*Neurologische Erkrankungen

„Die Schmerzen haben mich isoliert“

sandra

Clusterkopfschmerz gilt als einer der stärksten Schmerzen, die ein Mensch ertragen kann. Die Erkrankung tritt bei rund einem von 1.000 Menschen auf und oft bleibt sie über Jahre unerkannt. Auch Sandra* lebte ganze zehn Jahre mit diesen qualvollen Schmerzen – ohne Diagnose, ohne wirksame Therapie. Besonders belastend war für sie nicht nur das körperliche Leid, sondern auch die Ohnmacht, als Mutter immer wieder auszufallen: ihre kleine Tochter nicht betreuen zu können, sich zurückziehen zu müssen, wenn sie eigentlich da sein wollte.

Liebe Sandra, erinnerst du dich an deine erste Attacke?

Ja, sehr genau. Es war im Sommer 2014. Ich war gerade mit meiner damals dreijährigen Tochter auf dem Spielplatz, als mich plötzlich ein stechender Schmerz über dem rechten Auge traf – so heftig, dass mir fast schwarz vor Augen wurde. Mein Auge begann zu tränen, meine Nase lief, und ich konnte kaum noch atmen vor Schmerz. Ich wusste überhaupt nicht, was mit mir passiert. Ich habe meine Tochter nur noch geschnappt, bin irgendwie nach Hause und habe mich ins dunkle Schlafzimmer zurückgezogen. Zum Glück war mein Mann auch zu Hause. Nach einer Dreiviertelstunde war es vorbei, aber ich war völlig erschöpft und verängstigt.

Wie ging es dann weiter?

In den nächsten Wochen kamen die Attacken immer wieder – teilweise mehrfach am Tag. Ich bin zu meinem Hausarzt gegangen, aber der tippte auf eine Nebenhöhlenentzündung oder Stress. Ich bekam Schmerzmittel, pflanzliche Mittel und später auch Akupunktur verschrieben. Nichts half.

Nach etwa zwei Monaten waren die Attacken so plötzlich verschwunden, wie sie gekommen waren. Aber sie kamen immer wieder. Meistens im Frühjahr oder Herbst und dann über acht bis zwölf Wochen. Ich hatte sogar mal zwei Jahre komplett Ruhe und dachte, ich hätte es hinter mir. Doch dann kehrten sie zurück – gefühlt schlimmer als je zuvor. Ich habe so viele Therapien ausprobiert: Chiropraktik, Homöopathie, Ernährungsumstellung. Jeder Arzt hatte einen Tipp. Und ich war so verzweifelt, dass ich alles versucht habe.

Wie lange hat es gedauert, bis du eine Diagnose bekommen hast?

Zehn Jahre. Irgendwann hatte ich das Gefühl, verrückt zu werden. Manche Ärzte schauten mich mitleidig an, andere belächelten mich, als wäre alles nur psychosomatisch. Es war furchtbar.

Letztes Jahr stieß ich online auf einen Erfahrungsbericht über Clusterkopfschmerz. Beim Lesen hatte ich plötzlich das Gefühl, meine eigene Geschichte vor mir zu haben. Ich habe mich dann an einen Kopfschmerzspezialisten gewandt und wir vereinbarten eine Videosprechstunde. Während dieses ausführlichen Gesprächs wurde schließlich die Diagnose gestellt: Clusterkopfschmerz.

Was hat diese Diagnose für dich bedeutet?

Einerseits war ich erleichtert, denn endlich hatte mein Leiden einen Namen. Andererseits war ich auch wütend. So viele Jahre hätte ich mir ersparen können, wenn jemand früher die richtige Richtung eingeschlagen hätte. Aber ich hatte auch Hoffnung, denn endlich konnte ich gezielt behandelt werden.

Wie sieht deine Behandlung heute aus?

In der Akutphase nutze ich medizinischen Sauerstoff und je nach Schweregrad entweder ein Nasenspray oder eine Injektion. Ich persönlich bevorzuge die Injektion, weil sie sehr schnell wirkt. Seit der Diagnose und der richtigen Therapie hat sich mein Leben komplett verändert. Die Attacken sind zwar noch da, aber sie sind kontrollierbar geworden. Ich führe ein Schmerztagebuch und stehe in engem Austausch mit meinem Neurologen.

Ich habe mich oft geschämt, Verabredungen abgesagt und mich als schlechte Mutter empfunden, weil ich während der Clusterkopfschmerzepisoden nicht so für meine Tochter da sein konnte, wie ich es mir gewünscht hätte.

Wie hat die Erkrankung dein Leben verändert?

Sie hat alles verändert. Ich war vorher sehr aktiv, habe viel unternommen, war immer für andere da. Die Krankheit hat mich in die Isolation gezwungen. Ich habe mich oft geschämt, Verabredungen abgesagt, mich als schlechte Mutter gefühlt, weil ich mich während der Schmerzphasen oft nicht so um meine Tochter kümmern konnte, wie ich es gern getan hätte.

Was wünschst du dir für andere Betroffene?

Mehr Aufklärung, mehr Schulung für Ärzte – einfach mehr Gehör und Sichtbarkeit. Clusterkopfschmerz ist kein normaler Kopfschmerz. Er ist selten und kann Leben zerstören, wenn er nicht erkannt und behandelt wird. Ich wünsche mir, dass Betroffene frühzeitig eine leitliniengerechte Therapie bekommen. Das macht so einen Unterschied!

Was bedeutet Lebensqualität heute für dich?

Nicht mehr ständig gegen den Schmerz kämpfen zu müssen. Wieder lachen zu können, ohne Angst vor der nächsten Attacke.

Das Interview führte Emma Howe


Anlaufstelle für Betroffene und Angehörige

Die Clusterkopfschmerz-Selbsthilfe-Gruppe (CSG) e. V. bietet eine zentrale Anlaufstelle für Clusterkopfschmerz-Patienten und ihre Angehörigen. Auf der Website finden Betroffene umfassende Informationen über die Erkrankung, aktuelle Studien und einen medizinischen Versorgungsatlas mit schnellem Zugang zu Kompetenzzentren und spezia-lisierten Ärzten.
www.clusterkopf.de

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