Seltene Erkrankungen

„Selten, aber nicht allein“

Nadine

Als Nadine Rokstein 16 Jahre alt ist, bekommt sie Probleme mit den Augen. Anfangs denkt sie sich nichts dabei und geht zum Augenarzt. Dass die seltene Erkrankung LHON dahintersteckt, ahnte zu diesem Zeitpunkt niemand.

Nadine, wann und wie haben Sie bemerkt, dass Sie nicht mehr so gut sehen können?

Das war ca. im November 2011. Ich war zu diesem Zeitpunkt 16 und wollte mich abends für eine Party fertig machen. Als ich mich schminken wollte, merkte ich beim Auftragen der Wimperntusche, dass auf dem linken Auge fast alles Dunkel war. Ich konnte kaum Licht wahrnehmen. Im Alltag ist dies kaum aufgefallen, da das rechte Auge noch nicht betroffen war und somit das linke Auge ausgleichen konnte.

Der Weg bis zur Diagnose war nicht leicht. Bitte erzählen Sie uns davon.

Fünf Monate habe ich auf eine Diagnose „gewartet“. Gewartet bedeutet nicht, dass ich Däumchen gedreht habe. Es waren unzählige Tests nötig. Vor allem weil LHON oft mit MS oder einem Hirntumor verwechselt wird. Dies musste ausgeschlossen werden. Ich habe im Dezember die meiste Zeit im Krankenhaus gelegen und durfte über die Feiertage wieder nach Hause. Von Kortison-Stoßtherapien über Lumbalpunktionen bis hin zur Plasmapherese war alles dabei. Mein letzter Aufenthalt im Krankenhaus war im Februar 2012. Die Diagnose bekam ich dann Anfang März.

Die Diagnose wurde durch einen Gentest gestellt. Wie wurde dieser durchgeführt?

Von dem Gentest habe ich nichts mitbekommen. In dieser Zeit wurde mir ständig Blut abgenommen, sodass ich gar nicht sagen kann, welche Abnahme letztendlich dafür verantwortlich war. Ich habe mich über ein Pharmaunternehmen informiert, wie die Diagnostik verläuft. Da ich die Mutation 11778 habe, konnte meine Diagnostik über die Sequenzanalyse nach Sanger stattfinden. Mit dieser sind die drei typischen Mutationsformen erkennbar.

Was waren Ihre ersten Gedanken, als Sie die Diagnose erhalten haben? Hatten Sie vorher schon einmal von LHON gehört?

Nein, LHON war mir genauso unbekannt, wie es da draußen wahrscheinlich für einige Leser ist. Seltene Erkrankungen gehören leider nicht zum Lernstoff in Biologie.
Die Diagnose war wie ein Faustschlag, weil ich damit einfach nicht gerechnet hatte. Ich war vor der Bekanntmachung noch davon ausgegangen, dass es irgendwelche Tabletten geben würde und ich dann mein gewohntes Leben fortführen kann. Dass es nicht so sein würde, löste ein großes Gefühlschaos aus.

Wie sind Sie damit umgegangen?

Mein Leben war von Kunst und Kreativität geprägt. Ich wollte Fotografin werden, Fotografie und Medien studieren und machte gerade einen Abschluss in Gestaltung. Dies als Sturkopf alles abzubrechen und mich von meinem Traum zu verabschieden, war nicht leicht. Plötzlich sollte ich in eine Werkstatt für behinderte Menschen, sollte auf eine spezielle Schule und ich habe Freunde verloren. Es war keine einfache Zeit und ich war weiß Gott kein einfacher Mensch. Aber ich habe mich mittlerweile gefunden.

Wie wurden und werden Sie therapiert?

Damals habe ich ein Medikament bekommen, da das bei mir aber keinen Effekt erzielt hat, habe ich die Therapie abgebrochen. Für mich war das ein wichtiger Schritt. Dadurch habe ich gelernt, meine Erblindung zu akzeptieren. Es gibt jedoch Studien mit vielversprechenden Daten zu einer neuen Gentherapie. Weitere Informationen darüber findet man u. a. auf der Website der Selbsthilfegruppe Pro Retina e. V.

Wie geht es Ihnen heute mit der Erkrankung?

Mir geht es gut. Damals ist alles sehr schnell gegangen. Die Diagnose habe ich im März bekommen, das zweite Auge war schon im Februar betroffen und kurz nach der Diagnose galt ich bereits als blind. In Deutschland gilt man ab einem gemessenen Visus von zwei Prozent und weniger als blind. Das hat sich bis heute nicht mehr verändert.
Ich habe nach dem Studium der Sozialen Arbeit ein paar Jahre in dem Beruf gearbeitet. Mittlerweile studiere ich Journalismus, schreibe Kolumnen, bin Aktivistin für Inklusion und kläre auf diversen Plattformen über Sprache, Behinderungen und Antidiskriminierung auf.

Welchen Rat möchten Sie anderen Betroffenen geben?

Ihr dürft wütend, traurig und ratlos sein. All eure Gefühle sind valide. Aber mit einer Behinderung seid ihr nicht weniger wert. Und vor allem seid ihr nicht allein. Auch wenn sich das mit einer seltenen Erkrankung oft so anfühlen kann. Wir sind da draußen und wir sind ca. vier Millionen Menschen in Deutschland. Es gibt Gruppen und Selbsthilfeorganisationen, die sich mit LHON beschäftigen. Sei es auf Social Media, die PRO RETINA Deutschland e. V. oder der LHON Deutschland e. V.

Mehr von Nadine erfahren Sie unter: Mehr von Nadine:
www.instagram.com/stoeckchen_mit_lhonund www.stockundstein.org

Fotos: privat
Das Interview führte Emma Howe


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