AutoimmunerkrankungenDiabetes

„Anfangs war ich mit der Diagnose total überfordert“

Dennis

Diabetes Typ 1 klingt für viele nach Einschränkung, ständiger Kontrolle und Verzicht. Für Dennis ist es vor allem eines: Alltag. Seit er mit 16 Jahren die Diagnose bekam, lebt er mit der Autoimmunerkrankung, bei der der Körper kein eigenes Insulin mehr produziert. Inzwischen ist Dennis 30 Jahre alt, berufstätig, technikaffin und offen im Umgang mit seiner Erkrankung.

Dennis, wie hast du von deiner Diabeteserkrankung erfahren?

Bei mir kam die Diagnose ziemlich plötzlich. Ich war damals 16 und habe gemerkt, dass ich ständig müde war und total viel getrunken habe – ich kam locker auf sechs bis sieben Liter Wasser am Tag. Hinzu kam, dass ich immer dünner wurde. Ich war noch nie kräftig, aber das sah schon leicht krankhaft aus. Ich habe ganz normal gegessen, aber die Waage zeigte immer weniger an. Erst dachte ich, es wäre einfach nur Stress oder vielleicht ein Infekt, aber meine Mutter hat irgendwann darauf bestanden, dass ich zum Arzt gehe. Dort wurde dann mein Blutzucker gemessen, und der war so hoch, dass ich direkt ins Krankenhaus musste. Dort wurde dann die Diagnose gestellt.

Wie hast du damals auf die Diagnose reagiert?

Ich war, ehrlich gesagt, total überfordert. Ich hatte zwar schon mal von Diabetes gehört, aber ich dachte, das betrifft nur ältere Menschen oder Leute mit Übergewicht. Dass ich als sportlicher Jugendlicher so eine Diagnose bekomme, hätte ich nie gedacht. Im Krankenhaus wurde ich dann relativ schnell geschult, wie man Insulin spritzt, wie man Blutzucker misst, worauf man achten muss. Das war viel Input auf einmal. Ich wollte einfach nur zurück in mein normales Leben, aber mir wurde klar: Das wird nie wieder ganz „normal“ sein. Ich habe mich dann wochenlang intensiv mit der Krankheit beschäftigt, alles aufgeschrieben, Kohlenhydrate gezählt, Tabellen geführt. Das hat mir geholfen, Kontrolle zu gewinnen. Trotzdem hatte ich Angst. Ich wusste nicht, wie meine Freunde reagieren würden, ob ich in der Schule ausgegrenzt werde. Ich habe erst nur meinen engsten Freund eingeweiht, und der war zum Glück super unterstützend.

Was hat sich seitdem für dich verändert?

Am Anfang habe ich versucht, so zu tun, als wäre nichts – zumindest nach außen. Ich wollte nicht der Typ sein, der „krank“ ist. In der Schule habe ich mich oft versteckt, wenn ich meinen Blutzucker messen oder Insulin spritzen musste. Das hat mich sehr isoliert. Erst später, im Studium, wurde ich offener damit. Ich habe gelernt, dass es nichts bringt, sich zu verstecken. Diabetes ist ein Teil von mir, und ich habe keine Schuld daran. Es gab auch Phasen, in denen ich unachtsam wurde, vor allem mit Anfang 20. Ich war viel unterwegs, Partys, wenig Schlaf, unregelmäßiges Essen, und da haben meine Werte oft Achterbahn gespielt. Ich musste lernen, dass ich langfristig nur gesund bleibe, wenn ich konsequent bleibe. Heute bin ich sehr viel strukturierter, was meine Tagesabläufe betrifft, und das hilft mir.

Wie sieht dein Alltag heute aus?

Ich trage mittlerweile ein CGM-System, das permanent meinen Blutzuckerspiegel misst, und bin auf eine Insulinpumpe umgestiegen. Das hat meinen Alltag sehr erleichtert. Ich arbeite als Softwareentwickler, sitze also viel am Schreibtisch, was es leichter macht, meine Werte im Blick zu behalten. Aber es gibt trotzdem immer wieder Herausforderungen wie Stress im Job, wenig Bewegung oder eine Pizza zu viel am Abend. All das beeinflusst meinen Blutzucker. Man muss ständig mitdenken, das nervt manchmal. Aber es gehört einfach dazu. Ich vergleiche es oft mit einem ständigen Mitfahrer, der immer dabei ist und dem ich nie ganz entkommen kann. Trotzdem versuche ich, mich nicht zu sehr von Zahlen bestimmen zu lassen. Wenn ich mal einen schlechten Tag habe, dann ist das eben so. Das gehört auch dazu.

Wie gehst du mit diesen Herausforderungen um?

Ich bin mittlerweile ziemlich pragmatisch. Ich weiß, dass es gute und schlechte Tage gibt, und ich versuche, mich nicht fertigzumachen, wenn mal was schiefläuft. Es hilft mir, mich mit anderen Betroffenen auszutauschen – in Foren oder auf Instagram. Ich habe inzwischen auch ein kleines Netzwerk von Freunden mit Diabetes, mit denen ich mich regelmäßig austausche. Wir schicken uns manchmal einfach einen Screenshot von unseren Werten, wenn sie gerade verrückt spielen, und es tut gut, wenn dann jemand sagt: „Kenn ich! Ist bei mir heute auch so.“ Das nimmt den Druck raus. Ich habe auch gelernt, offen mit meinem Umfeld umzugehen. Gerade in Beziehungen oder Freundschaften ist das wichtig, damit andere verstehen, was los ist, wenn ich zum Beispiel gereizt bin oder plötzlich etwas essen muss.

Spielt der Diabetes auch in deinem Berufsleben eine Rolle?

Nicht so sehr, aber ich habe von Anfang an offen mit meinem Arbeitgeber gesprochen. Ich habe immer Notfallsnacks dabei, meine Geräte piepen manchmal, und das ist okay. Mein Team weiß Bescheid. Es gibt mir Sicherheit, zu wissen, dass ich im Fall einer Unterzuckerung nicht erst erklären muss, was los ist. Und ich habe auch gelernt, meine Grenzen zu respektieren und auch mal eine Pause zu machen, wenn’s nötig ist, und das auch zu kommunizieren. Ich finde es wichtig, dass wir lernen, auch im Beruf mit chronischen Erkrankungen offen umzugehen. Klar gibt es Tage, da ist der Blutzucker unberechenbar und die Konzentration im Keller, aber ich bin deshalb kein schlechterer Mitarbeiter. Im Gegenteil: Ich glaube, dass man mit einer chronischen Erkrankung wie Diabetes viel an Selbstorganisation und Eigenverantwortung lernt. Und das hilft mir auch beruflich.

Was würdest du anderen Menschen mit Typ-1-Diabetes mit auf den Weg geben?

Versucht nicht, perfekt zu sein, denn das ist niemand – egal ob gesund oder mit einer chronischen Erkrankung. Man kann alles richtig machen und trotzdem schlechte Werte haben. Das ist kein persönliches Versagen. Ich finde es wichtig, sich regelmäßig auszutauschen, auch mal offen über Frust zu reden und sich Hilfe zu holen, wenn’s emotional schwer wird. Und: Man kann mit Diabetes absolut alles erreichen und auch alles machen. Man muss nur gut vorbereitet sein. Ich habe letztes Jahr eine dreiwöchige Wandertour in Skandinavien gemacht, mit Zelt, Rucksack und allem Drum und Dran. Ich hatte vorher richtig Respekt, ob das mit Diabetes klappt. Aber mit guter Planung, Back-up-Geräten, Extrasnacks und viel Vorbereitung hat alles funktioniert. Diese Erfahrungen zeigen mir: Ich bin nicht weniger belastbar als andere, ich brauche nur andere Strategien. Und genau das möchte ich anderen mitgeben: Diabetes ist kein Rückschritt – nur ein anderer Weg.

Das Interview führte Leonie Zell

 

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