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Brustkrebs verstehen, Therapie individuell gestalten

Stemline BK

Brustkrebs ist nicht gleich Brustkrebs – jede Patientin ist einzigartig. Moderne Biomarker und Gentests machen es möglich, Therapien gezielt anzupassen, Nebenwirkungen zu reduzieren und die Heilungschancen zu verbessern. Wir sprachen mit Prof. Dr. med. Maggie Banys-Paluchowski, stellvertretende Klinikdirektorin, Leitung Brustzentrum, Leitung Zentrum für Familiären Brust- und Eierstockkrebs der Klinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe Lübeck.

Frau Prof. Banys-Paluchowski, was sind Biomarker und warum spielen sie bei Brustkrebs eine so große Rolle?

Unter Biomarkern verstehen wir Eigenschaften der Tumorzellen, die wir untersuchen können. Klassische Beispiele sind Rezeptoren – Proteine auf der Zelloberfläche, die Signale aus der Umgebung aufnehmen. Hormonrezeptoren oder HER2 geben Aufschluss darüber, welche Medikamente gezielt eingesetzt werden können, um das Tumorwachstum zu bremsen. Neben diesen „alten Bekannten“ gibt es auch neue Biomarker, etwa genetische Mutationen, die wir im Tumorgewebe oder Blut nachweisen können. So lässt sich die Therapie passgenau auf die Patientin abstimmen.

Welche Biomarker und genetischen Veränderungen werden am häufigsten bestimmt und welchen Einfluss haben sie auf Therapie und Krankheitsverlauf?

Besonders relevant sind vererbte Mutationen wie BRCA1 und BRCA2. Wer sie trägt, hat ein höheres Risiko für Brust- und Eierstockkrebs. Für Betroffene gibt es spezielle Früherkennungsstrategien, risikoreduzierende Operationen oder Medikamente, die bei Mutationsträgerinnen besonders wirksam sind.

 

Bei den Tumorzellen selbst bestimmen wir Hormonrezeptorstatus und HER2. Ein HER2-positiver Tumor etwa spricht gut auf zielgerichtete Antikörpertherapien an, die die Prognose deutlich verbessern.

Eine oft diskutierte Mutation ist ESR1. Was bedeutet sie?

ESR1 betrifft das Gen für den Östrogenrezeptor. Sie entsteht im Verlauf der Erkrankung in den Tumorzellen selbst und ist nicht vererbbar. Besonders betroffen sind Patientinnen mit Hormonrezeptor-positivem, HER2-negativem Brustkrebs.

Eine ESR1-Mutation macht den Tumor resistent gegenüber klassischer Antihormontherapie. Für metastasierten Brustkrebs gibt es inzwischen ein zugelassenes Medikament, das gezielt bei ESR1-Mutation wirkt. Diese Mutation kann per Bluttest nachgewiesen werden.

Was ist der beste Zeitpunkt, um auf Mutationen zu testen?

Das hängt vom Biomarker ab. Vererbte Mutationen wie BRCA1/2 untersucht man unabhängig vom Krankheitsstadium, oft im Rahmen einer genetischen Beratung bei gesunden Menschen. Andere Biomarker wie Hormonrezeptoren, HER2 oder Ki-67 bestimmen wir direkt bei der Erstdiagnose. Mutationen wie ESR1 sind erst später relevant und werden getestet, wenn eine Therapie nicht mehr wie erwartet wirkt, besonders bei metastasiertem Brustkrebs, um die passende zielgerichtete Therapie zu wählen. Da ESR1 eine erworbene Mutation ist, ist es wichtig, die Tests regelmäßig zu wiederholen, bis zu zweimal pro Jahr. Wird die Mutation gefunden, kann eine zielgerichtete Therapie eingeleitet werden.

Wann reicht eine hormonelle bzw. endokrine Therapie allein und wann braucht es zusätzlich Chemotherapie?

Bei Hormonrezeptor-positivem, HER2-negativem Brustkrebs ist die endokrine Therapie sehr wirksam und gut verträglich. Früher wurde häufig zusätzlich Chemotherapie gegeben – oft unnötig.

Heute helfen Genexpressionstests, die zeigen, ob eine Chemotherapie zusätzlichen Nutzen bringt. So können viele Frauen die belastende Chemotherapie vermeiden, ohne die Heilungschancen zu verschlechtern.

Wie fließen diese Erkenntnisse in Leitlinien ein und was bedeuten sie für den Praxisalltag?

Neue Medikamente werden fast immer biomarkerbasiert zugelassen. Studien, die Überleben oder Rückfallrisiko verbessern, fließen in Leitlinien direkt ein. Für Ärzte bedeutet das oft zusätzliche Arbeit, etwa Kostenübernahmeanträge zu stellen, solange das neue Medikament noch nicht offiziell zugelassen wurde, aber die Patientinnen erhalten so früh Zugang zu modernen, wirksamen Therapien.

Was bedeutet das konkret für die Patientin?

Ihre Lebensqualität hat sich deutlich verbessert. Medikamente sind oft besser verträglich als Chemotherapie, unnötige Behandlungen lassen sich vermeiden. Auch unterstützende Therapien gegen Nebenwirkungen sind heute wirksamer. Früherkennung sorgt dafür, dass Tumoren häufig in einem frühen Stadium entdeckt werden, sodass weniger radikale Maßnahmen nötig sind. Behandlungen sind damit individueller und patientenfreundlicher.

Wo sehen Sie die größten Fortschritte in den kommenden Jahren?

Besonders spannend sind Antikörper-Wirkstoff-Konjugate: Ein Antikörper bindet gezielt an Tumorzellen und transportiert ein Chemotherapie-Molekül direkt hinein, während gesunde Zellen geschont werden. Erste Präparate sind bereits zugelassen, weitere folgen. Auch in der Nachsorge gibt es Fortschritte: Die große Studie SURVIVE untersucht, ob Bluttests auf Tumor-DNA die Rückfälle früher erkennen können und auf diese Weise ermöglichen, die Therapie rechtzeitig anzupassen.

Das Interview führte Miriam Rauh


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