Übergewicht

„Bewegung für die Seele“

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Claudia Catacchio war Leistungssportlerin – trotz Adipositas. Im Interview spricht sie über die Wichtigkeit der Bewegung und erklärt, warum diese an kein Abnehmziel geknüpft sein sollte und was Stigmatisierung mit Betroffenen macht.

Frau Catacchio, Sie leben mit Adipositas. Wann und wie hat sich die Erkrankung bemerkbar gemacht?

Es ist schwer zu sagen, ab wann es tatsächlich von einfachem Übergewicht, wie es so viele kennen, in eine Krankheit gekippt ist. Als Diagnose wahrgenommen habe ich es erstmals um 2004 herum, als es lapidar aufgelistet in einem Arztbrief stand, in dem es eigentlich um etwas anderes ging. Bis dahin hatte sich das Thema hauptsächlich als wiederkehrende Unzufriedenheit mit dem eigenen Körper bemerkbar gemacht. Ich war der Meinung, ein paar Kilo zu viel zu haben, machte eine Diät, nahm ab, nahm wieder zu – dann ging der Prozess von vorne los. Das Auf und Ab wurde über die Jahre immer drastischer, die Diäten immer extremer. Ich befand mich in einem richtigen Teufelskreis. Aus zwei bis drei Kilo, die man verlieren wollte, wurden 30 bis 40.

Gab es eine Diagnose?

Eine ganz offizielle Diagnose, nicht nur als Wort auf einem Arztbrief – ohne weitere Informationen –, habe ich nicht bewusst erhalten. Vielleicht habe ich es aber auch nur von mir weggeschoben. Da bin ich mir ehrlich gesagt nicht sicher. Erst als es immer mehr Kilos wurden und meine Lebensqualität stark begann zu leiden und ich mich 2018 für eine Magenbypass-Operation interessierte, begann ich mich in der Tiefe mit Adipositas als komplexer Erkrankung auseinanderzusetzen.

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Claudia Catacchio

Leiden Sie an Folgeerkrankungen?

Glücklicherweise bin ich bis jetzt von Folgeerkrankungen verschont geblieben – sicher auch dank der OP, die bei mir 2018 durchgeführt wurde. Das hat mich gerettet. Aus diesem Grund rate ich jedem Betroffenen, sich Hilfe zu holen, bevor es zu spät ist.

Wie erleben Sie Ihre Erkrankung im Alltag und mit welchen Herausforderungen haben Sie zu kämpfen?

Seit meiner Operation bin ich nicht mehr auf den ersten Blick als Adipositas-Patientin zu identifizieren, daher habe ich zum Glück keine Herausforderungen mehr zu bewältigen, wie sie viele andere Betroffene jeden Tag erleben. Aber ich erinnere mich genau, wie es mal war. Das sind keine schönen Erinnerungen. Aus diesem Grund setze ich mich nach wie vor für Adipositas-Erkrankte ein. Als Mensch, der mit Adipositas lebt, ist man extrem sichtbar und unsichtbar zugleich. Das soziale Stigma wiegt ebenso schwer wie die Extrakilos, die man durch den Alltag bewegen muss – ein Umstand, der an Körper und Seele gleichermaßen zerrt.

Menschen mit Adipositas wird oft unterstellt, faul und unfähig zu sein. Bitte äußern Sie sich dazu.

Als Nichtbetroffener ist es immer einfach zu urteilen, und viele können sich nicht vorstellen, dass die Patienten keine Schuld trifft. Die Annahme, dass Adipositas eine selbst gemachte Krankheit ist, die man einfach abstellen könnte, wenn man nur genug Disziplin aufbringt, ist einfach falsch. Die Wahrheit ist viel komplexer und ich würde mir wünschen, dass sich Menschen, bevor sie urteilen, informieren. Adipositas ist eine chronische Erkrankung wie COPD oder Diabetes. Und wie bei diesen Erkrankungen muss auch Adipositas behandelt werden.

Sie zeigen, dass man Adipositas in keine Schublade stecken kann, denn Sport und Bewegung spielten schon immer eine wichtige Rolle in Ihrem Leben.

Ja, schon als Kind habe ich viel Sport gemacht. Besonders mochte ich Tennis, Ballett und Gymnastik. Später habe ich den Rudersport für mich entdeckt und diesen sogar bis zum Leistungssport hin verfolgt – und auch einige Erfolge eingefahren. Meine Erkrankung ließ mich dennoch nie los. Ich machte Diäten, um weiter dabei sein zu können, und diese wurden immer radikaler. Das brachte meinen Stoffwechsel und Hormonhaushalt gewaltig durcheinander – ich nahm immer weiter zu. Es wurde immer schwieriger. Dennoch: Der Sport gibt mir viel und es war eines meiner größten Ziele, diesen wieder richtig ausüben zu können. Beim Sport kann ich abschalten, meinen Körper spüren und sehe nicht mehr die Defizite, sondern das, was ich alles noch leisten kann. Das macht glücklich und motiviert. Ich bin wahnsinnig froh, so viel von meiner Lebensqualität nicht zuletzt durch Sport zurückgewonnen zu haben – nicht als Mittel zur Abnahme, sondern als Belohnung dafür –, und möchte ihn keinen Tag missen.

Wie kann jeder Betroffene mit Übergewicht Sport in seinen Alltag integrieren?

Sport sollte man immer treiben, aber nicht nur zum Abnehmen. Ich wünschte, diese ungünstige Verkettung ließe sich wieder lösen. Bewegung fördert das physische und psychische Wohlbefinden auf unzählige Arten und ist für fast alle einfach zu integrieren. Es muss nicht immer Leistungssport sein. Spaziergänge, Radfahren, Schwimmen, Tai-Chi – Hauptsache, irgendeine Art von Bewegung, für mindestens 30 Minuten am Tag. Das würde vielen Menschen schon enorm helfen.

Was wünschen Sie sich bezüglich Ihrer Erkrankung von der Gesellschaft?

Ich wünsche mir, dass Adipositas als extrem komplexe und schwer zu behandelnde Krankheit anerkannt wird und Betroffene mit dem Respekt und der Fürsorge behandelt werden, die anderweitig Erkrankten auch entgegengebracht werden. Das wäre ein guter Start.

Das Interview führte Leonie Zell

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