Seltene Erkrankungen

Alarmsignal LDL-Cholesterinwert – was dahinterstecken könnte

Prof. Dr. Ioanna Gouni-Berthold Fachärztin für Innere Medizin, Endokrinologie und Diabetologie

Die homozygote familiäre Hypercholesterinämie (hoFH) zählt zu den seltenen Erbkrankheiten. Unbehandelt steigert die hoFH das Risiko für Arterienverschlüsse und Infarkte. Dabei ist die erbliche Stoffwechselstörung wahrscheinlich gar nicht so selten, sondern wird oft einfach nicht erkannt, sagt Prof. Dr. Ioanna Gouni-Berthold.

Frau Prof. Dr. Gouni-Berthold, was sind die Ursachen einer hoFH?

Ursache der familiären Hypercholesterinämie ist am häufigsten eine Mutation des LDL-Rezeptor-Gens. Da durch den Gendefekt der Rezeptor fehlt oder keine Bindung zum Rezeptor aufgebaut wird, kann das Cholesterin nicht von der Leber aufgenommen und ausgeschieden werden, sondern verbleibt im Blut. Die Folge: massiv erhöhte Cholesterinwerte und somit ein stark erhöhtes Risiko kardiovaskulärer Erkrankungen.

Welches charakteristische Merkmal geht mit der Erkrankung einher?

Charakteristisch sind massiv erhöhte LDL-Werte. Typische Symptome wie Trübungsringe um die Iris des Auges, Xanthome und Xanthelasmen können auch auftreten. Es fehlt leider das Bewusstsein für die hoFH. Daher ist die erste erkannte Symptomatik dann oft ein Herzinfarkt oder Schlaganfall.

Wie wird hoFH diagnostiziert?

Die klinische Diagnostik erfolgt in Europa meistens nach den Dutch-Lipid-Clinic-Network (DLCN)-Kriterien. Betrachtet wird dabei unter anderem auch die Familienanamnese: Sind erhöhte LDL-Werte oder vorzeitige koronare Herzkrankheiten in der Familie bekannt? Bei einem Gesamtergebnis größer als acht gilt die Diagnose hoFH als klinisch gesichert. Außerdem sind molekulargenetische Untersuchungen anzuraten.

Warum wird die Diagnose oft erst so spät gestellt?

Es fehlt einfach am Bewusstsein für diese Erkrankung. Wenn der Hausarzt beim Check-up erhöhte LDL-Werte feststellt und dann einen Zusammenhang herstellt, ist man diagnostisch auf dem richtigen Weg. In der medizinischen Literatur gibt es leider viele Fälle von Kindern mit Herzinfarkt oder Schlaganfall aufgrund von unbehandelter hoFH. Ich wäre glücklich, wenn bei jedem Neugeborenen-Screening der LDL-Wert mit untersucht würde. Je früher, desto besser. Die Bestimmung von LDL-Werten wäre auch mit drei oder fünf Jahren wünschenswert.

Welche Therapieoptionen standen bislang zur Verfügung?

Die LDL-Werte allein durch viel Bewegung und gesunde Ernährung signifikant zu senken, funktioniert bei der hoFH nicht. Therapieoptionen sind die Statine, Ezetimib, PCSK9-Inhibitoren, Lomitapid sowie die Lipidapherese. Es sind auch wenige Fälle von Lebertransplantationen bekannt.

Gibt es neue Therapien?

Neu zugelassen sind Lipidsenker, die unabhängig von den LDL-Rezeptoren wirken. Hierbei wird das Angiopoetin-ähnliche Protein 3 (ANGPTL3), das überwiegend in der Leber exprimiert wird, gehemmt. Dadurch kann das LDL-Cholesterin unabhängig von den LDL-Rezeptoren gesenkt werden.

Was bedeutet das für die Betroffenen?

Grundsätzlich muss bei bekannter hoFH schnell und aggressiv therapiert werden, mittels Lipidapherese kombiniert mit Lipidsenkern. Ziel sollte es sein, die LDL-Werte unter 70 Milligramm pro Deziliter und bei Patienten, die schon einen Herzinfarkt oder Schlaganfall erlitten haben, unter 55 Milligramm pro Deziliter zu bringen. Hohe LDL-Werte haben einen kumulativen Effekt. Daher ist es wichtig, so früh wie möglich mit der Therapie zu starten. Statine können schon ab acht Jahren verabreicht werden.

Das Interview führte Nicole Kraß


 

 

Avery hat hoFH. Ihre Geschichte lesen Sie hier.

 

 

 


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