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„Ich bin mehr als meine Haut“

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Wenn Eleonora heute auf Social Media Videos hochlädt, in denen sie ihre Haut zeigt, blickt ihr ein Publikum entgegen, das sie feiert: „Danke, dass du das sagst.“ – „Du gibst mir Mut.“ Was viele nicht wissen: Hinter diesem Selbstbewusstsein steckt eine Kindheit voller Verletzungen, sowohl seelischer als auch körperlicher. Die Schuppenflechte – medizinisch Psoriasis genannt – begleitet sie, seit sie denken kann. Sie ist nicht ansteckend, und doch behandelt die Umwelt Betroffene oft, als trügen sie etwas Gefährliches auf der Haut. Eleonora spricht über Mobbing, Isolation, den entscheidenden Tag, an dem sie ihr Leben retten wollte, und darüber, wie sie es heute als zweifache Mama schafft, stark zu bleiben.

Liebe Eleonora, erinnerst du dich an die Zeit, als bei dir die ersten Symptome auftraten oder du bemerkt hast, dass du anders bist?

Es begann, als ich etwa zwei Jahre alt war, zumindest laut den Erzählungen meiner Eltern. Damals war ich natürlich zu klein, um zu verstehen, was passiert. Aber richtig bewusst wurde es mir im Kindergarten. Plötzlich merkte ich: Die Haut der anderen Kinder war glatt, meine nicht. Ich hatte Stellen, die rot, schuppig und rau waren. Manche Kinder wollten nicht mit mir spielen. Am Anfang war das nicht so schlimm, weil mein großer Bruder im Kindergarten war. Wir spielten oft zusammen, er beschützte mich. Aber in der Schule kippte die Stimmung. Niemand wollte neben mir sitzen. Die Beleidigungen fingen an: „Eklig“, „Elefantenhaut“, „Du blätterst ja ab“. Diese Worte brennen sich in ein Kind ein.

Wie haben die Erwachsenen reagiert?

Ehrlich gesagt, schlimm. Manche Lehrer haben das Mobbing nicht nur toleriert, sondern sogar verstärkt. Beim Sportunterricht, wenn wir einen Kreis bildeten, durfte mir niemand die Hand geben. Man setzte mich auf die Bank. Ab der vierten Klasse durfte ich gar keinen Sportunterricht mehr mitmachen, weil die Lehrer Angst hatten, ich könnte bluten oder Schuppen fallen lassen. Das war extrem verletzend. Auch beim Kochen in der Schule wurde ich ausgeschlossen. Man fürchtete, Hautschuppen könnten ins Essen fallen. Das tat weh. Denn Kinder lernen am Verhalten der Erwachsenen. Wenn die Lehrerin mich meidet, signalisiert das allen anderen: „Mit ihr stimmt etwas nicht.“ Die Folge davon war, dass ich mich immer mehr isolierte.

Wann hat sich dein Selbstbild gewandelt?

Mit etwa 14 oder 15 Jahren kam ich an einen Punkt, an dem ich einfach nicht mehr weitermachen wollte. Ich hatte das Gefühl, von innen aufgefressen zu werden. Ich litt unter Depressionen und hatte sogar Selbstmordgedanken, weil mich niemand akzeptierte und ich mich von der Gesellschaft ausgeschlossen fühlte. Ich stand eines Tages in der Küche und dachte, jetzt ist es so weit, ich kann nicht mehr. Aber dann sagte plötzlich eine innere Stimme: „Das kann es doch nicht gewesen sein, wegen ein bisschen Haut.“ Ich hatte ja eigentlich immer die Einstellung, dass es „nur“ ein bisschen Haut ist. Mich selbst hat die Schuppenflechte nie wirklich gestört. Ich kannte es ja nicht anders. Und dann war da diese innere Stimme, die plötzlich lauter war als all das Negative um mich herum. Ich habe mich entschlossen, weiterzumachen und mein Leben selbst in die Hand zu nehmen.

Wie hast du das geschafft?

Ich habe dann im Internet nach anderen Menschen mit Schuppenflechte gesucht, weil ich keinen Vergleich hatte. Und ich habe tatsächlich viel schlimmere Fälle gefunden als meinen eigenen. Das hat mir geholfen, meine Situation zu relativieren und mich nicht mehr so allein zu fühlen. Ich habe auch gemerkt, dass es kaum öffentliche Vorbilder für Menschen mit Hautkrankheiten gibt. Und da habe ich mir vorgenommen, selbst so eine Person zu werden, die anderen zeigt, wie gut man trotz Schuppenflechte leben kann.

E3Das war der Wendepunkt in deinem Leben, der dich zur Aktivistin und Influencerin gemacht hat?

Genau. Da hat sich alles verändert. Ich wollte ein Vorbild sein, meine Geschichte teilen und anderen Mut machen, sich selbst zu akzeptieren und zu lieben, so wie sie sind.

Du hast dich dann öffentlich gezeigt?

Ja, und es war befreiend. Online war es leichter, weil ich die Reaktionen nicht direkt vor mir hatte. Im echten Leben kann man den Blicken nicht ausweichen. Aber ich war vorbereitet, denn ich kannte die Ablehnung. Mit der Zeit änderte sich mein Auftreten, und plötzlich veränderte sich auch die Reaktion der Menschen um mich herum. Das Mobbing hörte auf. Sogar Leute, die mich früher beleidigt hatten, kommentierten meine Videos mit Lob. Das war seltsam – und auch ein bisschen Genugtuung. Zudem war das Zeigen für mich eine Form der Selbstakzeptanz. Es war eine Befreiung, mich zu trauen, echt zu sein, ohne den Druck, perfekt aussehen zu müssen. Und je mehr ich mich gezeigt habe, desto mehr fiel es mir leichter, mich selbst so zu akzeptieren, wie ich bin. Es war wirklich ein Wendepunkt: Ich merkte, wie viel Kraft eben auch darin liegt, sichtbar zu sein.

Hat dein Umfeld deine Veränderung bemerkt?

Definitiv. Das Mobbing hat schlagartig aufgehört, weil ich eine ganz andere Präsenz und Ausstrahlung hatte. Ich war endlich ich selbst und stand zu meiner Haut. Die Leute merkten, dass sie mich mit ihren Beleidigungen nicht mehr verletzen konnten. Und dann kamen plötzlich Komplimente von den gleichen Leuten, die mich früher gemobbt hatten. Sie sagten, sie hätten es ja nie so gemeint und ich sei so mutig und stark.

Wie war es für dich in Partnerschaften?

Ich habe meine Haut nie versteckt. Mein Partner wusste vom ersten Tag an Bescheid. Er fragte: „Wie fühlt es sich an? Gibt es etwas, das dir unangenehm ist?“ Hätte er mich nicht so akzeptiert, wäre er nicht der Richtige gewesen.

Lass uns über die Erkrankung selbst sprechen. Wie gehst du gesundheitlich damit um? Welche Rolle spielt sie in deinem Leben?

Als ich Mutter wurde, hatte ich nach der Geburt meiner ersten Tochter einen besonders schweren Schub. Das hat mich sehr beeinträchtigt, besonders weil meine Hände stark betroffen waren. Ich konnte meine Tochter kaum waschen oder pflegen. Das war ein sehr frustrierendes Gefühl. Auch im Berufsleben war es oft schwierig, wenn überall Schuppen lagen. Mittlerweile habe ich auch Psoriasis-Arthritis entwickelt, was zusätzliche Schmerzen verursacht.

Welche Strategien helfen dir, mit diesen Herausforderungen umzugehen und wieder ins Gleichgewicht zu kommen?

Ich denke immer an den Tag zurück, als ich mich für das Leben entschieden habe. Das ist meine größte Motivation. Ich will die kleine Eleonora, die in der Küche stand und sich für das Leben entschieden hat, nicht enttäuschen. Ich versuche auch, mich auf die positiven Dinge in meinem Leben zu konzentrieren, wie meine Familie und meine Arbeit.

Wie gehst du in Bezug auf die Behandlung der Schuppenflechte vor?

Als Kind wurde ich häufig mit Kortison behandelt, aber ich habe früh gemerkt, dass das meinem Körper auf Dauer schadet. Mit etwa 18, 19 Jahren habe ich entschieden, das wegzulassen und nur noch topische, hochwertige Cremes zu verwenden. Ich lege großen Wert auf die Inhaltsstoffe, weil ich genau wissen möchte, was ich meinem Körper zuführe. Ich versuche, auf natürliche Weise – Ernährung, Stressmanagement und eine bewusste Pflege – meinen Zustand zu verbessern. Es ist ein stetiger Lernprozess, bei dem ich immer wieder auf meine individuellen Reaktionen höre. Seit einiger Zeit denke ich auch über Biologika nach, vor allem, weil die Schübe manchmal so stark sind, dass sie mein Familienleben beeinträchtigen. Besonders während der Stillzeit möchte ich vorsichtig sein, weil ich Bedenken habe, was die Medikamente in die Muttermilch abgeben. Doch nach dem Abstillen werde ich wahrscheinlich eine Behandlung mit Biologika in Betracht ziehen. Für mich ist das eine Abwägung zwischen natürlicher Behandlung und moderner Medizin, immer mit Fokus auf meine Gesundheit und meine Familie.


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Wie gehst du mental mit akuten Schüben um?

Das ist eine große Herausforderung. Aber ich versuche, mich auf das Positive zu konzentrieren und mich daran zu erinnern, dass alles vorübergeht. Wichtig ist auch, sich nicht von Stress und negativen Gedanken auffressen zu lassen. Es ist ein ständiger Lernprozess, aber diese Strategien helfen mir sehr, in solchen Phasen stabil zu bleiben.

Gibt es Momente, in denen du spürst, wie viel Kraft von deiner Offenheit ausgeht?

Ja, ganz klar. Als ich angefangen habe, auf Instagram Bilder meiner Haut zu posten – ehrlich, ohne Filter, ohne Verstecken –, hat mich das tief bewegt. Die Resonanz war überwältigend. Viele Menschen schrieben, dass sie sich endlich nicht mehr einsam fühlen, wenn sie meine Geschichten sehen. Mütter erzählen, dass sie ihren Kindern jetzt mehr Selbstvertrauen vermitteln und sie nicht mehr verstecken. Das zeigt mir, wie viel Einfluss Sichtbarkeit haben kann.

Lass dir von niemandem, wirklich niemandem einreden, du seist weniger wert, nur weil du eine Erkrankung hast.

Wie hat dich dieses Feedback weiter motiviert? Hat es deine Haltung auch gegenüber deiner Erkrankung noch einmal verändert?

Auf jeden Fall. Das positive Feedback hat mir gezeigt, dass Offenheit und Mut tatsächlich etwas bewegen können. Es gibt so viele Menschen, die sich verstecken, weil sie Angst vor Ablehnung haben. Für mich ist es mittlerweile eine Herzensangelegenheit, genau das anders zu machen: sichtbar zu sein, authentisch und ehrlich. Es ist eine mächtige Erfahrung, zu merken, dass man durch offene Präsenz auch anderen helfen kann, sich selbst besser anzunehmen.

Gab es auch Situationen, in denen deine Offenheit vielleicht herausfordernd wurde?

Ja, klar. Öffentlich sichtbar zu sein, bringt immer auch unangenehme Momente mit sich. Manchmal bekomme ich Kommentare oder Reaktionen, die nicht freundlich sind. Aber ich habe gelernt, diese Angriffe nicht persönlich zu nehmen. Stattdessen sehe ich es als Chance, eine Botschaft zu verbreiten: Wir stehen dazu, wer wir sind. Ich möchte zeigen, dass Sichtbarkeit nicht nur Mut bedeutet, sondern auch Stärke. Und je mehr ich mich selbst zeige, desto weniger Power haben negative Kommentare.

Du hast gesagt, Sichtbarkeit bedeutet für dich auch eine große Verantwortung. Hast du Pläne, um noch mehr Menschen zu erreichen?

Absolut. Ich möchte meine Community noch weiter ausbauen, insbesondere junge Menschen und Mütter ansprechen, die mit Hauterkrankungen leben. Es ist mir wichtig, eine Plattform zu schaffen, auf der ehrlich und offen über alles gesprochen wird. Ziel ist, möglichst wenig Tabus zuzulassen, um noch mehr Menschen Mut zu machen, sich selbst zu zeigen. Gleichzeitig möchte ich natürlich auch weiter meine eigenen Erfahrungen dokumentieren, um anderen Alternativen aufzuzeigen – sei es natürliche Behandlung, Ernährung oder mentale Strategien.

E2Das klingt nach einer starken Mission. Und was sind deine persönlichen Wünsche für die nächsten Jahre?

Meine größten Wünsche sind, gesund und mental stark zu bleiben. Ich möchte weiterhin authentisch leben und die Botschaft verbreiten: Du bist mehr als deine Haut. Ob privat oder öffentlich – ich will mich weiter für Akzeptanz und Selbstliebe einsetzen. Natürlich hoffe ich, irgendwann noch mehr Kinder zu bekommen, weil Familie für mich eine sehr große Rolle spielt. Und ich möchte, dass meine Kinder mit einem positiven Selbstbild aufwachsen.

Welche Botschaft möchtest du anderen Betroffenen mitteilen, die noch Schwierigkeiten haben, sich selbst zu akzeptieren?

Wenn ich anderen Betroffenen etwas mit auf den Weg geben könnte, dann wäre es Folgendes: Es ist ein langer Weg, das stimmt, und es wird nicht immer einfach sein. Es wird Tage geben, an denen du dich am liebsten verstecken möchtest, an denen du dich schämst und wütend bist. Aber ich verspreche dir: Es lohnt sich, diesen Weg zu gehen. Akzeptiere dich so, wie du bist – mit all deinen vermeintlichen Fehlern und Unvollkommenheiten. Die Haut ist nur ein Teil von dir, ein äußeres Merkmal, aber sie definiert absolut nicht, wer du im Inneren bist. Sie bestimmt nicht deinen Wert, deine Intelligenz, deine Kreativität, deine Freundlichkeit oder deine Fähigkeit ,zu lieben und geliebt zu werden. Lass dir von niemandem, wirklich niemandem einreden, du seist weniger wert, nur weil du eine Erkrankung hast, die dich von anderen unterscheidet. Das ist eine Lüge, die du nicht glauben darfst. Suche dir Vorbilder, Menschen, die ähnliche Erfahrungen gemacht haben und ihren Weg gegangen sind. Sie können dir Mut machen, dich inspirieren und dir zeigen, dass du nicht allein bist. Sprich offen über deine Erkrankung, teile deine Geschichte mit anderen.

Akzeptiere dich so, wie du bist – mit all deinen vermeintlichen Fehlern und Unvollkommenheiten. Die Haut ist nur ein Teil von dir.

Es ist befreiend und kann anderen helfen, sich ebenfalls zu öffnen. Genau das macht dich stark – deine Verletzlichkeit, deine Ehrlichkeit, dein Mut, dich zu zeigen, wie du wirklich bist. Und glaub immer daran, egal wie schwer es manchmal auch sein mag: Du bist wunderschön – in deiner Einzigartigkeit, in deiner Stärke, in deiner Fähigkeit, Widrigkeiten zu überwinden. Es gibt so viel mehr in dir, als du gerade vielleicht fühlen oder sehen kannst. Lass dich nicht von negativen Gedanken oder den Meinungen anderer Menschen blenden. Wir haben nur dieses eine Leben, diese eine Chance, es so zu gestalten, wie wir es uns wünschen. Hört auf, euch zu verstecken! Vergrabt euch nicht in euren Selbstzweifeln und Ängsten. Am Ende des Lebens, wenn du zurückblickst, musst du stolz auf dich sein können und sagen: „Ich habe gelebt, egal ob ich eine Hautkrankheit hatte oder nicht. Ich habe meine Träume verfolgt, meine Ziele erreicht, meine Lieben geliebt und mein Leben in vollen Zügen genossen.“ Seid mit euch selbst im Reinen, akzeptiert eure Vergangenheit, lebt im Hier und Jetzt und freut euch auf die Zukunft. Denkt daran, woran ihr zurückdenken wollt, wenn ihr alt seid. Wollt ihr daran zurückdenken, dass ihr euch ständig versteckt habt und euer Leben weggeworfen habt, nur weil andere schauen könnten oder euch verurteilt haben? Oder wollt ihr sagen: „Ich hatte ein tolles, erfülltes Leben und habe mich von nichts und niemandem davon abhalten lassen, mein authentisches Selbst zu sein und meine Einzigartigkeit zu feiern?“ Die Entscheidung liegt bei dir. Wähle das Leben, wähle die Liebe, wähle dich selbst!

Das Interview führte Emma Howe

 

 

 

 

 

 

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