Seltene Erkrankungen

Möchte Ihr Kind nicht laufen?

Beinfehlstellung beim Kind
Schnabel Passbild SBA 7319 2017.remini enhanced

Dr. med. Dirk Schnabel,
Facharzt für Kinder- und Jugend-medizin, Pädiatrische Endokrinologie und Diabetologie, Leiter der Abteilung Interdisziplinär des SPZ für chronisch kranke Kinder an der Charité –
Universitätsmedizin Berlin

Bei Beinfehlstellungen, Wachstumsstörungen und Problemen mit den Zähnen bei einem Kleinkind sollten Ärzte an Phosphatdiabetes (XLH) denken. Wir sprachen mit dem Kinderarzt und Spezialisten für Knochenerkrankungen im Kindesalter, Dr. Dirk Schnabel, über diese seltene Erberkrankung.

Herr Dr. Schnabel, was ist XLH und was bedeutet die Erkrankung für die Betroffenen?

Phosphatdiabetes ist eine angeborene Störung des Knochenstoffwechsels. Ein gesunder, fester Knochen besteht aus der Knochengrundsubstanz sowie aus einem bestimmten Verhältnis von Calcium und Phosphat. Steht das Mineral Phosphat nicht ausreichend zur Verfügung, beeinträchtigt dies die Knochenstabilität und die Knochen werden weich. Es kommt zu O- oder X-Beinstellungen in Kombination mit einem verspäteten Laufbeginn, der durch Kinderärzte zuweilen als Lauffaulheit abgetan wird. Zudem sind betroffene Kinder häufig etwas kleiner als andere Kinder im gleichen Alter. Aber auch Zahnbein- und Zahnschmelzdefekte mit Karies oder anderen Infektionen im Zahnbereich bis hin zu Abszessen sind die Folge.

Wie wird Phosphatdiabetes diagnostiziert?

Die Kombination von Beinfehlstellung, einem verminderten Wachstum und Beinschmerzen sollte Kinderärzte stutzig machen. Wenn diese Symptomatik vorliegt, ist durch den behandelnden Kinderarzt eine Laboruntersuchung mit Bestimmung des Phosphatwertes sinnvoll. Wenn sich hier Auffälligkeiten zeigen, sollte eine Weiterleitung an einen Kinderendokrinologen erfolgen. Hier müssen weitere Blut-, Urin- und genetische Tests sowie Röntgenuntersuchungen gemacht werden, um den Verdacht zu bestätigen. Danach kann die Therapie beginnen.

Welche Behandlungsmöglichkeiten gibt es?

Früher bestand die Standardbehandlung darin, dem Körper das Phosphat in größeren Mengen durch Tabletten oder Trinklösungen, zusammen mit einem hochpotenten Vitamin D, zuzuführen. Dies musste bis zu sechsmal am Tag eingenommen werden, um einen bestimmten Phosphatspiegel im Blut zu erreichen. Das war für Kinder, Jugendliche und deren Familien nicht einfach und teilweise auch gar nicht umzusetzen. Hinzu kamen Nebenwirkungen wie starke Bauchschmerzen und Durchfälle, aber auch eine Verkalkung der Nieren. Seit 2018 gibt es jedoch eine neue Antikörpertherapie, die das Problem im Phosphatstoffwechsel grundsätzlich behandelt. Bereits nach wenigen Monaten kann es zu einer Normalisierung des Knochenstoffwechsels und zur Ausheilung der Knochenerkrankung kommen. Wird die Erkrankung früh diagnostiziert, kann es dank der Therapie zu einer spontanen Begradigung der Beine kommen. Und es ist nicht, wie früher, eine Operation der teilweise erheblichen Fehlstellungen nötig. Hinzu kommt, dass die Therapie einfach durchzuführen ist, da das Arzneimittel nur alle zwei Wochen gespritzt werden muss. Diese gezielte Therapie ist ein riesiger Therapiefortschritt, der eine enorme Verbesserung der Lebensqualität zur Folge haben kann.

Kommen wir zum Thema Transitionsmedizin. Wie kann es gelingen, Fehl- und Unterversorgungen zu vermeiden und jugendliche bzw. junge erwachsene Patienten in einer spezialisierten Betreuung zu halten?

Im Kindes- und Jugendalter ist die entsprechende gesundheitliche, multiprofessionelle Versorgung gut strukturiert. Hier haben wir in Deutschland ein Register, das ich zusammen mit meinem Kollegen Prof. Dieter Haffner seit mehr als 20 Jahren leite. In diesem haben wir aktuell 150 Patienten mit dieser Erkrankung, bei denen alle wichtigen Organbeteiligungen dokumentiert werden. Der Übergang in den Erwachsenenbereich ist auch für diese seltene Erkrankung schwierig, denn es gibt nur sehr wenige Spezialisten, die Erwachsene mit XLH betreuen. Um keine Versorgungslücke entstehen zu lassen, sollte eine standardisierte Überleitung in die Erwachsenenmedizin, also eine Transition, mit Fortführung des einheitlichen XLH-Registers erfolgen.

Das Interview führte Leonie Zell

Hier klicken und das gesamte Hörmagazin „Leben mit seltenen Erkrankungen“ anhören.

Hinterlassen Sie eine Antwort

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

0 %