
Prof. Dr. med. Dagny Holle-Lee, Leiterin Westdeutsches Kopfschmerzzentrum/Schwindelzentrum, Oberärztin der Klinik für Neurologie am Universitäts-klinikum Essen
Interview mit Migräneexpertin Prof. Dr. Dagny Holle-Lee über Symptome, Diagnosefehler und moderne Therapien.
Frau Prof. Dr. Holle-Lee, beginnen wir mit der grundlegenden Frage: Was ist Migräne eigentlich?
Migräne ist weit mehr als nur Kopfschmerz – sie ist eine neurologische Erkrankung mit vielen Symptomen. Neben dem Schmerz treten oft Licht- und Lärmempfindlichkeit, Übelkeit, Erbrechen, Schwindel, kognitive Störungen oder sogar Sprach- und Sensibilitätsprobleme auf. Manche erleben auch eine Aura mit Sehstörungen, Taubheitsgefühlen oder Lähmungen vor der Schmerzphase. Migräne hat viele Gesichter – und wird deshalb nicht immer als solche erkannt.
Ist Migräne schwer zu diagnostizieren?
Nicht unbedingt – wenn man weiß, worauf zu achten ist. Migräne ist eine Filterfunktionsstörung: Das Gehirn reagiert überempfindlich auf Reize wie Licht, Geräusche oder Gerüche. In Kombination mit typischen Schmerzen oder Schwindel ist die Diagnose meist klar. Das Problem: Viele Betroffene ordnen ihre Beschwerden falsch ein – oder Migräne wird mit Spannungskopfschmerzen verwechselt.
Wird Migräne also häufig falsch diagnostiziert?
Leider ja. Viele leben jahrelang mit Migräne, ohne es zu wissen. In Hausarztpraxen fehlt oft das nötige Wissen oder die Erfahrung, obwohl dort eine gute Behandlung zum Beispiel mit Triptanen möglich wäre. Ein Besuch beim Neurologen ist nicht immer notwendig – aber der Weg zur richtigen Diagnose ist oft holprig.
Liegt das Problem eher bei Diagnostik oder Therapie?
Bei beiden. Wir haben heute sehr gute Möglichkeiten zur Akut- und Prophylaxebehandlung. Doch wenn die Erkrankung nicht erkannt oder falsch eingeordnet wird, bleiben diese ungenutzt.
Was hat sich in den letzten Jahren therapeutisch getan?
Viel. Triptane sind gut verträglich, allseits verfügbar und wirksam – vorausgesetzt, sie werden richtig angewendet. Auch in der Prophylaxe gibt es Fortschritte, insbesondere bei den Antikörpertherapien.
Wie sinnvoll sind Kombinationstherapien bei Migräneattacken?
Gerade bei langen Attacken sind sie sehr hilfreich. Triptane lindern schnell die akuten Symptome, ihre Wirkung kann aber nachlassen. Ergänzt man sie mit einem langwirksamen Schmerzmittel wie Naproxen, lassen sich Wiederkehrkopfschmerzen verhindern. Die Kombination aus Triptan und NSAR ist daher ein durchdachter Ansatz. Viele empfehlen, Triptan zu Beginn, NSAR ein bis zwei Stunden später einzunehmen, doch das ist in der Praxis oft umständlich. Eine Fixkombination wie Sumatriptan plus Naproxen vereinfacht die Anwendung, verbessert die Therapietreue und wirkt länger. Für Betroffene mit häufig starken Attacken bedeutet das eine echte Verbesserung der Lebensqualität.
Wie fördern Sie die Eigenverantwortung Ihrer Patienten im Umgang mit der Erkrankung?
Wir setzen stark auf Aufklärung. In unserer Klinik begleiten wir Patienten eng, geben ihnen verschiedene Medikamente zum Testen mit und helfen, den Umgang individuell zu erlernen. Es geht darum, dass Betroffene ihre Erkrankung verstehen und sich selbst helfen können. Deshalb betreiben wir auch einen Instagram-Kanal wo wir Wissen niedrigschwellig vermitteln und den Austausch fördern. Viele Menschen haben Angst vor Medikamenten, vor allem vor Nebenwirkungen. Diese Ängste müssen wir ernst nehmen, aber auch relativieren, denn viele Befürchtungen bewahrheiten sich gar nicht. Wichtig ist, zu vermitteln: Ausprobieren ist keine Schwäche, sondern Teil der personalisierten Medizin.
Das Interview führte Leonie Zell
Mit freundlicherUnterstützung der ORION Pharma GmbH