Neurologische Krankheiten

„Nichts hält mich davon ab, zu tauchen und glücklich zu sein!“

Mit meiner Geschichte möchte ich andere ermutigen, ihren Träumen zu folgen, ihre Träume zu leben statt ihr Leben zu träumen. Einfach machen! Mein Motto: Yes, you can!

Multiple Sklerose – woran denken die meisten sofort?
A: Rollstuhl
B: Tauchequipment

Ich habe mich ganz klar für B entschieden. Tauchen tut gut, nicht nur der Seele, auch dem Körper – und ganz besonders auch mit MS. Tauchen ist integrativ und inklusiv. Schade nur, dass das so wenige wissen. Dass es einfach zu wenige Tauchschulen gibt, die sich für Menschen mit einer Behinderung die notwendige Extraportion Zeit nehmen, damit diese auch die wunderbare Schwerelosigkeit erleben können. Das will ich ändern. Ja, ich werde es nicht schaffen, einen Hebel umzulegen. Aber auch kleine Schritte zählen, und so habe ich mir auf die Fahne geschrieben, das Tauchen für Menschen mit Einschränkungen mehr in die Öffentlichkeit zu schubsen. Warum und wieso – das erzähle ich gerne an dieser Stelle.

Die MS-Diagnose war der Gipfel einer Reihe von Erkrankungen ohne Namen, die mich in meinem Leben immer wieder begleiten.

Vor mehr als fünf Jahren wurde ich im Alter von 46 Jahren mit der Diagnose „Multiple Sklerose“ konfrontiert. Damit hatte ich niemals gerechnet, aber im Nachhinein erschließt sich doch so einiges. Jahrelang hatte ich immer wieder mit Depressionen zu kämpfen. Habe das auf meine nicht ganz einfache Kindheit und Familienkonstellation geschoben. Darauf kann ich hier nicht weiter eingehen, denn das ist wieder eine ganz eigene Geschichte. Oder auch zwei…. Zurück zur MS-Diagnose: Sie war der Gipfel einer Reihe von Erkrankungen ohne Namen, die mich in meinem Leben immer wieder begleiten. Zu den Depressionen gesellten sich nämlich seit Jahren immer wieder unerklärliche, schubweise Nesselsucht-Phasen, also schlimmster Juckreiz mit Bläschenbildung hier und da. „Stress“ – so hieß es einfach, Creme drauf, Medikamente, und irgendwann wer’s dann wieder weg. Ein weiteres Päckchen, das sich dazu gesellte, war ein Treppensturz mit Folgen. Sprunggelenk kaputt, zwei Lebensjahre immer wieder Fehldiagnosen, Operationen, vermutlich aufgrund der Fehlstellung dann Knorpelabbruch im Knie. Und hier kommt die MS wieder ins Spiel. Denn die ersten spürbaren Symptome kamen im Aufwachraum nach einer eher harmlosen Knie-Arthroskopie: Meine beiden Hände kribbelten, dann die Arme und mit der Zeit wanderten diese „Ameisenherden“ über meinen Rücken weiter abwärts bis zu den Füßen.

Was die Ärzte zunächst als Folge der Narkose, dann als Karpaltunnel-Syndrom wegen des Gehens an Krücken, abgetan hatten, entpuppte sich dann eben doch als neurologisches Problem. Zumal dann auch noch stromschlagartige Blitze durch meinen kompletten Körper zuckten, ich wie auf Watte lief und mir ständig eiskalte Schauer über den Rücken liefen. Und dann konnte ich das sogar auslösen, musste dazu nur den Kopf senken. In Kombination mit den schlimmsten Kopfschmerzen meines Lebens bin ich letztlich als Notfall im Krankenhaus gelandet. MRT von Kopf und Halswirbelsäule, Lumbalpunktion und etliche weitere Untersuchungen führten dann zu diesem einen Satz, der zwar mein Leben auf den Kopf gestellt hat, aber auch endlich eine logische Erklärung bedeutete für so vieles, was mit meinem Körper nicht stimmte: „Frau Krass, Sie sind unheilbar krank. Sie haben Multiple Sklerose.“

Jetzt muss ich dazu sagen, dass ich zu diesem Zeitpunkt eigentlich endlich von meinen Knie- und sonstigen Schmerzen befreit sein wollte. Ich wollte endlich etwas für mich tun. Nur für mich. Eine kleine Auszeit vom Job, vom Alltag, von der Familie, die ich zwar liebe, die mich aber auch Kraft und Nerven kostet. Einfach eine kleine Pause. Geplant war, gemeinsam mit einer Freundin, mein altes Hobby wieder aufleben zu lassen: Tauchen! Weit weg von allem, Betreuung der Kids organisiert, Geld gespart, zweiwöchige Traumreise nach Bali geplant. Was es heißen kann, mit MS zu leben, wie sich Stress und Hitze, die ja bei so einer Reise quasi vorherbestimmt sind, auf das Voranschreiten der Erkrankung auswirken kann, war mir bewusst. Trotzdem wollte ich nicht gleich aufgeben und fragte daher direkt meinen Neurologen, ob ich denn trotz MS tauchen könnte. Für seine Antwort könnte ich ihn heute noch umarmen, denn sie war quasi der Freifahrtschein für ein erfülltes Leben mit MS, insbesondere bezogen auf das Reisen und Tauchen mit MS. Seine Worte haben sich eingeprägt: „Lassen Sie sich nicht einschränken!“

Seine Worte haben sich eingeprägt: „Lassen Sie sich nicht einschränken!“

Und das habe ich wörtlich genommen! Keine meiner Erkrankungen hält mich davon ab, zu tauchen und glücklich zu sein! Einfach ist es nicht, schließlich haben sich leider auch in meinem familiären Umfeld weitere Erkrankungen breit gemacht und auch mir geht es nicht immer gut. Folgeschübe kamen, Medikamente mit enormen Nebenwirkungen, immer wieder Kortison-Stoßtherapie, weitere Knie-, Bein- und auch Rücken-Operationen, ach ja, auch die Augen mussten gelasert werden und einem Hörsturz habe ich zu verdanken, dass es nun leiser um mich herum wird. Außerdem dauerhafte Schmerzen, Verlust an Muskelschwäche, Koordinationsschwierigkeiten und noch viel, viel mehr. Auch Ängste und Sorgen, wie es weiter geht, schlaflose Nächte, regelmäßige Arztbesuche, Physiotherapie, angepasstes Sportprogramm und die ewige Suche nach der optimalen Work-Life-Balance. All das gehört nun zu meinem Leben. Besser wird es nicht mehr.

Mein Glück habe ich unter Wasser gefunden.

Mein Glück habe ich unter Wasser gefunden. Aus der geplanten Bali-Reise kurz nach meiner MS-Diagnose wurde nichts – was aber daran lag, dass der Vulkan Mount Agung plötzlich Lava spuckte. Wir mussten kurzfristig umbuchen und sind somit nahezu spontan auf den Philippinen gelandet. Mein Herz schlägt noch heute schneller, wenn ich an diese Reise denke. Was für ein Glück ich doch habe, dass ich das erleben durfte! Trotz MS, auch mit schwachem Bein, ausgefallenen Haaren infolge der MS-Therapie und etlicher Notfall-Madizin im Gepäck. Ich habe jeden Moment genossen! Und dabei beschlossen, dass ich wieder abtauchen möchte. Seitdem kann ich vom Tauchen gar nicht genug bekommen. Und als ich – immer mit dem Gedanken, dass die MS mal doch noch gemeiner zuschlagen könnte als bislang bei allen Folgeschüben – bei einer Tauchreise im Roten Meer auf dem Nachbarschiff einen gehbehinderten Taucher beobachtet habe, wie er sich ganz alleine für den Tauchgang vorbereitet hat, seine Handflossen gerichtet und gemeinsam mit den nicht-behinderten Tauchern abgetaucht ist… seitdem ist mir klar: Du kannst alles schaffen!

Meine „Reise“ hat gerade erst angefangen.

Meine „Reise“ hat gerade erst angefangen. Ich habe noch viel vor und lasse mich durch nichts und niemanden davon abhalten, schon gar nicht von meinen Erkrankungen und der MS! Deshalb habe ich vor einem Jahr den Blog „Tauchen mit Handicap“ gestartet. Denn ich will andere Menschen mit Behinderung – egal, mit welcher – dabei unterstützen, Tauchcenter für Taucher mit Handicap zu finden. Ich möchte selbst beim Tauchen assistieren und dazu weitere Taucherfahrung sammeln und Kurse belegen. Inzwischen habe ich mich zum Tauchbegleiter für Taucher mit Einschränkungen ausbilden lassen. Außerdem bin ich ehrenamtlich in unserem Tauchverein für die neu gegründete Abteilung „Tauchen mit Handicap“ zuständig und konnte hier bereits unseren Rollifahrer Roland und einem doppelt-Unterschenkelamputierten beim Tauchen unterstützen, schwerelos durchs Wasser zu schweben. Darum geht es beim Tauchen mit Behinderung: schwerelos sein, frei von der „Schwere“ des Alltags, frei von Sorgen und Ängsten, frei von Barrieren. Unter Wasser sind wir alle gleich, da gibt es keine Einschränkungen, oder kaum welche. Das macht das Tauchen ja so besonders! Für den Weg ins Wasser und wieder raus, beim Transport, Zusammenbau und Anlegen der Tauchausrüstung – dazu braucht es Helfer sowie, je nach Art und Schwere der Behinderung, auch extra ausgebildete Begleiter und Tauchlehrer. Bislang darf ich nur begleiten, aber mit der Ausbildung zum Divemaster darf ich noch mehr unterstützen. Den Grundstein dazu habe ich in diesem Jahr mit der Zertifizierung zum Rettungstaucher bereits gelegt. Fürs nächste Jahr habe ich mir als „mein Projekt“ die nächste Stufe vorgenommen: Divemaster. Und das mit inzwischen 52 Jahren. Ja und? Zum Helfen ist man nie zu alt! Mein Motto: Yes, you can!

Wer selbst einmal tauchen möchte, Informationen und Unterstützung fürs Tauchen mit Behinderung sucht, kann sich gerne an mich wenden. Mein Blog lebt von den Geschichten rund um das adaptive, integrative Tauchen. Folge mir gerne, um mein Herzensprojekt voran zu bringen, teile meine Beiträge und tauche in die Geschichten rund ums Handicaptauchen ein – auf instagramm und meinem Blog www.tauchen-mit-handicap.de.

Dieser Beitrag wurde von Nicole Kraß geschrieben.

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