Als Thorsten Heyer 2019 mit 41 Jahren die Diagnose Parkinson erhielt, stand er mitten im Leben. Selbstständig, erfolgreich – und wie viele: im Dauerlauf. Er stand unter konstantem Druck. Die Warnsignale seines Körpers überhörte er: „Ich hatte schon vorher gemerkt, dass meine Finger nicht mehr so funktionierten, dass ich öfter Schmerzen in der Muskulatur hatte. Aber ich habe das alles auf den Stress geschoben.“
Von Rückenschmerzen zur Diagnose: Wie alles begann
Der Wendepunkt kam bei einem scheinbar harmlosen Besuch beim Orthopäden wegen Rückenschmerzen. „Er sagte im Nebensatz, mein Arm würde beim Gehen nicht mitschwingen. Das war der Auslöser.“ Es folgte eine nervenaufreibende Zeit zwischen Arztbesuchen und unklaren Befunden – von Schlaganfall bis Hirnverletzungen. Dann die Gewissheit: Parkinson. Thorsten erinnert sich genau an den Moment in der Klinik: „Ich saß im Wartezimmer und sah die anderen Patienten – ältere Herren, die wackelig unterwegs waren. Da dachte ich nur: Das kann doch nicht sein. Ich gehöre doch nicht dazu.“ Doch genau das tat er.
Verdrängung statt Akzeptanz: Der schwierige Anfang
Seine Reaktion? Erst einmal Verdrängung. „Ich habe auf Durchzug geschaltet. Ich bin nach dem Termin sogar wieder zur Arbeit gefahren.“ Aber innerlich begann sich etwas zu verändern, und auch sein Körper sendete immer deutlichere Signale. Schmerzen, Muskelverspannungen, eingeschränkte Beweglichkeit. „Ich hatte irgendwann eine Spastik im Bein. Anfangs kam die einmal die Woche – am Ende dreimal am Tag.“ Auch die Feinmotorik ließ spürbar nach, ebenso die Sprache: „Ich habe extrem verwaschen gesprochen, als hätte ich zu viel Alkohol getrunken.“
Alltag mit Parkinson: Wenn Bewegung plötzlich unmöglich wird
Dazu kamen Wirkstoffschwankungen der Tabletten. Mal zu viel, mal zu wenig Dopamin: „Entweder war ich überbeweglich wie ein Hampelmann – oder ich konnte mich plötzlich gar nicht mehr bewegen, wenn das sogenannte Freezing-Syndrom eintrat. Da steht man beispielsweise an der Ampel, es ist grün, aber man kann nicht losgehen …“ Alltagsdinge wurden zur Herausforderung. „Wenn man morgens aufsteht, schon eine Spastik hat, nicht mehr im Stehen duschen kann, sondern auf einen Duschstuhl muss … Oder wenn man abends weggeht und weiß: Um zehn Uhr fällt die Medikation ab – und dann kann ich den Heimweg nicht mehr schaffen. Das macht etwas mit einem.“
Radikaler Schnitt: Warum Thorsten seine Firma verkaufte
Thorsten trifft eine Entscheidung.
„Ich bin jemand, der Dinge sehr klarsieht: ja oder nein, schwarz oder weiß. Entweder Hamsterrad oder gar kein Hamsterrad“, Also entschied er sich für einen radikalen Schnitt. Er verkaufte seine Firma – eine mutige Entscheidung, auch gegenüber seinen Mitarbeitenden. „Ich wusste, wenn ich jetzt anfange zu wackeln, dann wackelt alles. Und ich wusste einfach, dass ich der Arbeit und meinen Mitarbeitern nicht mehr gerecht werden kann.“
Leben im Wohnmobil: Freiheit trotz chronischer Erkrankung
Gemeinsam mit seinem Mann erfüllte er sich einen lang gehegten Traum: eine Reise im Wohnmobil – von 220 Quadratmetern auf zehn Quadratmeter. „Das war ein krasser Schritt. Aber auch eine richtig schöne Zeit, die wir nie vergessen werden.“
Neue Heimat im Turm: Ein Leben gegen alle Vernunft
Heute lebt er in einem alten Wehrturm in Oberwesel – mit 108 Stufen. „Viele sagten: Du hast Parkinson, wie kannst du da einen Turm kaufen? Aber genau darum ging es mir: nicht mehr rational sein. Ich wollte nicht mehr fragen, was in fünf Jahren ist, sondern: Was will ich jetzt?“
Nebenwirkungen der Medikamente: Der Wendepunkt zur OP
Trotz aller Lebensfreude blieb die Krankheit. Tabletten, Schmerzen und Spastiken bestimmten den Tagesablauf. Und irgendwann kam der Punkt, an dem Thorsten sagte: So geht es nicht weiter. „Ich habe Medikamente gegen die Nebenwirkungen von Medikamenten genommen. Impulskontrollstörung, Depression, Schlafprobleme waren die Folge – das ist doch Wahnsinn.“
Tiefe Hirnstimulation: Thorstens Entscheidung für die THS
Er begann zu recherchieren – und stieß auf die Tiefe Hirnstimulation, kurz THS. Als sein Neurologe das Thema erstmals ansprach, war seine Antwort klar: „Da brauchen Sie mich nicht mehr drüber informieren, ich bin schon informiert und ich bin bereit.“
Ein neues Körpergefühl: Leben nach der Hirnschrittmacher-OP
Der Weg war nicht einfach. Erste Klinikversuche scheiterten. Doch in der Uniklinik Köln stimmte alles. Die Operation verzögerte sich wegen einer Umstellung der Medikation, aber am Ende war es der richtige Schritt, denn die OP war ein voller Erfolg. „Die Stimulation war noch gar nicht angeschaltet – und ich habe trotzdem sofort eine Erleichterung gespürt. Diese ständige Muskelspannung, die sich anfühlte wie eine zu kleine, aber immens schwere Ritterrüstung, war weg.“ In der Reha wurde der Hirnschrittmacher feinjustiert. Seitdem nimmt Thorsten keine Medikamente mehr.
Mit Schafen, Hund und Humor: Wie Thorsten seinen Alltag meistert
Was er gelernt hat? Geduld. „Früher war ich sehr ungeduldig. Alles musste sofort passieren. Jetzt weiß ich: Manche Dinge dauern eben.“ Heute lebt Thorsten nicht nur im Turm, sondern auch mit einer Schafherde. „Die sind am Karfreitag eingezogen. 13 Mädels.“ Polly, Harlekinchen, Bella … – er kennt jede Einzelne beim Namen. Was ihn sonst trägt? Sein Mann und sein Hund. „Ich habe gesagt: Nimm mir nie den Hund weg. Mit dem Gassigehen, da muss ich mich durchbeißen.“
„Ich lebe!“: Warum Sichtbarkeit für Parkinson so wichtig ist
Selbsthilfegruppen sind nicht seins, soziale Medien dagegen schon. „Ich mache meine Krankheit über Instagram öffentlich. Denn je öffentlicher ich bin, desto weniger muss ich mich verstecken.“ Thorsten hat sich sein Leben zurückerobert – nicht trotz Parkinson, sondern mit ihm. „Ich frage mich nicht mehr, ob es wirtschaftlich sinnvoll ist. Ich mache einfach, was mir Freude macht – ich lebe!“
Das Gespräch führte Emma Howe