Brustkrebs

„Das Leben steht Kopf“

Brustkrebspatientin Sandra (glitzerstube)

Sandra erhielt die Diagnose Brustkrebs 45 Tage nach der Geburt ihres zweiten Sohnes. Chemo, Mastektomie und Bestrahlung statt Familienidylle und Elternzeit.

Wie war Ihr Leben kurz vor der Diagnose?

Ich war gerade zum zweiten Mal Mama geworden und malte mir die Elternzeit sowie die ersten beiden Lebensjahre von meinem Alessandro aus. Wir planten die ein oder andere Reise und danach wollte ich Vollzeit ins Berufsleben zurückkehren. Doch dann kam Corona und zeitgleich auch meine Diagnose.

Bitte erzählen Sie uns von diesem Tag.

Ich kann mich an jedes Detail dieses Tages erinnern. Es war der 20. Mai 2020, um 11 Uhr war mein Termin in der Klinik zur Besprechung des Ergebnisses der Stanzbiopsie. Da ich die Tage zuvor keinen Anruf erhalten habe, war ich guter Dinge. Ich war mir sicher, dass ich nur eine Brustentzündung hatte und dass diese für das Knubbelige in meiner Brust verantwortlich war. Ich regte mich darüber auf, dass ich ewig keinen Parkplatz fand. Schließlich fand ich einen, der gefühlt mehrere Kilometer von der Klinik entfernt war, und ich startete einen Gehlauf. Aus der Puste, aber doch noch pünktlich kam ich an. Ich sollte mich in den Wartebereich setzen und auf die Ärztin warten. Dort saß ich nun. Mein Blick schweifte umher. Dort waren drei leere Stühle, eine typische Wartezimmerpflanze sowie ein Zeitungsständer, in dem Infomaterial für Krebspatienten zu finden war. Ich fragte mich, ob das ein Omen ist, verdrängte den Gedanken aber schnell wieder. Nebenbei schrieb ich via WhatsApp mit meinem Mann und erkundigte mich, wie es unserem Baby geht. Dann kam auch schon die Ärztin.

In dem Moment ist es auch bei mir angekommen: Ich habe Krebs.

Sie ging mit mir über den kargen Flur und bat mich in ein Zimmer. Wir nahmen Platz. Meine Handtasche hielt ich auf dem Schoß fest. Die Ärztin breitete ihre Unterlagen vor sich aus und leicht lächelnd wartete ich auf ihre Worte. „Leider muss ich Ihnen mitteilen, dass Sie Krebs haben. Der Knubbel in Ihrer Brust ist ein sehr aggressiver Tumor, triple-negativ, G3, Ki-67 – der Wert liegt bei 90 Prozent.“ Mein Lächeln schwand und ich kam mir vor wie in einem Film. Als wenn ich neben dieser Szene stand und es mir als Zuschauer ansah. Ich musste mich kurz sammeln, bevor ich fragte, wie es nun weitergeht. „Zunächst erhalten Sie eine Chemotherapie – 16 Gaben sind es an der Zahl –, danach erfolgt die OP und dann die Bestrahlung. Wenn alles gut läuft, sind Sie dieses Jahr mit der Behandlung durch. Aber bei Ihnen wird auf jeden Fall zu einer Mastektomie geraten.“ Ich wusste nicht, was das ist, und musste nachfragen. „Ihre Brust wird abgenommen.“ Wow, das hat gesessen. In dem Moment ist es auch bei mir angekommen: Ich habe Krebs.

Was ging Ihnen in diesem Moment durch den Kopf?

Direkt nach dem Realisieren der Diagnose war die Angst vor dem Tod am größten. Vor dem Sterben an sich. Ich hatte direkt Szenarien im Kopf, wie schmerzhaft und leidvoll manche Betroffene aus dem entfernten Familienkreis durch eine Krebserkrankung verstorben sind. Auch die kommenden Tage sah ich mich vor meinem inneren Auge immer wieder sterben – und meine Kinder ohne ihre Mutter aufwachsen. Genau das war dann auch meine zweite große Angst. Dass meine Kinder keine Mama mehr hätten, ich sie nicht aufwachsen sehen würde.

Um meinem Sohn die Veränderung zu erleichtern, durfte er meine Haare abschneiden. Ihm machte es Spaß und ich erfreute mich an seiner Freude. Somit kullerten meinerseits nur halb so viel Tränen, als ich mich von meinen Haaren verabschieden musste.

Wie haben Sie Ihrem großen Sohn die Situation erklärt?

Massimo war damals sieben Jahre alt und er liebte meine langen Haare. Da mir aufgrund der Chemo die Haare ausfallen würden, saß ich relativ zeitnah mit ihm zusammen und erklärte ihm, dass ich eine schlimme Krankheit hätte, die Krebs heißt. Den Tumor konnte man aufgrund der extremen Größe sehr gut tasten. Ich ließ Massimo den Tumor mit zwei Fingern berühren, denn so begriff er, dass der harte Knubbel nicht in die weiche Brust gehörte. Ein weiterer Schritt war dann, meine schon bis zum Kinn gekürzten Haare von Massimo abschneiden zu lassen. Meine Haare konnte ich büschelweise von meiner Kopfhaut ziehen und daher ergab sich für meinen großen Sohn die einmalige Gelegenheit, Mama die Haare zu schneiden und eine neue Frisur zu zaubern. Ihm machte es Spaß und ich erfreute mich an der Freude meines Kindes. Somit kullerten meinerseits dann nur halb so viel Tränen, als ich mich von meinen Haaren verabschieden musste.

Wie sind Ihre Freunde und Bekannten mit der Diagnose umgegangen?

Durch diese Diagnose hat sich mein Umfeld sehr verändert. Traurig gemacht hat es mich, dass eine tiefe und jahrzehntelange Freundschaft auseinandergebrochen ist. Nicht nur diese Freundschaft, sondern auch Bekannte gehören nun der Vergangenheit an, aber dafür sind neue Freundschaften aus der Diagnose hervorgegangen. Denn niemand versteht einen besser als die, die mit der Diagnose Krebs selbst konfrontiert waren oder sind. Die Krebs-Community, die ich auf Instagram fand, war und ist eine große Stütze für mich.

Haben Sie sich medizinisch gut aufgehoben gefühlt?

Meine Diagnose erhielt ich in einer großen Klinik, in der man eher als Nummer und nicht als Patient gesehen wird. So empathielos, wie mir mitgeteilt wurde, dass ich schwer krank bin, genau so verloren fühlte ich mich auch dort. Nachdem ich mich direkt um eine Zweitmeinung bei einem angesehenen Onkologen mit eigener Praxis bemüht hatte, fühlte ich mich nach diesem Gespräch verstanden, gut aufgehoben und auch „sicher“. Das ganze Praxisteam gab mir das Gefühl, die Therapie gut zu durchlaufen und den Krebs zu besiegen.

Was war in dieser Zeit Ihr größter Halt?

Ganz klar meine Familie, besonders meine Mama, die zu jeder Tages- und Nachtzeit für mich da war. Sie hielt meine Hand, wenn ich nicht allein aufstehen konnte, sie hörte mir zu, wenn ich wieder einmal am Verzweifeln war, ein Blick reichte und sie nahm mich in den Arm. Meine Mama schwieg mit mir, weinte mit mir und feierte auch mit mir, nachdem ich die Krebstherapie überstanden hatte. Sie ist meine Superheldin. Natürlich habe ich auch sehr viel Halt und Hilfe von meinem Mann und meinem großen Sohn erhalten. Denn ich bin diesen Weg nicht nur für mich gegangen, sondern besonders für meine Kinder. In meinem Kopf war die ganze Zeit, dass meine Kinder nicht ohne mich aufwachsen dürfen – das hat mir jeden Tag die Kraft gegeben zu kämpfen.

Gab es einen Moment, an dem Sie aufgeben wollten?

Ich bekam zunächst eine Chemotherapie, erhielt im Anschluss eine Mastektomie mit Sofortaufbau und eine Bestrahlung. In dieser Zeit kam mir kein einziges Mal der Gedanke an eine Aufgabe. Da ich jedoch nach der Chemotherapie noch aktive Krebszellen und zwei befallene Lymphknoten hatte, wurde mir ans Herz gelegt, innerhalb einer Studie eine weitere Chemotherapie zu machen. Diese Therapie war Fluch und Segen zugleich. Man versprach sich sehr viel von dem Medikament, und das gab mir Hoffnung. Ich wollte alles Erdenkliche, was in meiner Macht lag, unternehmen, um den Krebs aus meinem Körper zu verbannen. Jedoch waren hier die Nebenwirkungen weitaus anders als in meiner ersten Chemotherapie. Meine Blutwerte verschlechterten sich schlagartig, mir war von Gabe zu Gabe übler und die Gedanken wurden dunkler, schon beinahe depressiv. Zum Ende hin wollte ich nicht mehr und sagte auch zu Hause immer wieder, dass ich abbrechen will. Doch die letzten vier oder fünf Male wurde ich immer wieder von meinem Mann motiviert, dahin zu gehen und es bis zum Ende durchzuziehen. Ich habe es tatsächlich durchgezogen und bin sehr stolz auf mich.

Haben Sie sich durch die Erkrankung verändert?

Optisch habe ich mich auf jeden Fall verändert. Ich habe meine beiden Brüste nicht mehr und habe 15 Kilo zugenommen. Mein volles und dichtes Haar ist einem weichen Flusenhaar gewichen. Durch zwei Chemotherapien bin ich seit meinem 40. Lebensjahr voll in den Wechseljahren und wohlfühlen im eigenen Körper kenne ich schon lange nicht mehr. Klar, ich soll froh sein, dass ich noch lebe, und mein Körper hat auch Großartiges geleistet, indem er mich durch die Therapie getragen hat, aber dieser Körper hat eben auch den Krebs in meiner Brust wachsen lassen. Das Vertrauen in meinen Körper war dadurch lange Zeit sehr gestört.

Wie gehen Sie mit der Angst vor einem Rückfall um?

Je mehr Zeit vergeht, desto mehr rückt meine Angst vor einem Rückfall in den Hintergrund. Angst zu haben, finde ich nicht schlimm. Denn diese Angst macht mich wachsam und lässt mich lieber einmal mehr zu einem Arzt gehen, um Auffälligkeiten abzuklären. Ich verschiebe keine Arzttermine mehr und nehme auch jede Vor- und Nachsorgeuntersuchung wahr, die es gibt. Die Angst bleibt, aber sie ist nicht mehr im Vordergrund. Es gibt Tage, an denen sie präsenter ist, aber das ist okay, doch die Angst bestimmt nicht mehr mein Leben.

Verliert nie die Hoffnung und Zuversicht. Und bitte vergesst nie, dass sich die Medizin tagtäglich weiterentwickelt und es immer wieder neue Therapieansätze und -maßnahmen gibt.

Was möchten Sie anderen betroffenen Krebspatienten raten?

Ihr müsst und sollt die Diagnose nicht allein durchstehen! Es gibt so viele Möglichkeiten, sich mit anderen Betroffenen auszutauschen und auch Hilfe zu erhalten. Gerne kann sich jeder, der möchte, mit mir austauschen. Man findet mich bei Instagram. Ganz wichtig ist es, die Hoffnung und Zuversicht nicht zu verlieren, denn das trägt einen durch die Therapie und wirkt sich auf die Lebensqualität aus. Bitte vergesst nie, dass sich die Medizin tagtäglich weiterentwickelt und es immer wieder neue Therapieansätze und -maßnahmen gibt. Und das Wichtigste: Bitte traut nicht jeder Statistik. Ich halte nichts von den Statistiken, in denen über die Überlebensraten nach so und so viel Jahren und bei den unterschiedlichen Krebsarten geschrieben wird. Denn laut diesen Statistiken dürfte ich schon gar nicht mehr leben. Also bitte, wir wissen nie, auf welcher Seite der Statistik wir stehen, und wir sind mehr als eine Zahl. Wir sind alle individuell, genau wie unsere Diagnosen, und wir können alle stolz auf uns sein, was wir leisten bzw. geleistet haben!

Mehr über Sandra erfahren Sie auf: www.instagram.com/glitzerstube

Autor: Emma Howe
Fotos: privat

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