Kostas Tsourlis war einer der ersten Beta-Thalassämie-Betroffenen in Deutschland – und wäre fast gestorben. Wie er es geschafft hat, sich zurück ins Leben zu kämpfen, erzählt er im Interview.
Herr Tsourlis, wie hat sich die Erkrankung bei Ihnen bemerkbar gemacht?
Mit 18 Monaten hatte ich einen Keuchhusten, von dem ich mich nicht mehr erholt habe. Der Kinderarzt schickte meine Eltern und mich in die Klinik, und nach einer langen Odyssee an Untersuchungen wurde eine Thalassämie major diagnostiziert.
Hatten Ihre Eltern vorher schon einmal von der Erkrankung gehört?
Meine Eltern wussten nicht, dass sie Träger der Erkrankung sind, und kannten sie auch nicht. Ende 1973 war die Erkrankung in Deutschland noch völlig unbekannt und ich galt in der Region als erster Patient mit einer Thalassämie.
Wie wurden und werden Sie therapiert?
Weil die Krankheit noch sehr unbekannt war, probierten die Ärzte anfangs verschiedene Dinge aus, um die Blutproduktion anzuregen. Was natürlich, wie man heute weiß, nichts brachte. Ich hatte dann Glück im Unglück, weil der Oberarzt, der mich dann auch 30 Jahre lang behandelt hat, mit einer Amerikanerin verheiratet war und in Philadelphia gearbeitet hatte. Durch die Sichelzellpatienten hatte er ein besseres Wissen gegenüber den anderen Ärzten, da es Parallelen zwischen beiden Erkrankungen gibt. Als ich drei Jahre alt war, starteten dann die Transfusionen. Mittlerweile bekomme ich sie seit 50 Jahren.
Wie haben Sie Ihre Kindheit und Jugend mit der Erkrankung erlebt?
Es war furchtbar. Ich musste für die Transfusionen einmal pro Monat in die Klinik und zwei Tage dort verbringen, während meine Freunde spielen, toben und Kind sein durften. Ich hatte immer das Gefühl, etwas zu verpassen. Zudem war ich nicht so stark, mutig und leistungsfähig wie die anderen. Ich musste aufgrund der Erkrankung alles ganz ruhig angehen, obwohl ich vom Gefühl genauso wild war wie die anderen, das aber nicht ausleben konnte. Das wurde auch nicht besser, als ich in die Pubertät kam. Ich habe dann immer mehr begonnen, gegen die Therapie zu rebellieren.
Inwiefern?
Ich habe den Nutzen und den Sinn nicht mehr gesehen und die Therapie schleifen lassen. Denn neben den Transfusionen musste man damals auch eine subkutane Infusion machen, die mindestens acht Stunden dauert, um überschüssiges Eisen abzubauen. Ich hatte aber Besseres zu tun und wollte auch nicht mit einer Pumpe am Arm herumlaufen.
Es stand miserabel um mich, und die Ärzte waren sich nicht sicher, ob ich überleben würde. Ich lag heulend in der Klinik, denn ich wusste, dass es zu Ende geht, und sagte zu mir selbst: „Du hast es nicht mal probiert.“ Ich habe mir die Tränen weggewischt und beschlossen zu kämpfen. Ich wollte leben und durfte überleben.
Wann kam der Wendepunkt?
Viele meiner Freunde starben durch die Erkrankung. Sie waren auch solche Chaoten wie ich und machten die Therapie nicht richtig. Als ich Anfang 20 war, war es auch bei mir fünf vor zwölf. Es stand miserabel um mich, und die Ärzte waren sich nicht sicher, ob ich überleben würde. Ich lag heulend in der Klinik, denn ich wusste, dass es zu Ende geht, und sagte zu mir selbst: „Du hast es nicht mal probiert.“ Ich habe mir die Tränen weggewischt und beschlossen zu kämpfen. Ich wollte leben und durfte überleben. Von diesem Moment an habe ich alles dafür getan und begonnen, mich das erste Mal wirklich mit der Erkrankung auseinanderzusetzen. Ich habe alles gelesen, was ich in die Finger bekam, und entwickelte mich zu einem Experten auf dem Gebiet.
Was sind die größten Herausforderungen, mit der Erkrankung zu leben?
Aus meiner Sicht ist es die Unsicherheit. Man weiß nicht, was die Zukunft bringt. Wird man arbeiten können? Hat man die Kraft für Familie und Freunde? Wird man fit genug bleiben, um das Leben zu meistern? Das sind Fragen, die sehr belastend sein können.
Haben Sie sich aus diesem Grund entschieden, anderen Betroffenen zu helfen?
Ja, denn da ich aus eigener Erfahrung sprechen kann, habe ich einen anderen Draht zu Patienten als ein Arzt. Natürlich sind Ärzte die Experten, aber im Praxisalltag fehlt oft die Zeit für Erklärungen oder Verständnis. Besonders junge Patienten müssen jedoch die Notwendigkeit verstehen, warum es wichtig ist, die Therapie zu machen und nicht aufzugeben. Durch diese Hilfe habe ich das Gefühl, meine Erkrankung mehrmals zu besiegen. Zudem möchte ich andere ermutigen, aktiv Teil der eigenen Therapie zu sein, sich zu informieren, nachzufragen und einfach Teil der Therapiegestaltung zu sein. Da fällt mir ein Spruch ein, der es ganz gut trifft: Egal wie stürmisch die See ist, wenn man weiß, man ist der Kapitän, hat man das Ruder in der Hand und alles unter Kontrolle.
Bleib am Ball, tu dein Bestes und vernachlässige nie deine Therapie.
Was möchten Sie zudem anderen Betroffenen raten?
Bleib am Ball, tu dein Bestes und vernachlässige nie deine Therapie. Das ist das Fundament. Erstens, damit du überhaupt leben kannst, und auch für später. Es gibt neue Therapien, die sehr vielversprechend sind. Doch die Voraussetzung dafür ist, dass man noch keine Folgeschäden hat. Man muss also versuchen, so gesund wie möglich zu bleiben, um irgendwann vielleicht geheilt zu werden.
Das Interview führte Emma Howe
Anlaufstellen für Betroffene
Betroffene von Beta-Thalassämie können sich an den Verein für seltene Anämien, SAM e. V., oder an den Thalassämie Verein Ulm e. V. wenden.
Weitere Informationen unter: www.seltene-anaemien-deutschland.de und www.thavu.de
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