Mehr als 17 Millionen Menschen in Deutschland sind an Adipositas erkrankt. Ein Viertel der Erwachsenen ist demnach stark übergewichtig – kein Wunder, dass von einer Adipositas-Epidemie die Rede ist! Die Betroffenen leiden doppelt: an der Krankheit und unter Diskriminierung. Das darf nicht sein.
Adipositas ist kein kosmetisches Problem. Adipositas ist auch keine Befindlichkeitsstörung. Die Weltgesundheitsorganisa-
tion hat schon vor mehr als 20 Jahren klar definiert: Adipositas ist eine chronische Erkrankung.
Starkes Übergewicht kann viele Ursachen haben. Genetisch bedingte Veranlagung, Essstörungen, veränderte Umweltbedingungen, Diabetes oder psychische Probleme sind nur einige von vielen möglichen Ursachen.
Unser Anliegen ist, die Betroffenen erst einmal selbst aus ihrer eigenen Schuldfrage rauszuholen. Wir möchten ihnen empathisch den Rücken stärken. Sie sollen sich trauen, Hilfe zu holen, denn allein kann man damit kaum fertig werden. Tatsache ist: Wer erst einmal erheblich übergewichtig ist, wird dies nur schwer wieder los. Denn der Körper verteidigt ein einmal erreichtes Gewicht langfristig. Das ist eine grundsätzliche Körperfunktion.
Einfach zu sagen: „Iss weniger!“, hilft nicht weiter. Die Vorstellung, dass jeder sein Gewicht beliebig selbst kontrollieren kann, ist falsch. Darum sollte man Übergewicht auch nicht als persönliches Versagen abtun. Adipositas ist eine chronische Erkrankung. Das muss in die Köpfe der Betroffenen, aber auch der Behandler.
Adipositas kann auch zur Entstehung weiterer Erkrankungen führen, wie Herz-Kreislauf-Erkrankungen – beispielsweise durch erhöhte Cholesterinwerte –, Diabetes und Krebs. Die Kosten für die Behandlung der Folgeerkrankungen sind beträchtlich. Die Ursache und die Behandlung der Adipositas werden leider oft komplett ausgeblendet, die Behandlungskosten werden lediglich bezuschusst oder sind Eigenleistung.
Mit der Kampagne „Hilfe statt Häme“ setzen wir ein Zeichen. Es wird Hilfe benötigt, und wenn alle verstehen, dass Adipositas eine Erkrankung ist mit allen Rechten der Patienten auf eine adäquate Behandlung, dann wird hoffentlich auch die Gesellschaft mit betroffenen Menschen wertschätzender umgehen.
Diskriminierung
In den letzten Jahrzehnten ist es uns als Gesellschaft gelungen, Ungleichbehandlungen, Benachteiligungen und Diskriminierungen auf ganz vielen Ebenen abzubauen: Herabsetzungen gegenüber ethnischen Minderheiten, Verunglimpfungen gleichgeschlechtlicher Lebensentwürfe, ausländerfeindliche oder antisemitische Äußerungen werden heute gesellschaftlich geächtet, in schweren Fällen sogar bestraft. Über eine Gruppe jedoch wird wie eh und je hergezogen: die Fetten, in der Fachsprache „Adipöse“ genannt. Fettleibige Menschen werden dabei als willensschwach, dumm und faul tituliert; der Umstand, dass sie an einer unheilbaren chronischen Krankheit leiden, wird ausgeblendet. Ich kämpfe dafür, dass das aufhört.
Hilfe in Selbsthilfegruppen
Selbsthilfegruppen sind ein wichtiger Bestandteil der Krankheitsbewältigung. Sie sind unabhängig und neutral. Sie bieten nicht nur einen geschützten Raum für den Austausch von Erfahrungen und praktischen Tipps und Hilfestellungen. Betroffene haben hier die Chance auf emotionale Unterstützung in einem vertrauensvollen Umfeld. Sie erhalten Anregungen, Motivation und Ablenkung in einem Rahmen, in dem sie als Mensch ohne Vorurteile geschätzt sind.
Autor: Christel Moll