Seltene Erkrankungen

Forschung, Expertise und Vernetzung

Menschen mit seltenen Erkrankungen werden optimalerweise durch spezialisierte Zentren betreut, an denen auch die Fort- und Weiterbildung sowie Forschung zum jeweiligen Krankheitsbild stattfindet. Lesen Sie hier, welche Wege das UniversitätsCentrum für Seltene Erkrankungen (USE) in Dresden geht, um Menschen mit seltenen Erkrankungen bestmöglich zu versorgen. Wir sprachen mit Prof. Dr. med. Reinhard Berner und Dr. Nina-Christine Knopf über die Arbeit in einem Zentrum für Seltene Erkrankungen.

Prof. Dr. med. Reinhard Berner Direktor der Klinik und Poliklinik für Kinder- und Jugendmedizin an der Uniklinik und Sprecher des USE Dresden

Herr Prof. Berner, noch immer dauert es häufig lange, bis Patienten mit seltenen Erkrankungen eine Diagnose sowie eine adäquate Behand-
lung erhalten. Welche Rolle spielen in diesem Kontext die Zentren für Seltene Erkrankungen?

Zentren für Seltene Erkrankungen sind Ansprechpartner für Ärzte und Patienten mit unklaren Erkrankungen, bei denen der begründete Verdacht auf eine seltene Erkrankung besteht. Diese Zentren versuchen, für diese Patienten den Weg zu Experten bzw. den entsprechenden Fachzentren zu ebnen oder aber, wenn es gänzlich unklar ist, in interdisziplinären Fallkonferenzen mit Experten aus vielen verschiedenen Fachgebieten nach dem bestmöglichen Weg zur Diagnosefindung zu suchen.

Was macht die Zentren aus und welche Hilfe können sie Betroffenen geben?

Das Ziel der Versorgung von Patienten mit seltenen Erkrankungen ist es, ihnen trotz und mit ihrer Erkrankung ein möglichst beschwerdefreies Leben zu ermöglichen. Deshalb bedürfen sie einer besonders zeitintensiven ärztlichen Zuwendung und oft einer aufwendigen Spezialdiagnostik. Denn seltene Erkrankungen weisen einige Besonderheiten auf: Dazu zählen vordringlich die geringe Anzahl an Betroffenen mit einer bestimmten seltenen Erkrankung und die weit über das ganze Land gestreute Verteilung der Betroffenen, was nicht nur die ärztliche Versorgung, sondern auch wissenschaftliche Untersuchungen – etwa in Form von Studien – erschwert. Darüber hinaus gibt es meist nur eine geringe Anzahl von Experten, die Menschen mit der jeweiligen seltenen Erkrankung versorgen und die Erkrankung weiter erforschen können. Auch sind die Wege zu guten Behandlungs- und Versorgungsmöglichkeiten nicht immer auf Anhieb ersichtlich. Dies kann dazu führen, dass die Betroffenen sich mit ihrer Erkrankung alleingelassen fühlen und die Diagnose erst deutlich verzögert gestellt wird. Zentren leisten hier wichtige Unterstützung. Sie bündeln Expertise und vernetzen Betroffene mit behandelnden Ärzten.

Vernetzung ist ein gutes Stichwort. Warum ist das wichtig?

Um Menschen flächendeckend und unabhängig vom Krankheitsbild zu versorgen, wurden vor allem an den deutschen Uniklinika in den vergangenen Jahren entsprechende Zentrumsstrukturen aufgebaut und bundesweite Netz-
werke geschaffen. Das Dresdner Uniklinikum hat im November 2014 das USE gegründet. Als sogenanntes A-Zentrum nach den Empfehlungen des Nationalen Aktionsplans für Menschen mit Seltenen Erkrankungen (NAMSE) erfüllt das USE koordinierende und krankheitsübergreifende Aufgaben. Entscheidend für den Erfolg ist das Zusammenwirken vieler Experten in interdisziplinären Fallkonferenzen, wie es nur in einer solchen Struktur vorgehalten werden kann. Dabei hat jedes Zentrum, neben seiner zuvor beschriebenen koordinierenden Funktion, auch inhaltliche Schwerpunkte. Am USE in Dresden sind dies insbesondere Erkrankungen des Immunsystems und des Blutes, neurologische und neuropsychiatrische Erkrankungen.

Dr. Nina-Christine Knopf Fachärztin für Kinderrheumatologie und Clinician Scientist am USE Dresden

Seltene Erkrankungen betreffen in acht von zehn Fällen Kinder und Jugendliche. Ihre Teilhabe am medizinischen Fortschritt hängt
daher ganz entscheidend von engagierten Kinderärzten ab, die sich dem Spagat zwischen Krankenbett und Labor stellen. Frau Dr. Knopf, Sie arbeiten als Clinician Scientist und haben den Fokus seltene Erkrankungen. Wie kam es dazu?

Als Kinderrheumatologin lag mein Schwerpunkt auf den autoinflammatorischen Erkrankungen. So kam ich rasch in Berührung mit den Erkrankungen der Immundysregulation und der Immundefizienz, welche mein Interesse an der Immunologie geweckt haben. Störungen des Immunsystems können sich dabei ganz unterschiedlich manifestieren. Jeder einzelne Immundefekt ist dabei sehr selten. In der Immunologie arbeite ich daher nun mit den verschiedenen Fachdisziplinen zusammen. Dabei besteht eine enge Verbindung zwischen der klinischen Arbeit und der Forschung.

Woran arbeiten Sie momentan und was möchten Sie erreichen?

Mein Forschungsschwerpunkt liegt bei den autoinflammatorischen Erkrankungen. Aktuell leite ich eine Studie zum besseren Verständnis von Fieberschüben unklarer Genese des Kleinkindesalters – auch als SURF (Syndrom des undifferenzierten rekurrierenden Fiebers) bezeichnet. Aus Einzelzell-Genexpressionsdaten – zum Zeitpunkt des Krankheitsschubes bzw. im freien Intervall – möchten wir amplifizierte Signalwege erkennen und perspektivisch Biomarker identifizieren. Ich hoffe sehr, dass wir mit diesem Projekt zur Aufklärung dieser seltenen Endotypen beitragen und perspektivisch den Kindern schneller eine zielgerichtete Therapie anbieten können.

Warum ist die Forschung bei seltenen Erkrankungen entscheidend?

Als Kliniker beschäftigen wir uns kontinuierlich mit neuen Krankheitsentitäten des Immunsystems. Jährlich werden sowohl neue krankheitsverursachende Genvarianten entdeckt als auch neue klinische Phänotypen beschrieben. Ein besseres pathophysiologisches Verständnis ist Voraussetzung für die optimale Versorgung und bestmögliche Therapie unserer Patienten.

Weitere Informationen finden Sie unter: www.uniklinikum-dresden.de/de/das-klinikum/universitaetscentren/use

Das Interview wurde von Leonie Zell geführt

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