Mehr als 320.000 Menschen in Deutschland leiden an den chronisch-entzündlichen Darm-erkrankungen (CED) Morbus Crohn und Colitis ulcerosa. Dennoch wissen viele Menschen nichts oder nur wenig darüber, das Thema wird trotz der hohen Zahl an Betroffenen häufig tabuisiert. Saskia hat eine CED. Im Interview erzählt sie ihre Geschichte.
Erkrankungen des Darms sind Tabuthemen. Warum ist das Ihrer Meinung nach so?
Seit ich Mutter geworden bin, frage ich mich das sogar noch mehr. Bei Babys freuen wir uns über jeden Pups, damit die kleinen Wesen sich nicht quälen. Ab einem gewissen Alter aber fängt die Gesellschaft an, uns beizubringen, dass Pupsen „iiih“ ist und man das bloß an einem stillen Ort zu machen hat. Somit wird uns als Kind schon suggeriert, dass das Thema Verdauung etwas ist, wofür man sich schämen muss. Dabei ist es das Natürlichste der Welt.
Sie selbst leiden seit Ihrem 16. Lebensjahr an einer Darmerkrankung. Bitte klären Sie uns auf.
Ich habe Morbus Crohn. Das ist eine chronisch-entzündliche Darmerkrankung und bedeutet, dass der Magen-Darm-Trakt sich immer wieder entzündet. Die Erkrankung verläuft in Schüben, was sie unberechenbar macht. Von heute auf morgen kann sich der Gesundheitszustand rapide ändern. Bei mir fing es mit Schleim im Stuhl an, dann kam Blut hinzu und ich ging zum Arzt.
Der stellte jedoch eine andere Diagnose.
Ja, zuerst bekam ich die Diagnose Colitis ulcerosa. Da ich anfangs keinerlei Schmerzen hatte und absolut nicht wusste, was diese Erkrankung mit einem machen kann, machte mir die Diagnose zunächst keine Sorgen. Ich dachte, mit ein bisschen Blut im Stuhlgang kann man irgendwie schon leben.
Doch es blieb nicht dabei.
Leider schlugen die Medikamente, die ich nehmen musste, nicht richtig an und mein Gesundheitszustand verschlechterte sich enorm. Ich hatte unerträgliche Schmerzen, die täglich schlimmer wurden. Nach der Entfernung meines Dickdarms erhielt ich die Diagnose Morbus Crohn. Ich war inzwischen 17 Jahre alt und mein Alltag veränderte sich stark.
Inwiefern?
Starke Schmerzen und übermäßig viele Durchfälle hielten mich zu Hause fest. Ich musste nicht nur ständig ein Klo in meiner Nähe haben, auch mein Körper litt optisch sehr unter dieser Erkrankung. Durch das Kortison schwemmte ich auf, hatte das bekannte Mondgesicht und bekam Tag für Tag immer größere Dehnungsstreifen.
Wie sind Sie damit umgegangen?
Ich muss sagen, diese Erkrankung hat mich auf ganzer Linie gefordert. Es ist normal, an einen Punkt zu kommen, an dem man nicht mehr kann oder will. Ich war mehr im Krankenhaus als zu Hause und bekam innerhalb eines Jahres ein Stoma, also einen künstlichen Darmausgang. Ich hatte einen epileptischen Anfall, als Nebenwirkung der Medikamente, und hatte einmal Wasser in der Lunge, weshalb ich mich zwei Monate lang zurück ins Leben kämpfen musste. Einige Monate später, nach Anlegen des Stomas, musste dann der Dickdarm entfernt werden. Er war zu entzündet, zu kaputt und einfach nicht mehr brauchbar. Jedoch gesundheitlich betrachtet, war es die richtige Entscheidung. Seit der Entfernung des Dickdarms habe ich keinerlei Einschränkungen mehr, was Entzündungen im Darm angeht.
Mit einem Stoma zu leben, war sicherlich eine große Umstellung.
An sich kam ich mit dem Stoma gut zurecht, doch machte es mir aus technischer Sicht häufig Probleme, weshalb es oft korrigiert werden musste. Aufgrund der ständigen Fehlfunktion des Stomas wurde mir die Kock-Pouch-Methode vorgestellt. Daraufhin traf ich eine schwierige, aber rückblickend betrachtet die beste Entscheidung für mein Leben.
Was ist ein Kock-Pouch genau?
Kurz gesagt, ist der Kock-Pouch ein aus dem Dünndarm geformtes Reservoir, das den Stuhlgang von innen sammelt. Ein ebenfalls aus dem Dünndarm geformtes Ventil verhindert das kontinuierliche Auslaufen des Stuhlgangs, und somit klebt nur noch ein Pflaster am Bauch. Mehrmals am Tag muss ich dann durch die Bauchdecke einen Katheter einführen, um damit die Kocksche Tasche zu leeren.
Würden Sie rückblickend gesehen etwas anders machen?
Ich musste viele Entscheidungen treffen. Musste entscheiden, was ich mit meinem Körper mache, was ich ihm zumute und was aus ihm werden soll. Auf meinem Weg habe ich viel gelernt, wünschte mir aber, dass es damals jemanden wie Susanne Körner, Deutschlands erste Kock-Pouch-Krankenschwester, und ihre WhatsApp-Gruppe für Austausch gegeben hätte. Als Einzige mit einem Kock-Pouch fühlte ich mich lange Zeit sehr alleine. Doch ich bin mir sicher, dass es noch einige Menschen mit Kock-Pouch gibt, die wie ich gar nicht wissen, wie viele es eigentlich in Deutschland gibt.
Ein künstlicher Darmausgang ist etwas, worüber man nicht gern spricht. Wie haben Freunde und Familie reagiert?
Ein künstlicher Darmausgang oder Stuhlgang sollte kein Grund zur Scham sein! Ich habe für mich erkannt, dass Offenheit mir am besten liegt. Neuen Menschen in meinem Leben teile ich meine Situation mit, um spätere Erklärungen zu vermeiden. In Familie, Freundschaften und Arbeit wurde dies nie zu einem großen Thema gemacht. Es wurde als „normal“ akzeptiert, was für mich sehr positiv ist.
Wie geht es Ihnen heute?
Ich bin inzwischen Mutter eines elf Monate alten Sohnes und mir geht es aus gesundheitlicher Sicht gut. Ich habe einen tollen Arbeitgeber, wo ich als Brand Designer arbeite. In meiner Freizeit fotografiere ich Menschen mit Narben und besonderen Geschichten.
Welchen Tipp haben Sie für Betroffene einer CED?
Austausch bedeutet Wachstum. Lange Zeit dachte ich, es sei in Ordnung, nicht viel über den Kock-Pouch oder CED zu wissen. Doch im Rückblick erkenne ich, wie bereichernd es ist, sich gegenseitig aufzubauen und zu ermutigen. Es ist erlaubt, Hilfe anzunehmen – niemand muss alleine durch solche Situationen gehen. Und vergiss nie: DU BIST GENUG. Deine Reise ist einzigartig und wertvoll und darf manchmal auch einfach für einen Moment scheiße sein.
Das Interview führte Emma Howe