Armut, Tierleid und Kriege – die Herausforderungen scheinen endlos. Inmitten dieser Krisen gibt es Menschen, die sich unermüdlich für Gerechtigkeit einsetzen. Eine von ihnen ist Victoria Müller, die sich für den Tierschutz und soziale Gerechtigkeit starkmacht. Schon als Kind trieb sie ein starkes Empfinden für Fairness an, und heute kämpft sie unermüdlich für eine bessere Welt.
Liebe Victoria, gab es einen Schlüsselmoment in deinem Leben, der dich zur Rebellin werden ließ?
Ich würde mich selbst gar nicht so sehr als Rebellin bezeichnen, aber mir ist es schon lange wichtig, mich für Themen einzusetzen, was oft aneckt. Schon als Kind hatte ich ein starkes Gerechtigkeitsempfinden und wollte immer, dass alle gleichbehandelt werden. Nazis fand ich schon früh schrecklich und habe mit 13 meine erste Gegendemonstration zu einem Nazi-Aufmarsch in Frankfurt besucht. Durch meine Eltern habe ich früh erfahren, wie wichtig es ist, für Themen wie Gleichberechtigung auch auf die Straße zu gehen. Diese Flamme, die damals entfacht wurde, brennt bis heute. Es gibt so viele Ungerechtigkeiten auf der Welt, und es braucht Menschen, die sich für ein besseres Miteinander einsetzen.
Das Thema Tierschutz liegt dir besonders am Herzen. Was bedeutet es, Tiere zu achten und zu schützen? Wo fängt Tierschutz an, und wie integrierst du diesen in deinen Alltag?
Tierschutz beginnt ganz simpel auf dem Teller. Ich esse seit 16 Jahren kein Fleisch mehr und lebe seit 2011 vegan. Wer Tierleid vermeiden möchte, sollte keine tierischen Produkte konsumieren. Ich achte auch darauf, dass meine Kosmetika nicht an Tieren getestet werden und keine tierischen Inhaltsstoffe enthalten. Zudem forsche ich an der Uni zu Tierversuchen, interessiere mich für die Entwicklungen im Tierschutz und bilde mich aktuell im Bereich Wildtiere und Wildtiermanagement weiter. Außerdem baue ich gerade eine Tierauffangstation und Tierrettung im Spreewald auf. Tierschutz und Tierrechte bestimmen meinen Alltag schon seit vielen Jahren.
Was sind deiner Meinung nach die größten Herausforderungen im Tierschutz?
Es gibt leider viele Herausforderungen. Obwohl Tierschutz seit 2002 als Staatsziel im Grundgesetz verankert ist, spürt man im Alltag oft wenig davon. Tierquälerei ist zwar verboten, doch in der Tierindustrie werden Millionen Tiere ausgebeutet, gequält und getötet. Unser Tierschutzgesetz braucht dringend eine Überarbeitung, die nicht nur die Interessen derjenigen berücksichtigt, die mit Tierausbeutung Geld verdienen. Außerdem kämpfen wir mit überfüllten Tierheimen, unkontrollierter Zucht und Vermehrung von Haustieren und der Verdrängung heimischer Wildtiere. Für all diese Themen fehlen vernünftige, nachhaltige Lösungen. Der Tierschutz wird zudem nicht ausreichend finanziert. Wichtige Projekte, wie nachhaltiges Taubenmanagement oder die Populationseindämmung von Waschbären, wurden einfach gestrichen – das ist nicht hinnehmbar.
Mit deinem Tierschutzverein evakuierst du Tiere aus dem ukrainischen Kriegsgebiet. Bitte erzähle uns davon.
Unser Verein, ddao Tierschutz e. V., ist vor allem im Kriegsgebiet der Ukraine aktiv. Wir arbeiten eng mit Tierschutzorganisationen und Privatpersonen vor Ort zusammen, die uns bitten, Tiere aus den zerstörten Frontgebieten zu evakuieren. Es gibt inzwischen viele Organisationen, die sich um die Evakuierung und Versorgung von Menschen kümmern, aber leider wenige, die sich um die Tiere kümmern. Oft erhalten wir auch Anfragen von evakuierten Menschen, die ihre Haustiere zurücklassen mussten und sie nun nachholen wollen. Wir konnten so bereits viele Familien mit ihren Tieren wieder vereinen. Aber auch verletzte Wildtiere wie Falken oder Straßenhunde und -katzen gehören zu den Tieren, die wir in Sicherheit bringen und beispielsweise in unserem Partnertierheim in Kyiv unterbringen. Für diese Tiere suchen wir dann ein neues Zuhause, entweder in der Ukraine oder in Deutschland. Die Arbeit vor Ort ist extrem gefährlich, aber es ist uns wichtig, auch an die Tiere zu denken, auch wenn das nicht immer auf Verständnis stößt.
Wie nah lässt du deine Arbeit mental an dich heran, und wie verarbeitest du das?
Ich versuche, immer sachlich und rational auf meine Arbeit zu blicken. Egal ob Eindrücke aus einer polnischen Pelzfarm, einer deutschen Entenmast oder einer Frontstadt im Kriegsgebiet – wenn man den Fokus nicht auf das Ziel hat und nicht auch mal Dinge ausblenden kann, ist diese Arbeit kaum machbar. Doch die Arbeit im Krieg stellt eine besondere Herausforderung dar, da das Unterbewusstsein mehr aufnimmt, als man merkt. Das zeigt sich dann in Form von Flashbacks. Wir sind daher immer im Austausch und haben die Möglichkeit, uns professionelle Hilfe zu holen. Nicht selten kehren freiwillige Helfer mit einer PTBS aus solchen Einsätzen zurück – das ist der Preis, den man manchmal für seine ehrenamtliche Arbeit zahlt.
Mit deinem Engagement im Tierschutz ist es längst nicht getan. Auch die Themen Feminismus und Gleichberechtigung liegen dir sehr am Herzen. Was wünschst du dir von der Gesellschaft, und was muss sich ändern?
Feminismus und Gleichberechtigung sind seit Langem Herzensthemen für mich. Ich habe in meiner Familie miterlebt, was es bedeutet, wenn Frauen nicht gleichberechtigt behandelt werden. Es sollte keine Diskriminierung geben, weder wegen Geschlecht, Religion, sexueller Orientierung noch anderer Merkmale. Viele Männer verstehen leider nicht, dass auch sie von Feminismus und Gleichberechtigung profitieren würden.
Wie kam es dazu, dass du dein Buch „Be a Rebel“ geschrieben hast?
Ein Buch über Aktivismus, das niedrigschwellig, aber dennoch umfassend erklärt, hat mir immer gefehlt. Es ist manchmal schwer, anzufangen oder den richtigen Anschluss zu finden. Mir war es wichtig, mit diesem Buch zu zeigen, dass man nicht sofort die Welt retten muss. Auch kleine Entscheidungen im Alltag können einen großen Unterschied machen. Ich erkläre, was Aktivismus eigentlich ist – ein Begriff, der oft zu Unrecht negativ behaftet ist. Es geht darum, sich für eine bessere Welt und ein besseres Miteinander einzusetzen, und manchmal sind die einfachsten Dinge die wirkungsvollsten. Verantwortung tragen wir alle, denn wenn niemand etwas tut, wäre die Welt sehr grau. Aber wenn viele sich engagieren, kann die Welt definitiv besser werden.
Der Einsatz für eine bessere Zukunft ist dein Lebensinhalt. Hat sich dieser Gedanke verstärkt, seit du weißt, dass du bald Mutter wirst?
Meine Ansichten haben sich durch die Schwangerschaft eigentlich nicht verändert. Ich wusste schon immer, dass ich die Welt für die kommenden Generationen besser hinterlassen möchte. Natürlich werden Werte wie Gleichberechtigung und Fairness in meine Erziehung einfließen, aber mein Grundgedanke war schon immer derselbe.
Welche Zukunft wünschst du dir für dein Kind? In was für einer Welt soll es aufwachsen?
Ich wünsche mir eine Zukunft, in der jeder Mensch frei und selbstbestimmt leben kann, ohne aufgrund von Hautfarbe, Religion oder Geschlecht diskriminiert zu werden. Natürlich hoffe ich auch, dass die Welt nicht im Klimawandel untergeht und die Menschheit das vorhandene Wissen endlich nutzt, um das Gemeinwohl zu verbessern. Dafür werde ich mich weiterhin einsetzen und hoffe, dass sich die Dinge zum Besseren wenden. Als Historikerin weiß ich, dass früher nicht alles besser war – in vielen Bereichen hat sich die Welt verbessert, und ich hoffe, dass diese Entwicklung anhält.
Text: Emma Howe