen ernst genommen und gezielt erforscht werden – und ermutigt dazu, auch in anderen Bereichen der Frauengesundheit ähnliche Anstrengungen zu unternehmen.

Den Artikel hat Dr. med. Judith Bildau, Fachärztin für Frauenheilkunde und Geburtsmedizin, Expertin für die Wechseljahre und Autorin, geschrieben

Foto: Sabina Radtke

 

 

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