HIV

„Menschen hatten Angst vor mir“

Rosalinde

Im Interview berichtet Rosalinde Hoffmann von der Diagnose ihrer HIV-Infektion, die Reaktionen ihres persönlichen Umfelds und von ihrer größten Stütze im Alltag.

Wann haben Sie sich mit HIV infiziert und wie haben Sie davon erfahren?

Am 3. September 1987 bekam ich im Zuge einer OP eine Bluttransfusion. Einige Wochen später bin ich zusammengebrochen, mit der Diagnose Hepatitis B. Von der Blutkonserve erfuhr ich nur zufällig, weil ich ein Gespräch der Ärzte mitbekam, das nicht für meine Ohren bestimmt war. Man vermutete die Ursache der Infektion in der besagten Bluttransfusion. Als ich gezielt danach fragte, wichen mir die Ärzte aus: „Es ist ja nur eine Vermutung.“ Gezielt fragte ich, was mit HIV ist. Die Antwort: Das ist eher unwahrscheinlich, bei uns (Anm. d. Red.: in der DDR) ist AIDS kein Thema, schließlich schützt uns die Mauer auch davor. Ich bestand auf einen HIV-Test, der abgelehnt wurde. Nach dem über dreimonatigen Aufenthalt auf der Quarantänestation versuchte ich auch vergeblich, einen Test bei meiner (Betriebs-)Ärztin und beim Hausarzt durchführen zu lassen. Da ich keine außergewöhnlichen sexuellen Kontakte hatte, sei kein Test erforderlich, denn man könne sich in unserem geschützten Land nicht anstecken, wurde mir gesagt. Ich blieb skeptisch. Mein größtes Glück war der Mauerfall und dass ich mir gleich Anfang der 90er im Westteil Gewissheit verschaffen konnte. Dort bekam ich die Diagnose schwarz auf weiß: HIV.

Wie haben Sie sich nach der Diagnose gefühlt und wie sind Sie anfangs damit umgegangen?

Es war das reinste Gefühlsdurcheinander. Damals war es noch eine sehr schreckliche Todesdiagnose, ich hatte fürchterliche Angst. Es war genau die Zeit, wo die Menschen noch reihenweise gestorben sind. Nachdem ich erst einmal in ein großes Tief gefallen bin, habe ich mich irgendwie zusammengerissen und mir vorgenommen, aus den paar Monaten, maximal Jahren, noch etwas zu machen. Ich habe mir einen kleinen Hund aus dem Tierheim geholt, der mein Leben gut bereicherte, habe meine gesamten Ersparnisse genommen und bin um die Welt gereist. Bei einer der letzten Reisen brach ich am Flughafen zusammen und schaffte es gerade so bis nach Berlin, um da gleich ins Krankenhaus zu gehen. Meine Gesundheit hat mich so belastet, dass meine Werte in den Keller gingen und ich damals das Vollbild AIDS hatte. Dazu kam, dass ich in meinem über alles geliebten Beruf nicht mehr arbeiten konnte. Ich war von Herzen gerne Postzustellerin. So blieb mir nichts anderes übrig, als mich an den Rollstuhl und die antiretrovirale Therapie, die ich bis dahin abgelehnt hatte, zu gewöhnen – auch weil ich meine Hündin wiedersehen und mit ihr wenigstens noch ein bisschen Zeit verbringen wollte. Was dann auch mit einer geeigneten Wohnung, die mir die AIDS-Hilfe organisierte, und dem Pflegedienst ganz gut gelang.

HIV ist kein Schnupfen.

Wie hat Ihr persönliches Umfeld auf die Diagnose reagiert und wie leben Sie heute – aus gesellschaftlicher Sicht – damit?

Der größte Teil meiner sogenannten Freunde hat sich, nachdem ich es ihnen gesagt hatte, distanziert. Auch meine damalige Beziehung ging deshalb auseinander. Man hatte Panik, sich in der gleichen Luft zu infizieren. Ich hatte zwar schon abgewogen, wem ich etwas erzähle, doch ich war der Meinung, den besten Freunden sollte ich es sagen. Die Entscheidung habe ich nicht bereut, denn jetzt wusste ich, was es für „Freunde“ waren – darauf konnte ich verzichten. Die ganz wenigen, die dann noch geblieben sind und all die Jahre zu mir gehalten haben, unterstützen mich heute noch. Inzwischen gehe ich ganz offen mit der Infektion um, auch im Wohnumfeld. Allerdings finde ich es nach wie vor erschütternd, dass noch heute immer wieder selbst Mediziner Berührungsängste mit HIV haben. Inzwischen bin ich aber so selbstbewusst und sage mir, da gehe ich woanders hin. Was mich wirklich nervt, ist, dass gerade in den Medien HIV-Positive vorgestellt werden, denen es richtig gut geht, die völlig gesund wirken, sodass der Eindruck entsteht, HIV sei nur ein Schnupfen, mit ein paar Pillen kriegt man das schon wieder hin. Deshalb wundert es mich nicht, dass unsere Jugend völlig leichtsinnig mit dem Thema ungeschützter Sex umgeht und auch die Spendenbereitschaft schwindet, weil HIV und AIDS offenbar den Schrecken verloren haben. Sicher ist es glücklicherweise nicht mehr gleich ein Todesurteil. Vielen geht es um Welten besser als den damals frisch Infizierten. Doch ich gönne niemandem die jahrzehntelange Einnahme von mehreren Pillen und denen, die die Nebenwirkungen bekämpfen sollen. Es ist einfach kein Spaß.

HIV ist nach wie vor ein Tabu, hat für viele aber den Schrecken verloren. Es macht mich traurig zu sehen, wie leichtsinnig die Jugend mit ungeschütztem Geschlechtsverkehr umgeht.

Sie leben nun seit fast 30 Jahren mit der Krankheit, was aus Sicht der damaligen Prognosen sehr lang ist. Was denken Sie über Ihr Leben?

Ich bin sehr froh, dass ich so gehandelt habe wie geschildert. Ich habe damals noch die Welt gesehen, heute hätte ich weder das Geld noch die Kraft dafür. Ich bin dankbar für jedes Jahr, das mir geschenkt wird. Vor allem danke ich der Geschichte, denn für mich fiel die Mauer exakt zum richtigen Zeitpunkt, mit Sicherheit hätte ich das in der DDR nicht überlebt.

Wer unterstützt Sie in Ihrem Alltag?

Wie schon erwähnt, die Handvoll Freunde, die mir von früher geblieben sind, und mein allerbester Freund sind meine Stütze im Alltag. Sie helfen mir, wo es geht. Sie halfen mir auch, die schwere Zeit zu überstehen, als ich meine geliebte Hündin, die ich mir damals nach der Diagnose geholt hatte, gestorben ist. Denn meine Planung war, dass sie mich überlebt. Seit Ende 2017 jedoch gibt es wieder einen Hund in meinem Leben, damit haben Freunde mich überrumpelt. Denn eigentlich konnte und kann ich mir keinen Hund von meiner kleinen Stütze leisten, doch auch dafür wurde gesorgt. Ich habe Paul mithilfe eines Vereins zum Assistenzhund ausgebildet und 2019 mit ihr die Assistenzhund-Team-Prüfung mit Bravour bestanden. Schon während der Ausbildung zeigte sich, wie intelligent und fleißig Paul ist. Nach und nach übernahm er Aufgaben, die bislang meine Freunde erledigten. Er hilft mir beim Ankleiden, räumt die Waschmaschine ein und aus, holt mir das Telefon und vieles mehr. Aber das Allerbeste ist: Paul hat mir wieder ein selbstbestimmtes Leben ermöglicht, so muss ich nicht mehr Freunde bitten, für mich einzukaufen, sondern mache das inzwischen mit Paul selbst. Ich fühle mich mit ihm sehr selbstsicher und traue mich inzwischen wieder, öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen. Selbst ins Theater kann ich dank Paul wieder gehen. All dies war viele Jahre für mich nicht möglich. Inzwischen hoffe ich, dass es mir noch ein paar Jahre mit Paul so gut geht und ich einige Euros zusammenbekomme, damit ich vielleicht doch mal wieder eine kleinere Reise machen kann. Den Mut dazu habe ich inzwischen, fehlt nur noch die Umsetzung als i-Tüpfelchen zu meinem Glück.

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