Julia ist 23 Jahre alt, als sie das Gefühl hat, die Kontrolle über ihren Körper zu verlieren. Sie hat starke Schmerzen, dauerhaften Schluckauf, ist chronisch müde und leidet unter motorischen Ausfällen. Was sie damals noch nicht weiß: Julia hat NMOSD, eine Autoimmunerkrankung des zentralen Nervensystems. Doch die Erkrankung ist selten und für Außenstehende häufig zunächst kaum sichtbar.
Julia, wann hast du gemerkt, dass etwas nicht stimmt?
Ich wachte eines Morgens mit starken Nackenschmerzen auf und dachte an eine Verspannung. Die Schmerzen wurden jedoch so schlimm, dass ich nach ein paar Tagen zum Hausarzt ging. Er verschrieb mir Schmerztabletten und Physiotherapie, aber mein Gesundheitszustand verschlechterte sich. Ich bekam einen anhaltenden Schluckauf, der von Erbrechen begleitet wurde; ich war auch sehr müde und hatte das Gefühl, die Kontrolle über meinen eigenen Körper zu verlieren. Meine Mutter verständigte schließlich den Bereitschaftsdienst, nachdem wir telefoniert hatten.
Die Ärzte gingen zunächst von einer Magenschleimhautentzündung aus, verursacht durch die Schmerzmedikamente. Ich bekam andere Medikamente und meine Mutter nahm mich mit zu sich nach Hause. Mir ging es immer schlechter. Ich war kraftlos, konnte nichts bei mir behalten und erbrach ständig. Aufstehen und gehen – selbst trinken war unmöglich. Ich hatte unvorstellbare Schmerzen. Nach etwa einer Woche brachten mich meine Eltern ins Krankenhaus, wo ich eine Infusion bekam. Da nichts gefunden wurde und mein Zustand stabil zu sein schien, wurde ich noch am selben Abend entlassen. Am nächsten Tag begleitete mich eine Bekannte zu meinem Hausarzt, der sofort den Notruf wählte und mich mit Verdacht auf einen Schlaganfall ins Krankenhaus einliefern ließ. Eine Gesichtshälfte hing herunter und der Handdrucktest war sehr schwach. Bei den ersten Untersuchungen stellte man fest, dass mein linkes Auge im zentralen Sehfeld einen schwarzen Fleck hatte und ich nicht mehr richtig sehen konnte. Die Ärzte diagnostizierten eine starke Dehydrierung, Gehirnentzündung, Rückenmarksentzündung und eine Sehnerventzündung. Nach zahlreichen Tests erhielt ich schließlich die Diagnose Neuromyelitis-optica-Spektrum-Erkrankung, NMOSD. Es handelt sich dabei um eine Autoimmunerkrankung, das heißt, der Körper bildet Antikörper gegen körpereigenes Gewebe.
Wie hast du auf die Diagnose reagiert?
Ich war im ersten Moment erleichtert, weil ich nun endlich wusste, was ich habe. Meine Eltern, besonders meine Mutter, haben sich anfangs große Sorgen gemacht und viele Informationen über die Krankheit recherchiert.
Wie ging es dann weiter?
Ich erhielt eine Weile alle zwei Wochen Immunglobuline über eine Infusion; auch Physiotherapie und Ergotherapie haben sehr geholfen. Man muss sich vorstellen, ich musste vieles wieder lernen, das Gehen zum Beispiel musste ich neu üben! Aktuell erhalte ich keine spezifische Therapie, möchte sie aber in naher Zukunft wieder aufnehmen. Seit ein paar Jahren bin ich darüber hinaus wegen meiner Nervenschmerzen in einer Schmerzklinik ambulant in Behandlung. All das hat dazu geführt, dass ich meinen Alltag heute wieder bewältigen kann.
Was hat sich für dich verändert?
Mein Leben hat sich komplett gewandelt. Es gibt gute und schlechte Tage, doch seit der Diagnose setze ich andere Prioritäten. Ich habe gelernt, was wirklich wichtig ist, und schätze die kleinen Momente des Glücks und die Zeit mit meiner Familie viel mehr. Die NMOSD hat mir gezeigt, wie kostbar das Leben und die gemeinsame Zeit mit den Liebsten sind.
Du schreibst auf Instagram, unter @nmosdfighter, über deinen Alltag mit NMOSD. Was hat dich dazu bewogen?
Als ich die Diagnose erhielt, fühlte ich mich anfangs oft allein damit. Ich habe mich dafür entschieden, meine Erfahrungen zu teilen, um auch anderen Menschen zu zeigen, wie ein Leben mit einer seltenen Erkrankung aussehen kann. Durch meine Beiträge möchte ich zeigen, dass man trotz der Herausforderungen ein erfülltes Leben führen kann. Ich hoffe, dadurch anderen Betroffenen Mut zu machen und mehr Verständnis und Bewusstsein für seltene Krankheiten in der Gesellschaft zu schaffen. Außerdem wollte ich eine Plattform schaffen, auf der sich Betroffene austauschen und gegenseitig unterstützen können. Die positive Resonanz und die Geschichten anderer Betroffener bestärken mich immer wieder darin, diesen Weg weiterzugehen.
Wie geht es dir heute, und welchen Rat hast du für andere Betroffene?
Ich habe gelernt, mit meiner Krankheit zu leben und die positiven Momente mehr zu schätzen als früher. Es war ein langer Weg, aber ich bin dankbar für die Unterstützung meiner Familie und meiner Freunde.
Anderen Betroffenen möchte ich raten, niemals die Hoffnung zu verlieren und nicht allein mit seinen Sorgen zu bleiben. Sucht euch Hilfe – sei es durch Ärzte, Familie oder Freunde. Informiert euch gut über eure Krankheit und seid offen für verschiedene Therapien und Behandlungsmöglichkeiten. Wichtig ist auch, auf den eigenen Körper zu hören und sich die Ruhe und die Pausen zu gönnen, die man braucht. Und vor allem: Lasst euch nicht entmutigen! Jeder Tag ist eine neue Chance, und auch kleine Fortschritte sind wertvoll.
Das Interview führte Emma Howe