Übergewicht

„Stellen Sie sich vor, Sie landen am Flughafen und werden am Handicap-Schalter empfangen“

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Reiner „Calli“ Calmund ist einer der bekanntesten Menschen in Deutschland und hatte einen BMI von 60. Diäten halfen nicht. Da entschloss sich der ehemalige Bundesligamanager zu einer bariatrischen Operation und nahm 80 Kilo ab. Im Interview spricht er über Stigmatisierung und den Moment,
als er sich für sein Übergewicht schämte.
und sein neues Leben.

Herr Calmund, jahrzehntelang war eines Ihrer Markenzeichen Ihre Körperfülle. Wie kam es zu den 180 Kilo?

Ich erfülle das typische Klischee, das viele von Menschen mit Übergewicht haben: Ich habe jahrelang zu viel gegessen und mich zu wenig bewegt. Bei meiner OP habe ich gelernt, dass ich mein Fettfundament schon in jungen, schmalen Zeiten durch die vielen Süßspeisen angelegt hatte. Das konnte ich zunächst gar nicht glauben. Ich war als Kind und Jugendlicher als aktiver Fußballer ein Hungerhaken. Dann hatte ich einen Knochenabriss im Sprunggelenk, der damals noch nicht reparabel war. Ohne Sport kamen dann die Kalorien in Kompaniestärke anmarschiert. Unsere Nachbarn waren Bayern, die mir ihre Mehlspeisen wie Kaiserschmarren, Dampfnudeln und Apfelstrudel näherbrachten. Meine Mutter arbeitete in einer Bäckerei, sie brachte täglich ein Kuchenblech mit. So schaukelte sich das Gewicht bei mir hoch.

Gab es Momente, in denen Sie wegen Ihres Gewichts stigmatisiert wurden?

Wenn Sie mit stigmatisiert meinen, dass ich zu Karneval bei allen Büttenrednern einen breiten Part im wahrsten Sinne des Wortes eingenommen habe, dann lautet die Antwort: Ja, ich wurde stigmatisiert. Aber die Kunst ist ja, über sich selbst zu lachen. Gerade im Karneval. Ich wurde wegen meines Gewichts nicht ausgegrenzt, im Gegenteil: Das Gewicht wurde mein Markenzeichen. Eine große deutsche Tageszeitung betitelte mich als XXL-Manager. Diese Ehre wurde in Deutschland noch niemandem zuteil.

Was würden Sie Menschen raten, die aufgrund ihres Übergewichtes ausgegrenzt oder schlecht behandelt werden?

Abnehmen (lacht). Nein, Spaß beiseite, dafür ist das Thema einfach zu ernst. Wir reden hier ja über ein gesellschaftliches Phänomen, das weit über das Übergewicht hinausgeht. Dass Menschen ausgegrenzt oder schlecht behandelt werden – nur weil sie anders sind. Wir erleben eine Zeit, in der die Toleranzforderer die Intolerantesten sind. Wir alle sind gefordert, nicht nur über eine bunte und vielfältige Gesellschaft zu reden, sondern sie auch zu gestalten oder zu akzeptieren.

Wie viele Diäten/Abnehmkuren haben Sie in Ihrem Leben gemacht?

Ich schätze, um die zehn. Ich habe insgesamt dabei 250 Kilo abgenommen, aber danach auch rund 300 Kilo wieder zu. Da konnte mir auch Joey Kelly nicht helfen, mit dem ich ja als Iron-Calli bei RTL und VOX mein Sport- und Diätprogramm in mehreren TV-Folgen öffentlich gemacht habe. Ich wollte mich damit selbst unter Druck setzen. Und zunächst purzelten die Pfunde auch.

Und dann kam der Jo-Jo-Effekt?

Ja – und das jedes Mal! Weg mit der gesunden Ernährung, weg mit der regelmäßigen Bewegung und zurück zu den alten Gewohnheiten.

Wann kam der Moment, als Sie beschlossen haben, dass sich jetzt wirklich etwas ändern muss?

Stellen Sie sich vor, Sie landen in Amerika und werden dort direkt am Handicap-Schalter empfangen. Dort macht es rumms und Ihnen schiebt jemand einen Rollstuhl unter den Hintern. Anfangs war ich perplex und habe mich auch etwas geschämt, dann habe ich mir gedacht: Oh, das ist ja doch sehr bequem. So ging es mir an den Flughäfen von San Diego, San Francisco und Las Vegas. Und im Disneyland habe ich einen E-Scooter bekommen. Das war im Sommer 2019. So wollte ich dann doch nicht enden.

Wie kam es schließlich zur OP-Entscheidung?

Ich wusste, dass ich etwas ändern muss. Aber es war dann wie so oft im Leben: Es braucht einen Stupser von außen. Das war bei mir damals Uli Hoeneß. Im August 2019 war ich bei ihm in München, und als ich ging, sagte er: „Mensch, Calli, was ist eigentlich mit deiner Plauze, willst du da nicht mal was machen?“ Er hat mir den Spezialisten Professor Karcz in Großhadern empfohlen. Der Professor sagte mir auf den Kopf zu: „Herr Calmund, das geht bei Ihnen nur mit einer Magenverkleinerung. Selbst wenn Sie nach Grönland fliegen, dort Sport machen und gesund essen, werden Sie nicht langfristig abnehmen.“ Ein paar Tage später war ich zum 70. Geburtstag bei Professor Werner Mang eingeladen. Werner bestätigte mir die Diagnose und empfahl mir für die Operation Professor Runkel von der Sana-Klinik in Offenbach. Fünf Tage nach der OP konnte ich das Krankenhaus mit meinem verkleinerten Magen verlassen.

Hatten Sie Angst vor der OP?

Ja! Es war meine zweite OP. Als Sechsjähriger wurden mir, mit der damals sogenannten Käppchen-Anästhesie, die Mandeln entfernt. Ich musste mich zwei Tage mehrfach übergeben. Mit der aktuellen neuen OP-Methode hatte ich keinerlei Probleme.

Wie haben Sie sich nach der OP gefühlt und wann war wieder ein normaler Alltag möglich?

Ich war fit wie ein Turnschuh! Meine Frau beschwerte sich schon: Seit ich mich wieder frei bewegen könne, sei zu Hause nichts mehr am rechten Platz. Ich konnte wieder Schuhe binden, mir ein Glas Wasser holen oder auch mal längere Spaziergänge machen. Sie werden es nicht glauben: Hinter unserem Haus liegt ein wunderbarer See, mitten im Wald. Ein kleines Paradies. Den hatte ich bis dato noch nicht gesehen.

Inwiefern hat sich Ihr Leben nach der Operation verändert?

Ich wurde agiler. Ich war auch im Kopf frischer. Ich fühlte mich so fit wie seit meiner Jugend nicht mehr. Selbst Federball oder Tischtennis spielen mit meiner jüngsten Tochter, alles ist wieder mühelos möglich.

Würden Sie sagen, dass Sie heute insgesamt gesundheitsbewusster leben?

Ganz klares Jein. Natürlich lebe ich bewusster, weil ich gerade in den letzten Jahren viel über meinen Körper gelernt habe. Ich achte schon darauf, was ich zu mir nehme – zumal in einen verkleinerten Magen auch nicht mehr so viel reinpasst. Ich würde aber lügen, wenn ich nicht hinzufüge: Manchmal vergesse ich es auch.

Worauf würden Sie niemals verzichten?

Auf leckeres Essen. Allerdings auf einem kleinen Teller, weil mein verkleinerter Magen bei großen Portionen rebelliert.

Haben Sie Angst davor, an Gewicht zuzulegen, bzw. davor, dass der Jo-Jo-Effekt wieder zuschlagen könnte?

Da bei der OP mein Magen ja verkleinert worden ist, ist der klassische Jo-Jo-Effekt nicht möglich. Trotzdem wiege ich mich täglich, um genau zu sehen, wie sich mein Gewicht entwickelt. Ich lebe bewusster – und habe ein Wohlfühlgewicht, das ich so halten will.

Was wünschen Sie sich für die Zukunft?

Gesundheit, ein langes Leben – und dass die Menschen auch Menschen akzeptieren, die anders sind als sie selbst.

Wir reden hier über ein gesellschaftliches Phänomen, das weit über das Übergewicht hinausgeht. Dass Menschen ausgegrenzt oder schlecht behandelt werden – nur weil sie anders sind. Wir erleben eine Zeit, in der die Toleranzforderer die Intolerantesten sind. Wir alle sind gefordert, nicht nur über eine bunte und vielfältige Gesellschaft zu reden, sondern sie auch zu gestalten oder zu akzeptieren.

Das Interview führte Emma Howe

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