Seltene Erkrankungen

„Unser Engel ist eine von einer Million“

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Avery ist 14 Jahre alt und ein lebensfroher Teenager. Sie hat die seltene Krankheit homozygote familiäre Hypercholesterinämie (hoFH), die mit tödlichen Herzinfarkten im Kindesalter einhergehen kann. Wir sprachen mit Avery und ihrer Mutter Michelle über den Kampf ihres Lebens.

Michelle, haben Sie gemerkt, dass Avery krank ist?

Nein, Avery hatte keine Symptome und es gab keinen Hinweis darauf, dass etwas nicht in Ordnung war. Mein Mann und ich hatten beide immer einen hohen Cholesterinspiegel und in der Familie meines Mannes traten frühe Herzkrankheiten auf. Aus diesem Grund bat ich unseren Kinderarzt, Averys Lipidstatus zu kontrollieren, um zu sehen, wie hoch ihr Cholesterinspiegel war. Damals war sie sechs Jahre alt. Obwohl unser Kinderarzt unsere Familiengeschichte kannte, schlug er uns nie vor, die Lipidwerte überprüfen zu lassen. Averys Cholesterinwert lag bei 800, normal ist ein Wert unter 110. Danach wurde ein Gentest durchgeführt und die Diagnose homozygote familiäre Hypercholesterinämie gestellt.

Was haben Sie als Mutter in diesem Moment gedacht?

Ich war geschockt, als der Kardiologe uns sagte, sie sei „eine von einer Million“. Der anfängliche Schock verwandelte sich schnell in Angst und Traurigkeit, nachdem ich erfahren hatte, dass unsere Tochter, die äußerlich vollkommen gesund aussah, an einer lebensbedrohlichen seltenen Krankheit leidet. Unser Leben änderte sich innerhalb weniger Sekunden. Von diesem Moment an drehte sich alles fast ausschließlich um Averys Gesundheit und ihre wöchentlichen Lipoproteinapherese-Behandlungen, ein stundenlanges Verfahren, das das LDL-Cholesterin aus Averys Blut herausfiltert, um die Plaquebildung in ihren Arterien zu verlangsamen.

So richtig verstanden habe ich damals meine Diagnose nicht. Ich merkte nur, dass sich mein Leben veränderte – das fand ich teilweise sehr beängstigend. Avery

Dann kam im Herbst 2019 die nächste Hiobsbotschaft …

Ja, trotz der wöchentlichen Behandlungen, mehrerer Medikamenteneinnahmen, regelmäßiger Besuche bei Kinderkardiologen und umfangreicher medizinischer Tests erfuhren wir im Herbst 2019, dass sich Averys Zustand verschlechtert hatte und sie so schnell wie möglich am offenen Herzen operiert werden musste. Das war eine der gruseligsten Neuigkeiten, die ich je in meinem Leben erfahren hatte. Wir hatten absolut keine Ahnung, wie die Operation verlaufen würde, und ob unser kleines Mädchen es schaffen würde.

Ich hatte Angst vor der Operation, aber ich versuchte, es positiv zu sehen. Und das Gefühl, dass ich wusste, dass meine Eltern immer an meiner Seite sind und das alles mit mir zusammen durchstehen, hat mir auch sehr geholfen und mir Kraft gegeben. Avery

Was geschah am Tag der Operation?

Am Morgen des 3. Januar 2020 sahen wir zu, wie sie unser kleines Mädchen zur Operation brachten – ein Schmerz, den wir nie erwartet hatten, als wir unser perfektes kleines Mädchen im Juli 2008 mit solcher Freude auf der Welt willkommen hießen. Die Stunden im Wartebereich kamen uns wie eine Ewigkeit vor, aber sieben Stunden später kam der Herz-Thorax-Chirurg, um uns mitzuteilen, dass die Operation erfolgreich war und Avery auf die Intensivstation gebracht wurde. Dort kam es zu Komplikationen und Avery wurde in einer Notoperation ein zweites Mal am offenen Herzen operiert. Avery überstand die zweite Operation gut, verbrachte die nächsten Tage jedoch sediert und intubiert auf der Intensivstation. Als ob dies nicht genug wäre, erfuhren wir, dass unsere elfjährige Avery einen Herzinfarkt erlitten hatte. Es dauerte ein paar Wochen, bis Avery sich erholt hatte. Die ganze Zeit im Krankenhaus zu leben, war sehr schwierig und anstrengend, aber wir wollten nicht von ihrer Seite weichen. Am 22. Januar 2020 durften wir alle endlich zurück nach Hause.

Wie schauen Sie heute auf diese Zeit zurück?

Ich hatte Angst um das Leben meiner Tochter, und diese lässt mich bis heute nicht los. Zum Glück wird Avery jeden Tag stärker, und doch wissen wir, dass unser Kampf noch nicht vorbei ist. Und so geht unsere Reise weiter.

Was ist Ihr größter Wunsch für Avery?

Mein Wunsch für Avery ist, dass sie glücklich und erfüllt ist. Dass sie ihre Diagnosen weiterhin positiv beurteilt und die freundliche, großzügige, schöne Tochter ist, die sie immer war. Wir sind so stolz auf sie und lieben sie mehr, als Worte sagen können!

Mir geht es sehr gut. Ich nehme zwar Medikamente, kann aber ein normales Leben führen. Natürlich weiß ich, dass ich eine seltene Erkrankung habe, aber das ist okay. Ich besuche jeden Tag eine Kunstschule und tanze fünf- bis siebenmal pro Woche. Ich liebe Tanzen sehr, weil es mir die Möglich-keit gibt, meine Gefühle auszudrücken, und es hilft mir auch, alles zu verarbeiten, was ich erlebt habe. Mein größter Traum ist es, Ärztin zu werden, damit ich anderen Kindern mit gesundheitlichen Problemen helfen kann. Ich hatte in den letzten acht Jahren so viele großartige Ärzte, die sich um mich gekümmert haben, und ich habe gelernt, wie wichtig es ist, Ärzte zu haben, die sich mit meiner Krankheit auskennen. Avery

Fotos: privat
Das Interview führte Emma Howe


 

hoFH – Alarmsignal LDL-Cholesterinwert
Was dahinterstecken könnte erklärt Prof. Dr. Ioanna Gouni-Berthold, Fachärztin für Innere Medizin, Endokrinologie und Diabetologie, im Interview.

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