Als Giuseppe Santamaria von der Schaukel fiel und schreckliche Schmerzen hatte, wusste noch niemand, dass er eine potenziell tödliche Erkrankung in sich trägt.
Herr Santamaria, Sie haben die Sichelzellkrankheit. Können Sie sich daran erinnern, wann Sie diese erstmals wahrgenommen haben?
Ja, sogar noch sehr genau. Damals war ich vier Jahre alt und fiel von der Schaukel. Ich hatte schreckliche Schmerzen, doch meine Eltern und auch die Ärzte dachten, es sei von dem Sturz. Dass dies meine erste Schmerzkrise war, wusste damals niemand.
Leider blieb es nicht bei dieser einen Schmerzkrise.
Nein, von da an hatte ich sie regelmäßig. Ich habe Fußball gespielt und hatte danach eine Schmerzkrise. Ich ging schwimmen und hatte danach eine Schmerzkrise. Ich strengte mich einfach etwas mehr an und hatte eine Schmerzkrise.
Es fühlt sich an, als würde man von innen explodieren, es brennt und tut überall höllisch weh.
Wie fühlt sich eine Schmerzkrise an?
Schmerzkrisen sind, wie der Name verrät, extrem schmerzhaft. Es fühlt sich an, als würde man von innen explodieren, es brennt und tut überall höllisch weh. Dabei kann der Schmerz sich an jeder Stelle des Körpers befinden und nur einige Sekunden oder über Wochen, manchmal sogar Monate hinweg andauern.
Konnte Ihnen niemand helfen?
Damals leider nicht. Bei jeder Krise gingen meine Eltern mit mir zum Arzt oder ins Krankenhaus – und hörten immer das Gleiche: „Ihr Sohn hat nichts, er ist einfach nur sensibel.“ Dass ich teilweise vor Schmerzen schrie, mich nicht mehr bewegen konnte und tagelang weinte, interessierte die Ärzte einfach nicht. Meine Eltern sind fast verzweifelt und ich zog mich immer mehr zurück.
Bitte gehen Sie näher darauf ein.
Es gab Monate, in denen ich drei Wochen am Stück Schmerzkrisen hatte. Irgendwann ging ich dann einfach nicht mehr raus, aus Angst vor der nächsten Schmerzkrise. Während die anderen Kinder ihre Kindheit genossen haben, wurde ich immer trauriger – ich habe sehr unter der Situation gelitten.
Wann haben Sie eine Diagnose erhalten?
Als ich zehn war, fanden Ärzte endlich den Grund heraus, helfen konnten sie mir allerdings immer noch nicht. Doch sie klärten meine Eltern und mich über die Sichelzellkrankheit auf und prophezeiten, dass ich meinen 18. Geburtstag wohl nicht erleben würde. Das riss meinen Eltern und mir den Boden unter den Füßen weg. Ich hatte große Angst zu sterben.
Zum Glück haben die Ärzte nicht recht behalten. Heute sind Sie 55 Jahre alt.
Als ich 15 Jahre alt war, konnte ich eine Therapie beginnen, und ich hatte das Gefühl, endlich am Leben teilhaben zu können. Zum einen wegen der Therapie, aber auch weil ich meinen Körper besser kennengelernt habe.
Was sind die größten Herausforderungen für Sie?
Durch die Krankheit sind fast alle meine Knochen kaputt. Wenn ich versuche zu laufen, schaffe ich zwei Minuten, danach geht es nicht mehr und ich muss eine Pause machen. Ein normales Leben ohne Schmerzen werde ich niemals führen können, doch ich habe akzeptiert, dass Schmerzen zu meinem Leben gehören, und habe gelernt, für die kleinen Dinge des Lebens dankbar zu sein.
Sie sind sehr aktiv im Verein IST e. V. und es ist Ihnen ein großes Anliegen, die Bekanntheit der Sichelzellkrankheit zu erhöhen. Warum?
Ich möchte, dass kein Kind das Leid erfahren muss, was ich durchlebt habe. Aus diesem Grund setze ich mich für Aufklärung ein.
Was wünschen Sie sich für die Zukunft?
Dass es Betroffene künftig besser haben, als ich es hatte. Neue Therapien werden ein normales Leben ermöglichen. Das kommt für mich leider zu spät, aber für andere, junge Betroffene kann das vielleicht ihr Leben verändern.
Das Interview führte Emma Howe
Anlaufstelle für Betroffene
Die Interessengemeinschaft IST e. V. ist eine Selbsthilfegruppe von Angehörigen und von Betroffenen der verschiedenen Thalassämien und Sichelzellkrankheiten.
Weitere Informationen: www.ist-ev.org
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