Zentren für Seltene Erkrankungen – Hier finden Betroffene Hilfe
Was Zentren für Seltene Erkrankungen leisten können, wenn es keine sichere Diagnose gibt oder Experten gebraucht werden.
Manche Erkrankungen sind so selten, dass sie bislang nicht einmal beschrieben sind. Andere sind zwar beschrieben, bekannt aber sind sie nicht – schon gar nicht jedem Arzt. Menschen, die eine seltene Erkrankung haben oder haben könnten, fühlen sich daher oft alleingelassen und hilflos.
Um diese Situation zu verbessern, wurden in Europa seit 2010 nationale Aktionspläne entwickelt. Der deutsche Nationale Aktionsplan für Menschen mit Seltenen Erkrankungen (NAMSE) benannte als zentrale Maßnahme die Einrichtung von Zentren für Seltene Erkrankungen. 36 solcher „A-Zentren“, zumeist an Universitätskliniken angesiedelt, sind seitdem in Deutschland entstanden.
Die Zentren erfüllen zwei wichtige Aufgaben:
- Für Menschen, die bislang keine gesicherte Diagnose erhalten haben, werden Fallkonferenzen unter Einbindung verschiedener Fachrichtungen organisiert, die über weitere Schritte in der Diagnostik entscheiden. Sollten hierfür genetische Untersuchungen oder andere, nicht in der Routine verfügbare Methoden nötig sein, kann dies vom Zentrum eingeleitet werden.
- Wurde eine Diagnose gestellt, die einer besonderen Expertise für weitere Diagnostik und Therapie bedarf, gibt es unter dem Dach eines jeden Zentrums mindestens fünf „NAMSE Zentren Typ B“: Diese verfügen über spezielles Fachwissen zu einzelnen seltenen Krankheitsbildern.
Die Zentren sind über die ganze Bundesrepublik verteilt, sodass eine gute Erreichbarkeit gegeben ist. Die standortübergreifende Zusammenarbeit in einem Netzwerk stellt sicher, dass die notwendige Expertise allen Patienten ortsunabhängig zugänglich ist. Auch international ermöglicht dies die Einbindung in Europäische Referenznetzwerke für Seltene Erkrankungen (ERN). Sollte eine persönliche Vorstellung notwendig sein, werden den Patienten konkrete Ansprechpartner empfohlen. Die belastenden, oft einer Odyssee gleichenden Reisen zu verschiedenen Einrichtungen fallen weg.
In jedem Zentrum arbeitet ein „Lotse“ oder eine „Lotsin“. Diese legen nach der Kontaktaufnahme durch die Patienten selbst oder deren behandelnde Ärzte auf Basis der bereits vorliegenden Befunde und im Austausch mit verschiedenen Fachleuten zeitnah die nächsten wichtigen Schritte fest.
Diese Arbeitsweise der Zentren wurde in einem Projekt – TRANSLATE NAMSE, gefördert durch den Innovationsfonds des Gemeinsamen Bundesausschusses – von 2017 bis 2020 erprobt und positiv bewertet: Denn bei etwa einem Drittel der Patienten, die zuvor mehrere Jahre ohne Diagnose geblieben waren, konnte mit interdisziplinärer Zusammenarbeit, dem Einsatz von Lotsinnen und Lotsen sowie moderner Diagnostik eine gesicherte Diagnose gestellt werden. Zudem wurden neue, bis dahin unbekannte Erkrankungen erkannt.
Damit für Patienten und Akteure des Gesundheitswesens erkennbar ist, dass ein Zentrum diese Leistungen verlässlich erbringt, wurde eine Begutachtung entwickelt. Acht Zentren haben diesen Prozess bislang erfolgreich durchlaufen.
Um Betroffene zudem untereinander zu vernetzen, arbeiten die Zentren eng mit Selbsthilfeorganisationen zusammen. Diese haben sich in Deutschland unter dem Dach der Allianz Chronischer Seltener Erkrankungen (ACHSE) e. V. zusammengeschlossen. Da es jedoch insbesondere bei ultraseltenen Erkrankungen nicht immer Selbsthilfegruppen gibt, wird derzeit auf Initiative der Eva Luise und Horst Köhler Stiftung ein Nationales Register für Seltene Erkrankungen (NARSE) etabliert. Es wird einen Überblick über die Gruppen der Patienten in Deutschland geben und ihnen ermöglichen, miteinander in Kontakt zu treten.
Leider zeigt sich immer wieder, dass die Zentren für Seltene Erkrankungen und ihre Angebote bei vielen niedergelassenen Ärzten nicht ausreichend bekannt sind. Sprechen Sie gerne mit Ihrem behandelnden Arzt darüber! Denn falls Sie, Ihr Kind, Angehörige oder Bekannte eine bislang nicht erkannte seltene Erkrankung haben oder Expertise für eine solche suchen, so sind die Zentren für Seltene Erkrankungen die richtige Adresse.
se-atlas
Die webbasierte Informationsplattform se-atlas bietet einen Überblick über die 36 Zentren für Seltene Erkrankungen sowie Selbsthilfeorganisationen in Deutschland. Das Informationsangebot richtet sich an Betroffene, Angehörige, Ärzte, nicht medizinisches Personal sowie alle Interes-sierten.
Weitere Informationen unter: www.se-atlas.de
Diesen Beitrag hat Prof. Dr. Annette Grüters-Kieslich, Vorstandsvorsitzende der Eva Luise und Horst Köhler Stiftung für Menschen mit Seltenen Erkrankungen, geschrieben