Autoimmunerkrankungen

„Ich will nicht für die Krankheit leben – ich will mit ihr leben“

Mike

Im Interview spricht Mike darüber, wie es ist, plötzlich mit einer chronisch-entzündlichen Autoimmunerkrankung des Darms konfrontiert zu werden. Von der ersten erschreckenden Diagnose bis zu den täglichen Herausforderungen, von der Suche nach der richtigen Therapie bis zur unschätzbaren Kraft echter Freundschaft und dem Rückhalt der Familie.

Mike, stell dich bitte kurz vor.

Ich bin 60 Jahre alt, geboren und aufgewachsen in Berlin – also ein echter Urberliner.

Wann hast du erstmals von deiner Colitis ulcerosa erfahren?

Das war im August 2022. Vorher hatte ich schon im Juli bemerkt, dass ich Blut im Stuhl hatte – das hat mich natürlich richtig geschockt. Daraufhin bin ich sofort zu meiner Hausärztin gegangen, die sich zum Glück sehr schnell darum gekümmert hat. Sie ist Internistin und hat mir zügig einen Termin beim Gastroenterologen besorgt. Dort wurde dann eine Darmspiegelung gemacht und die Diagnose war schnell klar: Colitis ulcerosa.

Hattest du denn vorher schon Beschwerden?

Nicht wirklich klassische, wie man sie sich vorstellt, also keinen dauerhaften Durchfall oder häufigeren Stuhlgang. Nur eben dieses eine Symptom mit dem Blut, das mich sofort alarmiert hat. Rückblickend vermute ich, dass mein Körper schon länger im Stress war und Warnsignale gesendet hat, die ich aber nicht richtig zugeordnet habe.

Was meinst du genau mit Stress und Warnsignalen?

2018 hatte ich schon mal gesundheitliche Probleme mit der Galle. Ich musste operiert werden, die Galle wurde entfernt. Gleichzeitig hatte ich nach einer Knie-OP eine massive Entzündung im Knie, die erst durch eine sogenannte RSO-Behandlung, also eine Radiosynoviorthese mit radioaktivem Präparat, wieder besser wurde. All das ging einher mit dauerhaft erhöhten Entzündungswerten in meinem Blut. Für mich hängt das alles zusammen – Galle, Knie, Darm: Es sind alles Entzündungen, die vermutlich durch Stress verstärkt wurden.

Glaubst du, dass der Stress zur Colitis geführt hat?

Ich glaube schon. Psychischer Druck wirkt sich bei mir stark auf den Körper aus. Colitis ulcerosa beginnt normalerweise eher bei jüngeren Menschen, aber sie kann auch im Alter zwischen 50 und 70 Jahren auftreten, so wie bei mir. Die genaue Ursache ist zwar noch nicht vollständig verstanden, aber eine Überreaktion des Immunsystems soll eine Rolle spielen – und die wird oft durch Stress ausgelöst.

Wie hat sich die Krankheit nach der Diagnose entwickelt?

Relativ schnell kam der erste richtige Schub und ich lernte, was die Krankheit wirklich bedeutet: bis zu 20 Stuhlgänge am Tag, Durchfall, Krämpfe, Blutungen, Appetitlosigkeit und starke Erschöpfung. Und ganz zentral war dabei auch die ständige Angst, es nicht rechtzeitig auf die Toilette zu schaffen – diese Unsicherheit begleitet einen im Alltag permanent.

Kannst du den Verlauf eines Schubs beschreiben?

Ein Schub kommt plötzlich und ist brutal. Du sitzt quasi permanent auf der Toilette, tagsüber und nachts. Es hört auch nicht auf, selbst wenn du fast nichts isst. Man fühlt sich komplett ausgeliefert. Um es erträglicher zu machen, habe ich mir zu Hause ein spezielles Toilettenbecken mit Wasseranschluss installiert. Das mag banal klingen, aber es ist eine große Erleichterung, weil man sich trotz häufigem Durchfall sauber fühlen möchte.

Hast du eine Idee, was bei dir Schübe auslöst?

Definitiv Stress. Wenn es Ärger mit Behörden oder der Krankenkasse gibt oder private Probleme, dann folgt meist nach zwei, drei Tagen ein Schub. Die Ärzte sind sich da noch uneinig, aber für mich ist das eindeutig. Psychischer Druck wirkt sich direkt auf meinen Darm aus.

Wie hat sich dein Alltag durch die Krankheit verändert?

Colitis ist immer da, sie ist präsent und man kann sie nicht einfach ausblenden. Trotzdem habe ich großes Glück, denn ich habe eine tolle Familie und Freunde, die mich unterstützen. Das ist so wichtig, denn man sollte mit so einer Erkrankung nicht alleingelassen werden. In der Reha habe ich außerdem gemerkt, wie gut der Austausch mit anderen Betroffenen tut, fast wie eine Selbsthilfegruppe. Das gibt einem sehr viel Kraft.

Welche Erfahrungen hast du mit dem Gesundheitssystem und der Bürokratie gemacht?

Leider nicht nur gute. Gerade in Phasen, in denen es mir sehr schlecht ging, musste ich trotzdem unzählige Formulare ausfüllen, Atteste beibringen oder mich mit der Krankenkasse auseinandersetzen. Das kostet unglaublich viel Kraft – Kraft, die man eigentlich für die Genesung bräuchte. Manchmal hatte ich das Gefühl, ich müsste mich dafür rechtfertigen, krank zu sein. Ich finde, da müsste es mehr Verständnis und schnellere, unbürokratische Wege geben. Menschen mit chronischen Erkrankungen brauchen Unterstützung, keine zusätzlichen Hürden.

Wie sieht deine aktuelle Behandlung aus?

Ich habe im Laufe der Zeit sechs verschiedene Medikamente ausprobiert, sowohl Tabletten als auch Spritzen und sogar Infusionen, bei denen ich den ganzen Vormittag in der Klinik verbringen musste – aber viele davon haben nicht richtig angeschlagen. Ich bin jetzt bei meinem siebten Medikament angekommen. Diesmal scheint es wirklich anzuschlagen. Das wäre natürlich wunderbar. Ich müsste dann zwar für den Rest meines Lebens Tabletten nehmen, aber diese Tabletten würden mir auch nahezu mein altes Leben zurückgeben – ohne die ständige Angst vor dem nächsten Schub. Das nehme ich dann gern in Kauf.

Was wünschst du dir für die Zukunft?

Ich möchte gern wieder arbeiten gehen. Das war die letzten Jahre aufgrund der Krankheiten leider nicht möglich. Zudem würde ich gern wieder reisen, am liebsten nach Stockholm mit meiner Frau. Das wünschen wir uns schon so lange. Ich habe die Hoffnung, dass sich das alles bald erfüllen könnte. Ich versuche, immer positiv zu bleiben. Ein Satz, der mich begleitet, lautet: „Das Leben ist zu kurz für ein langes Gesicht.“ Ich will nicht für die Krankheit leben, sondern mit ihr leben und mein Leben trotz allem schön gestalten.

Das Interview führte Emma Howe

 

 

 

 

 

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