Migräne ist eine unsichtbare Krankheit, und doch hinterlässt sie tiefe Spuren im Leben der Betroffenen. Anni lebt seit ihrer Kindheit mit Migräne. Im Interview erzählt sie, wie sich die Krankheit auf ihren Alltag auswirkt, und sie spricht über lähmende Schmerzen und über ihren Wunsch nach echter Veränderung.
Anni, seit wann leidest du an Migräne und wie hat alles begonnen?
Ich habe die Diagnose mit sechs Jahren bekommen. Ich erinnere mich noch, dass ich viel an den Fingernägeln gekaut habe und meine Lippen so lange geleckt habe, bis alles wund war. Das waren frühe Anzeichen von Stress und Überforderung durch die Schmerzen. Hinzu kamen Übelkeit, Bauchschmerzen und natürlich die bohrenden Kopfschmerzen, die mich fast immer begleitet haben. Besonders belastend war für mich, dass ich nicht ernst genommen wurde.
Wie hast du als Kind diese Krankheit erlebt?
Ehrlich gesagt: Ich habe viele Erinnerungen verdrängt. Ich wusste lange nicht, wie sehr mich das alles geprägt hat. Ich hatte als Kind oft das Gefühl zu übertreiben, weil die Schmerzen nicht sichtbar waren. Ich habe erst viel später verstanden, wie sehr mich das alles belastet hat. Wenn ich mir Fotos oder Videos von damals anschaue, sehe ich ein Kind, das gelitten hat, ohne dass es wirklich jemand erkannt oder gesehen hat.
Kannst du beschreiben, wie sich eine Migräneattacke für dich anfühlt?
Es ist ein pulsierender, bohrender Schmerz, als würde mein Kopf in einer engen, drückenden Schachtel stecken. Jede Bewegung tut weh. Manchmal ist es, als würde sogar das Denken schmerzen. Licht, Geräusche, Gerüche – alles wird zu viel. Es fühlt sich an, als würde mein gesamter Körper in Alarmbereitschaft stehen, und gleichzeitig ist da dieser lähmende Schmerz. Die Zeit steht still – und ich auch.
Wie reagiert dein Umfeld auf deine Erkrankung?
Leider oft mit Unverständnis. Viele sagen Dinge wie „Ach komm, das sind doch nur Kopfschmerzen“ oder „Lenk dich einfach ab“. Aber Migräne ist so viel mehr, sie ist eine komplexe neurologische Erkrankung mit vielen Begleitsymptomen – Migräne ist nicht einfach nur ein bisschen Kopfweh. Solche Sprüche tun weh, weil sie ignorieren, was in mir wirklich vorgeht. Ich wünsche mir, dass die Gesellschaft endlich hinschaut – und zuhört.
Wann wurde es bei dir schlimmer?
Nach dem Abstillen meines zweiten Kindes, im letzten Jahr. Plötzlich kamen die Attacken öfter, heftiger, teilweise vier Tage am Stück. Früher hatte ich unter 15 Migränetage im Monat – das nennt man episodisch. Jetzt sind es über 15, also chronisch. Das hat alles verändert. Mein Leben ist seither noch viel weniger planbar, ich muss ständig mit dem nächsten Einbruch rechnen.
Wie gehst du mit akuten Attacken um?
Ich versuche, so früh wie möglich zu reagieren. Selten helfen herkömmliche Schmerzmittel wie Ibuprofen. Ich greife mittlerweile lieber zu Triptanen. Es ist ein ständiges Abwägen: Nehme ich das Medikament jetzt, oder warte ich noch? Und manchmal kommen die Schmerzen im Laufe des Tages einfach wieder. Es gibt Attacken, die nach ein paar Stunden abflauen, und andere, die wie eine Welle über Tage hinweg nicht enden wollen.
Fühlst du dich medizinisch gut begleitet?
Ehrlich? Nein. Viele Ärzte haben wenig Zeit und wenig Verständnis. Ich habe in meinen frühen Zwanzigern ein Triptan verschrieben bekommen, was ich nicht vertragen habe. Dann habe ich nur noch Ibuprofen genommen, was quasi nicht hilft. Dass es aber mehrere Triptane gibt, wusste ich lange nicht. Die meisten Informationen über Migräne habe ich mir selbst zusammengesucht, und das würde ich auch jedem mit Migräne raten – werde dein eigener Experte.
Wie beeinflusst Migräne dein Familienleben?
Sehr stark. Ich habe zwei kleine Kinder, und wenn eine Attacke kommt, kann ich nicht die Mama sein, die ich gern für meine Jungs wäre. Dann liege ich im abgedunkelten Zimmer, während ich eigentlich für sie da sein möchte. Diese Ohnmacht ist schlimm. Ich brauche dann Hilfe von meinem Mann oder meinen Schwiegereltern, die für mich meine größte Stütze in diesen Momenten darstellen. Ohne diese Hilfe hätte ich ein riesiges Problem. Mama mit Migräne sein ist ein wahnsinniger Druck. Denn selbst wenn die Schmerzen nachlassen, bleibt oft eine bleierne Erschöpfung zurück.
Welche Prophylaxe hast du ausprobiert – und mit welchen Erfahrungen?
Ich habe vieles getestet: Betablocker, Antidepressiva, eine Antikörpertherapie. Meine Migräne hat sich unter der Antikörpertherapie verändert und ich hatte große Hoffnung, doch dann wurde es wieder schlimmer. Momentan mache ich eine Pause und werde bald eine neue Prophylaxetherapie testen.
Wenn du dir die ideale Migränebehandlung wünschen könntest, wie müsste sie aussehen?
Sie müsste schnell wirken, möglichst bevor der Schmerz sich voll entwickelt hat. Und sie müsste langanhaltend helfen, möglichst ohne Nebenwirkungen. Mein Traum wäre zudem, dass das Medikament auch alle Begleitsymptome mit sich nimmt, da diese häufig lange vor und lange nach dem Schmerz anwesend sind und mein Leben ebenfalls sehr einschränken.
Wärst du bereit, für diese Therapie selbst zu bezahlen?
Ja, ich habe auch bereits viel aus eigener Tasche gezahlt. Irgendwann versucht man andere Wege, um etwas zu finden, was das Leid weniger werden lässt. Ich habe schon viel ausprobiert, wie Heilpraktiker, Osteopathie, Nahrungsergänzungsmittel, die mich jeden Monat ein Vermögen kosten. Und natürlich würde ich auch für ein Medikament selbst zahlen, wenn es mir hilft. Denn jeder Tag mit Migräne ist ein verlorener Tag.
Das Interview führte Emma Howe
Mit freundlicherUnterstützung der ORION Pharma GmbH