Eine Adipositas-OP verändert nicht nur das Gewicht der Betroffenen, sondern auch Nahrungsaufnahmeprozesse. Das erfordert die konsequente Substitution bestimmter Nährstoffe, ein Leben lang.
Herr Professor Dr. Otto, warum brauchen Patienten nach einer Adipositas-Operation Mikronährstoffe?
Die OP verändert nicht nur die Menge der Nahrungsaufnahme, sondern auch die Art. Patienten haben nicht mehr die Möglichkeit, die für sie nötigen Nährstoffe in ausreichender Menge aufzunehmen. Wenn wir Teile des Magens entfernen bzw. ausschalten, dann wird zum Beispiel nicht mehr ausreichend Vitamin B12 aufgenommen. Dieses ist aber unter anderem ein wichtiger Bestandteil für die Bildung von roten Blutkörperchen.
Welche Nährstoffe zugeführt werden müssen, damit kein Mangel entsteht, hängt von der jeweils gewählten OP ab. Wir können vorab recht gut vorhersagen, welche Nährstoffe wie Vitamin D, Vitamin B12, Eisen oder Calcium nicht ausreichend aufgenommen werden können. Zusätzlich muss man natürlich auch immer noch individuelle Gegebenheiten betrachten. Die Patienten benötigen ihr Leben lang auf sie abgestimmte Präparate.
Ab wann empfehlen Sie den Patienten die Einnahme?
Meist schon vor der OP, damit nicht schon ein Mangel besteht, wenn sie operiert werden. Spätestens sollte mit der Einnahme zeitnah nach der Operation begonnen werden. Viele Patienten mit Adipositas haben bereits vor der OP einen Nährstoffmangel; das stellen wir anhand der Blutwerte immer wieder fest.
Woran liegt das? Adipositas-Betroffene sind ja eigentlich überversorgt?
Es kann mit Ernährungsgewohnheiten und dem veränderten Stoffwechsel zusammenhängen. Beim Vitamin-D-Mangel spielt auch eine Rolle, wie oft man sich der Sonnenstrahlung aussetzt. Die genauen Ursachen kennen wir nicht.
Kommen die Patienten Ihrer Empfehlung nach?
Nach einem Zeitraum von etwa fünf Jahren nimmt nur noch ein Drittel der Patienten die Mikronährstoffe ein. Das macht uns große Sorgen, weil der Mangel zu massiven Folgeerkrankungen führen kann. Wir können dies auch an Daten aus Ländern sehen, in denen nach der OP gar nicht substituiert wird. In seltenen Fällen können die Mangelerscheinungen extreme Ausmaße annehmen. Es kommt vor, dass junge Menschen einen so massiven Thiaminmangel haben, dass sie auf die Intensivstation müssen.
Warum ist die Quote so niedrig?
Patienten müssen die Kosten für die Präparate selbst tragen, weil es sich um Nahrungsergänzungsmittel handelt. Das schreckt viele ab. Zwar ist der finanzielle Aufwand für die Mittel deutlich geringer als das, was sie vor der OP zusätzlich für Nahrung ausgegeben haben, aber das gerät nach der OP rasch in Vergessenheit.
Haben Sie die Nährstoffversorgung im Rahmen der Nachsorge im Blick?
Der Begriff „Nachsorge“ passt hier nicht ganz, es ist mehr eine lebenslang begleitende Betreuung. Die wird von den Kassen nicht übernommen. Viele Krankenhäuser haben Konstrukte entwickelt, mit denen sie Patienten diese Begleitung dennoch zukommen lassen können – aber nicht alle Patienten sind darin eingebunden. Auch wir als Universität können Patienten nach der Operation begleiten, weil wir andere Mittel dafür haben. Niedergelassene Ärzte jedoch müssten dies aus eigener Tasche tragen. Das ist nicht realistisch. Allein eine Bestimmung der Blutwerte im Labor kostet 50 oder 60 Euro.
Was würden Sie verändern?
Es wäre wünschenswert, dass Patienten die Supplementationen erstattet bekommen. Der positive Nutzen bzw. die Notwendigkeit der Substitution von Mikronährstoffen nach einer Adipositas-Operation ist nachgewiesen. Meiner Meinung nach ist die Aufnahme von Mikronährstoffen nach der Operation unverzichtbar. Patienten, die sich nicht dazu durchringen können, im Anschluss Vitamine und andere Mikronährstoffe aufzunehmen, sollten von einer Operation absehen. Die körperlichen Folgen eines Mangels sind einfach zu gravierend.
Das Interview führte Miriam Rauh