*Seltene Erkrankungen

Ein Leben (fast) ohne Einschränkung

Yannic Hämophilie

Schon vor Yannic Römers Geburt wussten seine Eltern von der Diagnose: Der heute 22-Jährige hat Hämophilie, eine erblich bedingte Gerinnungsstörung des Blutes, bei der dem Körper ein Gerinnungsfaktor fehlt, der medikamentös zugeführt werden muss. Im Interview berichtet er von seinem Alltag – der, dank neuer Therapiemöglichkeiten, kaum Einschränkungen hat.

Herr Römer, wie ist das Leben mit Hämophilie?

Ich empfinde die Hämophilie nicht als Belastung. Sie gehört für mich einfach dazu. Der Vergleich mit anderen, die keine Hämophilie haben, fällt mir schwer, weil ich es gar nicht anders kenne. Meine Eltern haben mich von Anfang an dazu erzogen, möglichst unabhängig zu sein. Als Kind konnte ich dennoch manche Sachen nicht machen. Fußball spielen sollte ich beispielsweise nicht. Aber zum Glück war das für meine Freunde nie ein Thema. Wenn ich etwas nicht mitmachen konnte, haben wir einfach etwas anderes unternommen. Zwar muss ich mein Medikament immer dabeihaben, aber auch das empfinde ich nicht als Belastung. Natürlich gibt es Situationen, in denen ich sorgfältig planen muss, zum Beispiel wenn ich reise. Und etwas komplizierter ist es, wenn ich auf einem Festival bin: Ich muss das Medikament zusammenmischen, bevor ich es mir selbst spritzen kann, und brauche dann einen ruhigen Ort, an dem das möglich ist. Meist ziehe ich mich dafür ins Auto zurück, wenn ich unterwegs bin. Ich brauche aber in der Regel keine besondere Kühlung für das Medikament. Auf Reisen habe ich auch immer eine Bestätigung vom Arzt dabei, damit bei einer Kontrolle niemand auf falsche Gedanken kommt.

Wie geht Ihr Umfeld mit Ihrer Hämophilie um?

Meine Freunde wissen alle Bescheid, sie sind da ganz entspannt und sehr verständnisvoll. Meine Kollegen wissen wiederum nichts von der Hämophilie. Das liegt aber vor allem daran, dass ich im Außendienst arbeite und entweder vor Ort bei Kunden oder im Homeoffice bin. Man sieht mir die Hämophilie nicht an und ich erzähle nicht allen davon, weil ich nicht anders behandelt werden möchte als andere. Die Menschen, mit denen ich viel zu tun habe, sind eingeweiht.

Wie ist Ihre aktuelle Therapie?

Ich bekomme eine Prophylaxe mit Faktor VIII. Dies ist ein wichtiger Bestandteil der Blutgerinnung; da er mir fehlt, wird er ersetzt. Alle vier Tage spritze ich mir das Medikament intravenös. Ich komme damit sehr gut zurecht.

Dass Sie sich selbst spritzen können, gibt Ihnen sicher viel Unabhängigkeit. Wann haben Sie das gelernt?

Meine Eltern haben mich als Jugendlicher in ein spezielles Feriencamp geschickt. Alle dort hatten Hämophilie und ich lernte, mir das Medikament selbst zu spritzen. Dass ich das kann, hat mir sehr geholfen, als ich von zu Hause ausgezogen bin.

Auf Selbstbestimmtheit lege ich sehr großen Wert, damit ich möglichst wenig eingeschränkt bin. Mir ist auch das Verhältnis zu meinem Arzt sehr wichtig. Ich habe das Glück, mich sehr gut mit meinem Arzt austauschen zu können, in beide Richtungen.

Wie ist Ihre Lebensqualität mit der Therapie? Fühlen Sie sich eingeschränkt?

Bis auf die Tatsache, dass ich mir regelmäßig Spritzen geben muss, würde ich sagen: Nein, es gibt keine Einschränkungen oder einen Unterschied zu anderen. Der zeitliche Aufwand für die Therapie beträgt für mich alle vier Tage etwa 15 Minuten, das lässt sich gut in meinen Alltag integrieren. Als ich jünger war, gab es noch nicht so wirksame Medikamente wie heute. Das heißt, früher bekam ich alle zwei Tage Spritzen. Das war deutlich anstrengender. Aber aktuell gibt es nichts, was ich vermissen würde. Das neue Medikament, das ich nur alle vier Tage nehmen muss, bekam ich vor vier Jahren, an meinem 18. Geburtstag. Dass es genau auf diesen Tag fiel, war Zufall, aber so weiß ich das Datum noch genau.

Was ist Ihnen für Ihre Therapie besonders wichtig?

Dass ich sie mir selbst verabreichen kann. Auf Selbstbestimmtheit lege ich sehr großen Wert, damit ich möglichst wenig eingeschränkt bin. Mir ist auch das Verhältnis zu meinem Arzt sehr wichtig. Ich habe das Glück, mich sehr gut mit meinem Arzt austauschen zu können, in beide Richtungen. Wichtig ist mir auch, dass die Therapie keinen großen Raum in meinem Leben einnimmt.

Wie stehen Sie neuen Therapieoptionen gegenüber? Sind Sie offen dafür?

Als ich vor ein paar Wochen bei meinem behandelnden Arzt war, hat er mich auf eine neue Therapieform angesprochen, die nur noch einmal wöchentlich gegeben werden muss. Ich bin noch nicht ganz sicher, weil ich mit meiner aktuellen Therapie zufrieden bin, denke aber darüber nach. Die neue Therapie würde die Hämophilie noch weiter aus meinem Leben drängen. Das wäre ein Vorteil.

Haben Sie Tipps für andere Betroffene?

Gerade wenn man jung ist, sollte man sich durch die Hämophilie nicht aufhalten lassen. Natürlich ist es wichtig, seine Medikamente zu nehmen und auf sich zu achten, aber man sollte sein Leben leben. Feiern gehen, auf Festivals gehen, Freunde treffen, reisen … mit ein bisschen Planung kann man alles tun! So wie andere auch.

Das Interview führte Miriam Rauh

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