Rund 270.000 Menschen erleiden pro Jahr in Deutschland einen Schlaganfall, davon sind etwa 14.000 unter 50 Jahre alt. So wie Dagmar. Sie erlitt einen Schlaganfall, der ihr Leben auf den Kopf stellte. Von einem Moment auf den anderen war nichts mehr, wie es war. Im Interview spricht die heute 77-Jährige über ihren Kampf zurück ins Leben, den Rückhalt ihrer Familie und den Umgang mit der Spastik.
Liebe Dagmar, bitte erzählen Sie uns von dem Tag, an dem Sie einen Schlaganfall erlitten haben.
Ich war nie krank, ich war immer gesund. Aber an diesem Tag hatte ich wahnsinnige Kopfschmerzen. Ich habe gedacht, mir platzt der Kopf auseinander. Mein Mann sagte zu mir: „Setz dich hin, ruh dich aus, nimm mal eine Tablette.“ Aber es half nichts. Ich hatte dann die Augen zugemacht und als ich sie wieder öffnete, sah ich nichts mehr – ich war blind. In der Notaufnahme wurde eine Angiografie gemacht und die Ärzte haben festgestellt, dass ich einen Thrombus in der Carotis, also in der großen Hauptschlagader des Halses, hatte. Danach bin ich ins Koma gefallen und habe vier Tage nichts gemerkt.
Wann haben Sie von der Diagnose erfahren und wie haben Sie darauf reagiert?
Als ich erwacht bin, konnte ich mich nicht mehr bewegen. Meine gesamte linke Körperseite war von oben bis unten gelähmt. Dann haben die Ärzte zu mir gesagt, dass ich einen schweren Schlaganfall erlitten habe. Ich habe dann erst mal nur geheult und dachte, mein Leben ist zu Ende.
Wie ging es weiter?
Nach einem Vierteljahr bin ich das erste Mal zu Hause gewesen. Ich hatte die Pflegestufe 3, musste rund um die Uhr betreut und versorgt werden: Ich wusste nicht, was ein Kugelschreiber ist. Ich wusste nicht, was eine Zahnbürste ist. Ich wusste nicht, was ein Glas ist. Ich musste alles wieder neu lernen und kennenlernen. Ich habe in dieser Zeit sehr viel geweint. Ich habe gedacht, dass ich das nicht mehr schaffe. Mein Mann hat dann immer zu mir gesagt: „Zerfleisch dich nur.“ Das waren seine Worte. Er hat mich so sehr angetrieben, sodass sogar Freunde von uns gesagt haben, dass er zu viel von mir verlangt. Aber das war genau das Richtige. Er hat mich immer wieder gereizt, sodass der Punkt kam, an dem ich ihm beweisen wollte, dass ich es schaffe – und ich habe es geschafft.
Was hat Ihnen in dieser Zeit am meisten geholfen?
Mein Mann. Seine Art mit der Krankheit umzugehen, war das, was mir am Allermeisten geholfen hat. Und natürlich meine Kinder. Die standen immer hinter mir, die haben alles mit mir gemacht. Sie sind mit mir in den Urlaub gefahren, haben mir immer wieder Rätsel aufgegeben, haben immer versucht mit mir zu arbeiten. Das alles hat mich motiviert. Ich wollte einfach wieder normal und die Mutti sein, die von anderen gebraucht wird – so wie das vor dem Schlaganfall war. Das habe ich, und das haben wir gemeinsam als Familie, geschafft.
Hatten Sie neuropsychologische Hilfe?
Ja, und die Unterstützung vom Psychologen hat mir auch sehr geholfen. Er hat viele Übungen mit mir gemacht und er hat sich an meine Wünsche angelehnt. Mein Ziel war es wieder für andere da zu sein und ich wollte auch die Krankheit richtig erforschen. Er hat mich dabei unterstützt.
20 bis 40 Prozent leiden nach einem Schlaganfall unter spastischen Bewegungsstörungen. Die meisten Spastiken machen sich spätestens drei bis sechs Monate nach dem Schlaganfall bemerkbar Wie ist das bei Ihnen?
Vor 13 Jahren bekam ich Spastikerscheinungen in meinem linken Bein. Das war ganz schön heftig. Das Bein zitterte und es krampfte. Schon bei einer kleinen Unebenheit auf der Straße und kurzer Unkonzentriertheit fiel ich hin. Daraufhin habe ich mich mit meinem Neuropsychologen zusammengesetzt. Seitdem bekomme ich alle Vierteljahre Spritzen – und das hilft wirklich. Ich habe deutliche Verbesserungen und ich merke, kurz bevor das Vierteljahr abläuft, dass die Spastiken wiederkommen. Nicht so heftig wie vorher, aber der Körper signalisiert, dass es wieder Zeit für die Spritze ist. Angenehm ist die Spritzerei nicht, muss ich sagen. Es tut schon weh. In den ersten Tagen nach der Spritze fühlt sich das Bein komisch an, aber nach einer Woche ist alles weg und dann kann ich das Bein ganz ruhig bewegen und normal laufen, ohne dass das Knie nach hinten ausschlägt. Das ist einfach toll.
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Was möchten Sie anderen Betroffenen raten?
Ich habe viel gearbeitet, bevor ich den Schlaganfall hatte. Ich war immer fleißig und habe auch viel ehrenamtlich gemacht. Als ich dann aus meinem ganz tiefen Tief raus war, habe ich beschlossen, dass mein Körper jetzt meine Arbeit ist. Ich kann allen nur raten, niemals aufzugeben und zu kämpfen. Jedes Erfolgserlebnis, was du mit deinem Körper schaffst, ist wie ein Arbeitserfolgserlebnis.
Dieses Interview wurde in Zusammenarbeit mit IPSEN umgesetzt